Trostpflaster von der Waterkant
von Dieter Weirich

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Im Stadtstaat Hamburg sind am kommenden Sonntag 1,3 Millionen Bürger aufgerufen, ihre 121 Mandate umfassende Bürgerschaft für eine fünfjährige Periode zu wählen. Das oberste Vertretungs-und Entscheidungsgremium der Hansestadt ist für die Gesetzgebung und den Haushalt verantwortlich, kontrolliert den Senat, vergleichbar mit den Landtagen in den Bundesländern.
Für die bei der Bundestagswahl besonders bös abgestrafte SPD, aber auch für die Grünen dürfte es zwar Abschläge im Ergebnis, machtpolitisch aber ein Trostpflaster geben. Umfragen signalisieren eher ein Weiter so für die rot-grüne Regierung unter Senatspräsident Peter Tschenscher, der das Bündnis auch fortsetzen will, auch wenn seine angriffslustige grüne Herausforderin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank im freilich eher matten Wahlkampf ihre Ansprüche auf sein Amt anmeldet.
Die SPD, die Demoskopen zufolge kräftig gerupft wird und knapp über 30 Prozent landet, will „Hamburg einfacher, bezahlbar, sicher und zukunftsfähig „ machen, brüstet sich mit herausragenden Wirtschaftsdaten und Verbesserungen bei der Bildung, wähnt sich im Besitz der „Hamburg-Kompetenz“. Die Grünen führten einen mit der bundespolitischen Entscheidung verbundenen Doppel-Wahlkampf, der die Klimafrage in den Vordergrund stellte.
Die CDU tut sich an der Waterkant von jeher schwer, ist doch sogar das bürgerliche Milieu eher rot-grün. Selbst die „Pfeffersäcke“, also die Kaufleute der Stadt, ticken oft so. Der neue CDU-Spitzenkandidat Dennis Thering, der die im Stau stehende Stadt als zentrales Thema und die zunehmende Drogenplage thematisiert, wird das bescheidene letzte Ergebnis von elf Prozent verbessern, ist aber letztlich chancenlos. Ein Wählermagnet wie Ole von Beust, der 2004 die absolute Mehrheit holte oder ein attraktiver Seiteneinsteiger wie einst Walther Leisler Kiep ist nicht in Sicht.
Sieht man von der Kommunalwahl am 14.September in Nordrhein-Westfalen ab, braucht eine neue Regierungskoalition im Bund keine Stimmungstests 2025 mehr zu fürchten. Im nächsten Jahr sieht das ganz anders aus. Im Frühjahr 2026 warten Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie Abstimmungen über die Rathäuser in Hessen und Bayern.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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