Interview: Wahlkampf auf Kosten Europas

Der polnische Oppositionelle Maciej Gdula wirft der PiS-Regierung vor, mit dem Thema Reparationen von innenpolitischen Problemen ablenken zu wollen.

Das Interview führte Barbara Szelewa.

 

Warum thematisiert die regierende PiS ausgerechnet jetzt Reparationszahlungen?

Noch immer belastet der Zweite Weltkrieg das Verhältnis zwischen Deutschland und Polen. ©seppspiegl

Um zu verstehen, warum die Regierungspartei PiS genau jetzt dieses Thema aufgreift, müssen wir zunächst einmal die innenpolitische Lage in Polen betrachten. Der PiS stehen schwere Zeiten bevor – Gründe dafür sind die steigende Inflationsrate, Probleme bei der Energieversorgung, Korruptionsskandale während der Corona-Pandemie, die Umweltkatastrophe an der Oder und – nicht zuletzt – ihr Kampf um EU-Konjunkturmittel. In den letzten Jahren stützte sich die Popularität der PiS-Regierung auf zwei Säulen: auf ihr Wirken im Bereich der Sozialpolitik und auf ihren Kampf gegen alle möglichen „Bedrohungen“. Aktuell ist die Regierung mangels Handlungsfähigkeit lediglich in der Lage, auf Krisen zu reagieren, deswegen nutzt sie verstärkt die zweite Option. Nach den Eliten, der LGBT-Community und den Geflüchteten gelten nun die Deutschen als neueste „Bedrohung“. Die von der Regierung kontrollierten Medien machen in ihrer Berichterstattung die Deutschen wegen ihrer Nordstream-Pipelines für den Krieg in der Ukraine verantwortlich und behaupten, Deutschland wolle seine wahre Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg nicht übernehmen und keine Reparationen zahlen.

Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass in allen europäischen Ländern der Stolz auf die eigene Hilfe für die Ukraine wächst und gleichzeitig das Gefühl vorherrscht, dass andere Länder nicht so viel tun würden, wie sie könnten und sollten. Solange dieses Gefühl eine private Meinung bleibt, hat es keine Auswirkungen auf die europäische Politik. Auf der Suche nach einem starken Wahlkampfthema hat die PiS nun allerdings beschlossen, dieses Gefühl in der nationalen und internationalen Politik zu nutzen, indem sie Forderungen nach Reparationen erhebt. Ich bin sehr besorgt über diesen Schritt, da er Europa spalten könnte – insbesondere in den schwierigen Zeiten, die wir aktuell durchleben.

Welche Position vertritt die sozialdemokratische Fraktion Lewica zum Thema Reparationen?

Der polnischen Bevölkerung, insbesondere der linken Wählerschaft, ist bewusst, dass die Reparationskampagne eine politische Wahlkampfstrategie und keine echte Forderung im Zuge eines politischen Programms ist. Die Forderung wurde in den mittlerweile sieben Jahren, in denen die PiS Polen regiert, noch nie erhoben und kommt nun plötzlich ein Jahr vor einer schwierigen Parlamentswahl auf.

Die Wähler der Linken – und Oppositionswähler im Allgemeinen – sind gegen einen EU-internen Konflikt während des russisch-ukrainischen Krieges. In Zeiten wie diesen erwarten die Menschen Zusammenarbeit. Dennoch muss man berücksichtigen, dass einige Wählerinnen und Wähler die Aussetzung der Corona-Hilfen aus dem  Wiederaufbaufonds durch die Europäische Kommission als mangelnde Kooperation seitens der EU empfinden.

Wie beurteilen Sie die polnisch-deutschen Beziehungen vor dem Hintergrund solcher Aktionen, insbesondere während des Krieges in der Ukraine?

Die Residenz des polnischen Präsidenten, der “Palac Namiestnikowski”. ©seppspiegl

Ich bin mir sicher, dass das Aufkommen der Reparationsfrage ausgerechnet jetzt Putin total in die Hände spielt. Er kann nun die EU als gespalten darstellen – im Gegensatz zum geeinten Russland. Mehr noch: Er kann behaupten, die Nazi-Verbrechen seien im Westen noch immer nicht aufgearbeitet – in eben jenem Westen, der zufälligerweise auch „ukrainische Nazis“ unterstütze. Die PiS-Partei handelt unverantwortlich und ist nur wenig überzeugend, wenn sie den Ernst des Krieges propagiert und gleichzeitig einen Streit innerhalb der EU anzettelt.

Denken Sie, dass die Reparationsforderungen die Stärke der europäischen Reaktion auf den Krieg gegen die Ukraine beeinflussen wird?

Konkrete Maßnahmen wie Sanktionen und gemeinsame Energieprojekte in Europa sind sehr wichtig. Dennoch sollten wir auch die Bedeutung von Symbolen nicht unterschätzen. Ein vereintes Europa, das gemeinsam in Solidarität mit der Ukraine handelt und Demokratie und Menschenrechte verteidigt, ist ein starkes Bild unserer Union. Die Reparationskampagne wird dieses Bild beschädigen.

Lewica will die Beziehung zu Deutschland in Zukunft stärken. Wie wollen Sie das schaffen?

Wir sollten bei allen Projekten zusammenarbeiten, die die Zukunft unserer Gesellschaften und der Europäischen Union betreffen. Konkret geht es um die grüne Transformation, die europäische Armee und ganz allgemein um die Widerstandsfähigkeit gegenüber einem aggressiven Russland. Wir müssen uns am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. Polen und Deutsche sollten dabei gemeinsam handeln, um die Unabhängigkeit der Ukraine zu stärken und ihre demokratischen Bestrebungen zu unterstützen.

Wenn wir uns auf die Zukunft konzentrieren wollen, dürfen wir unsere tragische Vergangenheit nicht vergessen. Wir müssen uns an die dunklen Zeiten des Zweiten Weltkrieges und die Nazi-Vergangenheit Deutschlands erinnern. Wenn wir dies vernachlässigen, schaffen wir Raum für all diejenigen, die diesen Raum nutzen wollen, um Menschen zu spalten und Misstrauen zu schüren. Die Europäische Union wurde ins Leben gerufen, um nach zerstörerischen Kriegen den Frieden zu wahren. Das dürfen wir nicht vergessen.

Aus dem Englischen von Anne Habermeier

Maciej Gdula ist Abgeordneter der Lewica, einer linken Fraktion im polnischen Parlament, und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten.

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