Sprachlos in Warschau

Warum sich Deutschland und Polen immer weiter von einer strategischen Partnerschaft entfernen.

Kanzlerin Angela Merkel und der polnische Premier Mateusz Morawiecki. ©mdr

Am Freitag (2.11.) war Bundeskanzlerin Merkel mit vielen Kabinettsmitgliedern zu Gast in Warschau.  Vergangene Woche feierten  die beiden Präsidenten Frank-Walter Steinmeier und Andrzej Duda 100 Jahre der polnischen Unabhängigkeit gemeinsam in Berlin. Doch von Einigkeit sind Polen und Deutschland gerade weit entfernt.

Wollte Bundespräsident Steinmeier mit der Einladung seines Counterparts ein positives Zeichen zum geschichtsträchtigen Jubiläum setzen, musste er dabei zusehen, wie sein Plan zugrunde ging. Verstimmungen gab es zuhauf: Pikiert reagierte sein polnischer Gast auf Fragen nach der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Der Saal im Auswärtigen Amt quittierte seine Auslassungen mit Buhrufen, während das höchst strittige Thema der Gaspipeline Nord Stream 2 die Expertengespräche dominierte.

Wenn Angela Merkel nun in Warschau weilte, hat sie sich nicht nur den Fragen nach ihrer politischen Zukunft stellen müssen. Sie wurde auch an die „offene Frage“ (Duda) der Kriegsreparationen erinnert und wegen Ihrer jüngsten Kontakte mit Putin misstrauisch beäugt werden. Das Foto, auf dem sie mit Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan nach dem Syrien-Gipfel Händchen hält, wurde von Duda auf Twitter mit einem spöttischen „Köstlich…“ kommentiert.

Es besteht die Annahme, man müsse den Spuk von Trump und Kaczynski einfach überstehen. Wenn sie einmal weg sind, würde wieder Normalität einkehren. 

Wie kam es dazu, dass die einst als „strategisch“ apostrophierte Partnerschaft zwischen Polen und Deutschland in dieser Sprachlosigkeit versinkt? Und dass in der europäischen Stunde der Wahrheit – mit dem immer breiter werdenden Atlantik und den immer lauter werdenden Autokraten in und um Europa herum – die beiden Nachbarn getrennte Wege gehen? Aus deutscher Sicht scheint Polen heute ein Kopfschmerzen verursachendes Rätsel zu sein, das zuweilen an Donald Trump erinnert. Nicht nur, weil es eine gewisse ideologische Verwandtschaft zwischen dem amerikanischen Populisten  und den polnischen Illiberalen gibt. Die Analogie besteht auch in der Annahme, man müsse den Spuk von Trump beziehungsweise Jaroslaw Kaczynski, dem Vorsitzenden der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), einfach überstehen. Wenn sie einmal weg sind, würde wieder Normalität einkehren.

Doch diese Annahme basiert, auch auf Polen bezogen, auf wackeligen Argumenten. Erstens, weil der Spuk in Wirklichkeit nicht so schnell vorbeigehen muss. Der relative Erfolg der PiS in den jüngsten Kommunalwahlen in Polen trübt die Hoffnungen auf einen Machtwechsel im Herbst 2019. Und, zweitens, werden die aktuellen gesellschaftlichen und außenpolitischen Weichenstellungen das bilaterale Verhältnis weiter herausfordern.

Dass die seit 2015 in Polen regierende PiS mit Deutschland nicht viel am Hut hat und oft der Geschichts- vor der Europapolitik Vorzug gibt, ist nichts Neues. In ihrem Bestreben, Polen auf dem Fundament der Souveränität, des nationalistisch gefärbten Patriotismus sowie der als urpolnisch definierten traditionalistischen Werte quasi neuzugründen, scheut die PiS vor der Ablehnung des westlichen Gesellschaftsmodells, als dessen Symbol Deutschland gilt, nicht zurück. Die Deutschlandkritik soll die Legitimität der eigenen  Politik stärken – wie das schon mal unter den völlig anderen Voraussetzungen des Kalten Krieges der Fall war. Und das absolute Primat der innenpolitischen illiberalen Umwälzung lässt den europapolitischen Preis der aktuellen Nicht-Beziehung zu Deutschland als verkraftbar erscheinen.

Ein möglicher Regierungswechsel, wann auch immer er kommt, würde aller Wahrscheinlichkeit nach einen Abschied von dieser Logik zu Folge haben. Auch heute ist die anti-deutsche Stimmungsmache  – vor allem mittels des zum Propagandainstrument der PiS mutierten Staatsfernsehens – hauptsächlich ein Tribut an die relativ kleine Kernwählerschaft des Regierungslagers und nicht Ausdruck der Mehrheitsmeinung.  Aber das erodierende Europabild in Polen sowie die unterschiedlichen Reaktionen auf die transatlantische Krise in beiden Ländern können die Rahmenbedingungen des bilateralen Verhältnisses nachhaltig verändern.

Trump will die EU spalten und Polens Verhältnis zu Amerika könnte bald der größte Spaltpilz in den deutsch-polnischen Beziehungen werden.

Das Gespenst eines Polexits, das oft von polnischen Regierungsgegnern wie ausländischen Kommentatoren an die Wand gemalt wird, ist nicht Kern des Problems. Die PiS-Regierung mag mit ihren Vorstößen gegen die Prinzipien der Gewaltenteilung und unabhängigen Justiz Brüssel und die EU-Partner herausfordern. Die EU verlassen will sie aber nicht. Nicht zuletzt, weil sie dafür keine Unterstützung in der Gesellschaft finden könnte, die mit  80 Prozent die EU-Mitgliedschaft befürwortet. Aber die heutigen Populisten, nicht nur in Polen, wollen die EU meistens nicht verlassen, sondern von innen heraus verändern. Und dafür ist der Boden in Polen fruchtbarer als es das Bild der EU-freundlichsten Nation vermuten ließe.

Der Mythos Westeuropas, der die Transformation nach 1989 prägte, ist verblasst. War das damalige Polen, nicht zuletzt in den Augen der eigenen Bürger, ein kleiner Bruder, der aus der Position der Schwäche das westliche beziehungsweise deutsche Entwicklungsmodell nachahmen musste, so scheint die PiS bei vielen mit einem umgekehrten Bild zu punkten. Polen hätte die Fehler des Multikulturalismus und der Aufgabe der christlichen Werte nicht begangen. Seine wirtschaftlichen Strukturen seien robuster als in vielen anderen westeuropäischen Ländern. Und gegen die „Auswüchse“ von Neo- und Liberalismus ginge die PiS besonders effizient vor. Es ist, so paradox es klingen mag, die Position der Stärke, nicht der Schwäche, die dieser Einstellung zugrunde liegt.

Dass Polen nach wie vor von der EU, allen voran vom Binnenmarkt und gemeinsamen Haushalt  profitiert, wird gelegentlich von den PiS-Politikern, selten aber von den Bürgern in Frage gestellt. Gleichwohl verschiebt sich die subjektive Gesamtbilanz der Integration – zu Ungunsten der EU. Deutschland hat auch seinen Anteil daran. Polnische Firmen, so ist aus dem Regierungslager zu vernehmen, würden im Wettbewerb auf den westlichen Märkten benachteiligt, ohne dass die EU-Kommission ihre Rechte verteidigt. Die Arbeitskräftemobilität werde limitiert, was als Zeichen des westlichen Protektionismus gilt. Und Nord Stream 2 bekräftige die Zweiteilung des europäischen Gasmarktes, wobei Gazprom seinen Einfluss in Mittel- und Osteuropa stärkt. Insgesamt, so die verbreitete Wahrnehmung in Warschau, laufe die EU-Integration aktuell in eine Richtung, die für Polen problematisch sei: Eine noch ambitioniertere Klimapolitik würde das kohleabhängige Land massiv unter Druck setzen; die EU-Verteidigungspolitik lenke ihr Augenmerk auf den Süden, nicht auf Russland, wo für Polen die meisten Sicherheitsrisiken liegen; eine stärker integrierte Eurozone würde die Stellung der Nicht-Euroländer noch weiter schwächen. In dieser Position spiegelt sich das verdrängte Gefühl der Schwäche: Polen könne diese Entwicklung nicht aufhalten, es müsse folglich eine Defensivhaltung einnehmen, die aber der Idee einer strategischen und vertrauensvollen Partnerschaft mit Deutschland im Wege steht.

An dieser Stelle kommt ein zweiter Faktor ins Spiel: das gelobte Land Amerika. Während in Deutschland die Trump-Präsidentschaft mehrheitlich als eine Katastrophe und tiefer Einschnitt für den gesamten Westen wahrgenommen wird,  wird sie in Polen viel gelassener gesehen. Trump stockte die militärische Unterstützung für die NATO-Ostflanke auf und zeigt sich offen für eine permanente Stationierung der US-Truppen in Polen. Er will Flüssiggas nach Polen liefern und in die regionale Zusammenarbeit in Mittel- und Osteuropa, die sogenannte Drei-Meeres-Initiative, investieren. Die Schlüsse, die man in Berlin und Warschau heute aus der Trump-Politik zieht, könnten also unterschiedlicher kaum sein: Merkel und Maas wollen die „europäische Souveränität“ stärken, Kaczynski und der polnische Ministerpräsident Morawiecki setzen auf den polnisch-amerikanischen Bilateralismus, nicht zuletzt in der Überzeugung, dass dieser der einzige Hebel für Polens Position in der EU sei. Trump will die EU spalten und Polens Verhältnis zu Amerika könnte bald der größte Spaltpilz in den deutsch-polnischen Beziehungen werden.

Angesichts dieser Herausforderungen ist die deutsch-polnische Sprachlosigkeit die schlechteste Option nicht nur für Polen und Deutschland, sondern auch für die EU. Die Regierungskonsultationen in Warschau könnten ein Schritt sein, um sie zu überwinden. Hoffentlich ist der Wille dazu auf beiden Seiten noch nicht gänzlich verbraucht.

Piotr Buras ist Leiter des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations und Non-Resident Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien.

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