Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Foto Ivan Giménez

Ein Kriminalroman ist das Buch nur bei oberflächlicher Betrachtung. Stärker im Vordergrund steht die Milieuschilderung beziehungsweise Gesellschaftskritik. Es ist zumindest hilfreich, sich vorher ein wenig mit der Geschichte Kubas auseinandergesetzt zu haben, denn dann wird der Leser die vielen Anspielungen erkennen und einschätzen können.

Padura will mit diesem Buch, das in zwei Handlungsstränge geteilt ist, zeigen, wie Vergangenheit und Gegenwart sich gegenseitig bedingen. Der eine Handlungsfaden kreist 1910 um das Lebensgefühl angesichts der Erwartung, dass der Halleysche Komet die Erde in absehbarer Zeit vernichten wird. Viele genießen ohne Rücksicht auf Verluste auf Teufel komm raus. Ein junger Polizist soll Morde im Rotlichtmilieu aufklären und rutscht dabei in die korrupten Fänge des charismatischen Zuhälters Alberto Yarini, einer historisch verbürgten Gestalt. Die Gesellschaft lebt nach der Autonomie von Spanien, die der Journalist José Martí mit erkämpfte, seit 1898 unter dem Einfluss der Amerikaner. Letztere erlaubten 1902 eine Scheinselbständigkeit ohne Souveränität.

Der zweite Handlungsstrang spielt 2016 kurz vor dem Besuch von Barack Obama. Und die Rolling Stones werden zum ersten Mal in Kuba auftreten und in Havanna ihr legendäres Gratiskonzert geben. Die Zügel der Revolution scheinen gelockert, die Bevölkerung muss sehen, wie sie sich durchs Leben schlägt, das durch Mangel geprägt ist. Wieder breiten sich ausländische Touristen aus und die Sitten verrohen auf der Jagd nach Geld. Eine Zeitenwende ist nicht in Sicht. Da alle Polizeikräfte durch den Staatsbesuch gebunden sind, wird Mario Conde, ein aus moralischen Gründen aus dem Dienst geschiedener Polizist, mit der Aufklärung einer Mordserie beauftragt.

Wie von kommunistischen Gesellschaften bekannt, profitieren die Nutznießer der Unterdrückung. Fassade und Realität sind zweierlei. Was politisch Einflussreiche gern predigen, halten sie selbst noch lange nicht ein. Wichtiger als Spannung ist ihm das Anprangern der Doppelmoral der Mächtigen. An den gesellschaftlichen Missständen scheint die Revolution nichts geändert zu haben. Die gleiche Unterdrückung, Korruption, Bereicherung, die Ärmsten sind noch immer arm, reich sind jetzt andere als vor oder während der Revolution. Angst und Hass herrschen nach wie vor. Heiligt der Zweck die Mittel der Rache? Der augenzwinkernde Humor Paduras täuscht nicht über das deprimierende Bild seiner Heimat hinweg.

 

Leonardo Padura, geboren 1955 in Havanna, zählt zu den meistgelesenen kubanischen Autoren. Sein Werk umfasst Romane, Erzählbände, literaturwissenschaftliche Studien sowie Reportagen. International bekannt wurde er mit seinem Kriminalromanzyklus Das Havanna-Quartett. Im Jahr 2012 wurde ihm der kubanische Nationalpreis für Literatur zugesprochen, 2015 erhielt er den spanischen Prinzessin-von-Asturien-Preis in der Sparte Literatur, 2023 den Pepe Carvalho Preis. Leonardo Padura lebt in Havanna.

 

Unionsverlag AG
€ 26.00, FR 35.00, € [A] 26.80
Gebunden
400 Seiten
ISBN 978-3-293-00621-8

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