Trautes Heim, Glück allein

Der Mietendeckel funktioniert – wenn man versteht, worauf es ankommt. Das zeigt der Blick ins Ausland.

Mehr Neubau braucht die Stadt. © Erich-Westendarp_pixelio.de_

In Berlin ist der durchschnittliche Nettomietpreis pro Quadratmeter in den vergangenen 15 Jahren um 50 Prozent gestiegen. Das ist mehr als doppelt so viel wie das durchschnittliche Wachstum der Berliner Wirtschaft im selben Zeitraum (etwas über 20 Prozent) und mehr als in jeder anderen großen deutschen Stadt. Aber auch andere deutsche Regionen mussten erhebliche Mietpreissteigerungen hinnehmen. Seit 2011 müssen Deutsche mehr für ihre Wohnung aufwenden als im Durchschnitt der OECD, obwohl Deutschland über Jahre weit darunter gelegen hatte. Maßnahmen wie die Mietpreisbremse konnten die Steigerungen zwar leicht abbremsen.

Sie reichten aber nicht aus, um zu verhindern, dass mittlerweile selbst die Mittelschicht sich über die Erschwinglichkeit ihrer Mieten Sorgen macht. Laut Eurobarometer 2019 ist die Versorgung mit Wohnungen aktuell das zweitwichtigste nationale Thema der Deutschen, kurz nach Klimaschutz. Nur in Luxemburg, Irland und Malta ist das Thema noch wichtiger. In einem Land, das mit 45 Prozent nach Schweden und der Schweiz den höchsten Anteil an Mietern hat, ist es daher kein Wunder, dass sich Unzufriedenheit angestaut hat – über die Mietpreise, aber auch über die Politik, die jahrelang versprach, Mieten niedrig zu halten und ihr Versprechen seit ebenso langer Zeit nicht einlöst.

Die Stadt Berlin hat in diesem Jahr den bisher weitreichendsten Vorschlag eingebracht, um die Mietsteigerungen zu begrenzen: den Mietendeckel. Nicht nur sollen alle bestehenden Mieten für fünf Jahre eingefroren werden, sie sollen auch in keinem Fall mehr als 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens ausmachen. Damit würde Berlin so stark in die Preisbildung eingreifen wie es fast nirgendwo sonst in Europa geschieht. Die Kritik an diesem Vorschlag ist harsch und beruft sich, neben DDR-Vergleichen, auf ein einfaches Argument: Wenn Mietpreise gedeckelt würden, werde nicht mehr in Neubau und Sanierung investiert. Folglich verschärfe sich der Wohnungsmangel und der Baubestand verfalle.

In der Bevölkerung ist der Vorschlag dennoch beliebt. Mehr als 60 Prozent der Deutschen wünschen sich die bundesweite Einführung des Mietendeckels. Die Zustimmung zur Enteignung großer Immobilienfirmen, die gleichzeitig diskutiert wird, ist hingegen seither gesunken – hier hat der Mietendeckel also bereits gewirkt. Sind die Hoffnungen in der Bevölkerung also berechtigt oder handelt es sich um ein kurzfristiges Beruhigungsmittel, das langfristig mehr schadet als nützt? Ein oberflächlicher Blick ins Ausland scheint die Kritiker zu bestätigen.

Fast alle kommunalen Wohnungen entstanden in New York zwischen 1935 und 1980. Doch seit den 1980er Jahren ging auch hier die Förderung zurück und mit ihr der Wohnungsbau.

In Schweden gibt es ein ähnlich strenges, ausgeklügeltes System, wie Mietpreise reguliert werden. Ein Mietergremium handelt jährlich mit den Vermietern Referenzmietpreise aus, die für alle vergleichbaren Wohnungen gelten. Dieser Preis liegt deutlich unter dem Marktpreis und wirkt daher effektiv wie ein Mietpreisdeckel. Das ist vorteilhaft für die Bestandsmieter, die zu sehr moderaten Preisen wohnen können. Weniger vorteilhaft ist es in den Ballungsräumen für Neuhinzugezogene, die sich auf Wartelisten eintragen müssen, wenn sie eine dieser Wohnungen ergattern wollen. Die Wartezeit beträgt nicht selten mehr als zehn Jahre. Viele Alternativen gibt es nicht – häufig bleibt nur der Schwarzmarkt. Der Grund dafür ist eine erhebliche Wohnungsnot, vor allem in Stockholm. Seit Jahren können die Neubauten nicht den Bedarf decken, da private Unternehmen sich mit Investitionen zurückhalten.

Die Empirie scheint die Theorie also zu belegen. Aber damit würde man einen wichtigen Punkt unterschlagen: Seit den 90er-Jahren wurde die staatliche Wohnungsbauförderung zusammengestrichen, die zuvor einen Großteil der gesamten Bautätigkeit in den Städten ausgemacht hatte. Das schwedische System hatte in seiner Grundanlage nie auf privaten, sondern auf staatlichen Investitionen beruht. Bestes Beispiel dafür sind die Jahre 1965 bis 1974, in denen in Schweden unter einer sozialdemokratischen Regierung rund eine Million öffentlich geförderte Wohnungen entstanden, bei einer Bevölkerung von damals acht Millionen. Damit hatte man sogar ein Überangebot erreicht. Erst die Kürzung der staatlichen Förderung brachte das System aus dem Gleichgewicht.

Ein anderes Beispiel ist New York. Hier wurden seit dem Zweiten Weltkrieg umfassende Deckelungen für Mieten eingeführt, von denen viele trotz rückläufiger Tendenz bis heute fortbestehen. Immerhin 36 Prozent aller Wohnungen in New York waren 2017 noch preisgedeckelt. Dennoch gilt New York aktuell als die teuerste Stadt der Welt. Ein Quadratmeter in Manhattan kostet rund 50 Euro Miete. Rund 600 000 Haushalte geben mehr als 50 Prozent ihres Einkommens für Miete aus.

Wie erwartet wurden auf dem privaten Markt angesichts der Deckelung in den letzten Jahrzehnten nicht genügend neue Wohnungen gebaut, und diejenigen, die gebaut wurden, entstanden hauptsächlich als Eigentumswohnungen oder im Hochpreissegment. Die Folge ist ein erheblicher Mangel an erschwinglichen Wohnungen. Das war aber nicht immer der Fall. Zwischen 1955 und 1978 waren 140 000 Wohnungen in New York gebaut worden, deutlich mehr als heute, und mit beträchtlicher öffentlicher Förderung. Fast alle kommunalen Wohnungen der Stadt entstanden zwischen 1935 und 1980. Doch seit den 1980er Jahren ging auch hier die Förderung zurück und mit ihr der Wohnungsbau.

Wie man es besser macht, zeigt die Stadt Wien. Dort gibt es eine hundert Jahre alte Tradition, staatlich geförderten Wohnraum mit gedeckelten Mieten zu schaffen.

Hätte man also angesichts knapper Kassen die Mietendeckel aufheben und dem Markt freien Lauf lassen sollen? Der Theorie nach sollten Angebot und Nachfrage sich angleichen und die Knappheit ausgleichen. In der Realität geschieht das aber nicht. Abschreckende Beispiele sind hier London und Paris mit Quadratmetermieten von 20 bzw. 28 Euro. Die Knappheit wurde nicht beseitigt. Deutlich kann man am Beispiel Cambridge, Massachusetts, sehen, was passiert, wenn ein Mietendeckel abgeschafft wird: Bis 1994 existierte dort eine strenge Mietengrenze, dann wurde sie durch ein Referendum außer Kraft gesetzt. Tatsächlich wurde danach erheblich in Renovierung und Neubau investiert, doch damit stiegen auch die Mieten. Die Konsequenz waren Verdrängung aus Wohnungen und die Entstehung entmischter, sozial segregierter Stadtviertel. Günstige Mieten und ausreichend Wohnraum fehlen nach wie vor, allerdings hat sich der Zustand der Wohnungen durch die Renovierungen verbessert, wie Forschungsergebnisse zeigen.

Wie man es besser macht, zeigt die Stadt Wien. Dort gibt es eine hundert Jahre alte Tradition, staatlich geförderten Wohnraum mit gedeckelten Mieten zu schaffen. Rund 75 Prozent aller Wohnungen in Wien gehören zu diesem Segment. Die Mieten sind mit 9,60 Euro pro Quadratmeter im Schnitt noch akzeptabel. Auch die Mietsteigerungen fielen nur etwas mehr als halb so hoch aus wie in Berlin. Wohnungen sind zwar nicht im Überfluss vorhanden, aber der Mangel ist wesentlich weniger ausgeprägt als anderswo, da die Stadt Wien mit massiven öffentlichen Ausgaben den Wohnungsbau in Partnerschaft mit Genossenschaften ankurbelt.

Auch Sanierungen werden mit gesonderten Mitteln unterstützt. Anders als in anderen Städten wurden diese Mittel nicht zusammengestrichen. Natürlich hat dieses Modell auch Nachteile: Wer neu in die Stadt kommt, muss mit Wartezeiten rechnen, bevor man eine Wohnung im geförderten Segment erhält. Außerdem bleiben Menschen in übergroßen Wohnungen wohnen, weil sie durch einen Umzug kaum sparen würden. Aber dem stehen viele Vorteile gegenüber: Nicht nur das niedrige Niveau der Mieten, auch eine bessere soziale Durchmischung der Stadtviertel mit nur wenigen sozialen Brennpunkten.

Der Mietendeckel ist also weder sozialistisches Teufelszeug noch ökonomischer Unsinn. Er funktioniert, wenn gleichzeitig ausreichend in öffentlichen Wohnungsbau investiert wird und alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um Bauland bereitzustellen und Baukosten zu senken. Hier haben gerade sozialdemokratische Parteien eine lange Tradition, nicht nur in Schweden, sondern auch in Deutschland. Im Jahr 1972 z.B. wurden in der Bundesrepublik 600 000 neue Wohnungen fertig gestellt, im Jahr 2018 waren es nur knapp 300 000. Der erfolgreiche Wohnungsbau früherer Zeiten hat in der Vergangenheit ohne Zweifel zur Glaubwürdigkeit von Politik, aber insbesondere auch sozialdemokratischer Politik, beigetragen.

In der heutigen Zeit kann der Mietendeckel viel zur Wiedergewinnung dieses Vertrauens beitragen, indem er den Menschen ökonomische Sorgen nimmt und eine konkrete Perspektive zur Lösung eines lange drängenden Problems bietet. Scheitert die Politik daran, wird es nicht lange dauern, bis andere, womöglich zweifelhafte Akteure sich diese Sorgen zunutze machen, um Zweifel an der Demokratie als solcher zu säen. Zusammen mit einer Aufstockung des geförderten Wohnungsbaus ist der Mietendeckel daher ein Beispiel dafür, wie man heute gute Politik macht.

Dr. Christopher Gatz ist Referent im Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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