Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Juli Zeh: Über Menschen

© Peter v.Felbert

Die Autorin nimmt sich zum wiederholten Mal das Leben in der Provinz nahe Berlin vor. Eine Großstädterin aus der Werbebranche hat in einem Brandenburger Dorf ein altes Haus gekauft. Sie hat sich von ihrem Freund getrennt, der sich in Zeiten der Coronalkrise immer mehr in Panik hineinsteigere und zum Abstandsfundamentalisten geworden ist.

Sie hat keinerlei Erfahrung mit dörflichen Milieus, weder in West noch Ost, und schon gar nicht mit Coronaverweigerern und AfD-Wählern. Ihr Weltbild gerät ins Wanken, denn ungebeten wird ihr in ländlicher Solidarität stillschweigend geholfen. Nachbarn benutzen in ihrer Abwesenheit den Schlüssel fürs Haus oder stellen ihre Gartenmöbel um, die etwas verwahrloste Nachbarstochter drängt sich ihr auf. Die Charaktere sind in lockerem Stil überzeugend skizziert, das Schmunzeln gefriert mitunter.

Als der „Dorfnazi“, wie er sich selbst vorstellt, ihr einfach Möbel schreinert und für sie einkauft, kommt sie in Konflikt zwischen ihren Vorurteilen und seiner Hilfsbereitschaft. Sie schwankt zwischen Dankbarkeit und Empörung, als sie erfährt, dass er nur auf Bewährung frei ist, nachdem er Leute zusammengeschlagen hatte. Wo sie früher bei Gewaltausbrüchen nach der Polizei gerufen hätte, hält sie jetzt den Mund. Das Gefühl diffuser Bedrohung schwindet, je mehr sie über den Nachbarn erfährt. Seine Gewalttätigkeit findet teilweise eine Erklärung, nachdem sie ihrem Vater die Situation erklärt hat. Der ist ein bekannter Chirurg, der zwischen Münster und der Charité pendelt und den Nachbarn gegen seinen Willen zur Untersuchung mitnimmt.

Inzwischen passt sich die coronabedingt arbeitslos gewordene Protagonistin immer besser ins Dorfleben ein, findet sogar Gefallen an dem Kind und kümmert sich um den Nazi. Juli Zeh hat ihrem Lockdown ein Buch abgerungen, wobei das Ende fast an Pilcher erinnert und dem Leser die rosarote Brille abverlangt.

 

Juli Zeh, 1974 in Bonn geboren, studierte Jura in Passau und Leipzig. Schon ihr Debütroman “Adler und Engel” (2001) wurde zu einem Welterfolg, inzwischen sind ihre Romane in 35 Sprachen übersetzt. Ihr Gesellschaftsroman “Unterleuten” (2016) stand über ein Jahr auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.

 

Originaltitel: Über Menschen
Originalverlag: Luchterhand Literaturverlag
Taschenbuch, Klappenbroschur, 416 Seiten, 12,5 x 18,7 cm
ISBN: 978-3-442-77219-3
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