von Dr. Bernd Kregel

Der Hochschwarzwald und seine Mythen

Einer legendären europäischen Promi-Hochzeit verdankt der Hochschwarzwald seine Erschließung.

Wandmalerei mit Marie-Antoinette

Zweiundfünfzig Pferdekutschen, gezogen von dampfenden Rossen, die sich in den Bergen eine kurze Verschnaufpause erst verdienen müssen. Bei einem Abstand von gut dreißig Metern je Kutsche bilden sie, rechnet man die berittene österreichische Garde hinzu, einen Prozessions-Lindwurm von mehr als zwei Kilometern Länge.

Angetrieben vom Peitschenknall seiner Kutscher, schlängelt sich der Tross mühsam durch das berüchtigte Höllental des Hochschwarzwaldes in Richtung Freiburg. Und dies auf einer Straße, die mit großem Aufwand speziell zu diesem ungewöhnlichen Zweck angelegt wurde: für die feierliche Überführung der österreichischen Erzherzogin Marie-Antoinette aus ihrer Heimatstadt Wien ins weit entfernte Paris. Denn dort wartet der französische Thronnachfolger bereits darauf, die Tochter der Kaiserin Maria-Theresia als seine zukünftige Frau in Empfang zu nehmen.

Zauber der Schwarzwaldlandschaft

Bei ihrer langen Reise dürfte der erst vierzehnjährigen Marie-Antoinette der von der Schwarzwaldlandschaft ausgehende Zauber nicht verborgen geblieben sein. Und vielleicht verspürte sie bei ihrer Rast an der alten Poststation von Hinterzarten sogar den Wunsch, einfach hier zu bleiben und sich in dem stattlichen Schwarzwaldhaus ihrer staatspolitischen Verpflichtung zu entziehen. Und sicherlich wäre sie auch nicht weitergezogen, hätte sie an diesem Tage des Jahres 1770 auch nur entfernt geahnt, dass sie einmal in den Wirren der Französischen Revolution auf dem Schafott unter der Guillotine ihr Leben aushauchen würde.

Alte Poststation Hinterzarten als Teil des Parkhotels Adler

So zog sie nichtsahnend weiter in Richtung Frankreich und ließ die Poststation hinter sich. Ein Anwesen, dem, erstaunlich genug, eine größere Zukunft beschieden war als dem Französischen Königshaus und dem Habsburgischen Kaiserhaus. Denn an dieser Stelle im Hochschwarzwald entstand schon mit dem Ende des Mittelalters bis hinein in die Gegenwart eine mehr als fünfhundert Jahre währende Familientradition, die nun bereits sechzehn Generationen andauert – eine Zeitspanne von der jedes europäische Herrscherhaus in der Tat nur träumen kann.

Habsburgischer Doppeladler im Wappen Eines jedoch verband Marie-Antoinette mit diesem außergewöhnlichen Anwesen: Beide gehörten zum Hause Habsburg, dessen politischer Einfluss sich damals auch über den deutschen Südwesten erstreckte. Folgerichtig wurde irgendwann einmal aus der alten Poststation das „Parkhotel Adler“, das völlig zu Recht den habsburgischen Doppeladler bis heute in seinem Wappen führt. Eine Erfolgsgeschichte, die sich längst als ein Mythos in die Geschichte dieser Region einfügt.

Klausjürgen Wussow als „Professor Brinkmann“

Heute mit einem ähnlichen Bekanntheitsgrad wie die ebenso legendäre „Schwarzwaldklinik“. Jene Kult-Fernsehserie, deren Darsteller, allen voran Hauptakteur Klausjürgen Wussow als „Professor Brinkmann“, sich einst im „Parkhotel Adler“ von den Dreharbeiten erholten. Und mit Ihnen fühlen sich bis heute Größen aus Showbizz und Sport, aus Politik und Kultur wegen seiner stilvollen Eleganz, seiner ausgefallenen Kulinarik und seiner hochrangigen Wellness-Kultur angezogen. Bereits die Eintragungen in das „Goldene Buch“ des Hotels erweisen sich als Fußnoten zur deutschen Zeitgeschichte.

Bizarre Märchenlandschaft der Ravenna-Schlucht

Doch nicht weit entfernt von der Haustür wartet bereits das Abenteuer. Es begegnet in der wildromantischen Ravenna-Schlucht, die vom Höllental abzweigt und zwischen hoch aufragenden Felsvorsprüngen den Ravenna-Fluss ins Tal geleitet. Eine bizarre Märchenlandschaft, in der sich hinter jeder Biegung neue Felsformationen auftun, die der Ravenna-Fluss teilweise nur in freiem Fall bewältigen kann.

Der oftmals von sprühender Gischt durchnässte Fußweg führt bergan über Treppen und Pfade, zerfurchte Galerien und zerbrechlich wirkende Holzbrücken. Und immer wieder zeigen sich mitten im Flussbett phantastische Gebilde Moos überwachsener Gesteinsbrocken. Sie sind es vor allem, die dem kontinuierlichen Rauschen des Gebirgswassers einen jeweils individuellen Klang verleihen. Gerade so, als sei eine Schar munterer Wassernymphen in ein geschwätziges Gespräch vertieft.

Schnaufende Zugmaschinen

Eisenbahn-Viadukt am Eingang der Ravennaschlucht

Das Eingangstor in das Ravenna-Tal könnte gewaltiger nicht sein. Es besteht aus mehreren fast vierzig Meter hohen Steinbögen eines Eisenbahn-Viadukts, mit der die einspurige Bahnlinie auf ihrem Weg von der Rheinebene hinauf ins Gebirge das Flusstal überwindet. Eine architektonische Glanzleistung, die mit ihrer Stabilität die Jahrzehnte überdauert hat.

In Sicht- und Hörweite der schnaufenden Zugmaschinen hat Ary de Geus am Hofgut Sternen sein kleines Reich. Darin ist er umgeben von Kuckucksuhren der unterschiedlichsten Machart in einem Haus, das seitlich selber aussieht wie eine riesige Kuckucksuhr. Die Auswahl der an den Wänden zur Schau gestellten Uhren ist enorm. Doch zielgerichtet zeigt er zunächst auf ein wenig spektakuläres Modell, mit dem die Schwarzwälder Uhrenproduktion im 19. Jahrhundert einst begann. Damals, so erklärt er, war dies ein willkommenes Ventil, mit dem nach schwerer Landarbeit in der Sommerzeit der harte Winter im rauen Gebirge finanziell überbrückt werden konnte.

Kuckucksuhr-Kreationen

Und stets, so zeigt Ary, hat sich dabei das Design dem Zeitgeschmack angepasst. Bis hin zu verrückten Kreationen mit teuren Automarken vor der Hausfassade oder – als Zugeständnis an die bayerischen Nachbarn – mit beweglichen Biertrinkern, die bei jedem Kuckucksruf ihre Maß energisch auf den Tisch knallen lassen. Und selbst für Freunde der „Schwarzwaldklinik“ ist gesorgt. Sie können das Modell des Wohnhauses von „Professor Brinkmann“ für mehrere hundert Euro erstehen, in genau der Form, wie er es einst in der Kult-Soap bewohnt hat.

„Professor Brinkmanns“ Haus als Kuckucksuhr

Doch nicht jeder Nachfrage wird von den Uhrenherstellern entsprochen. Zwar geht inzwischen ein großer Teil der Produktion auf den asiatischen Markt, wo zum Beispiel in China oder Korea die Modelle mit herkömmlichem Original-Antrieb nachgefragt werden. Nur die Japaner mögen es moderner. Sie wollen sich zumeist mit dem mechanischen Aufziehen der Kuckucksuhren nicht anfreunden und verlangen daher nach moderneren Anfertigungen mit Fernbedienung. Doch eine solche Version dieses verspielten Schwarzwald-Mythos gibt es – vorerst – noch nicht.

Schwarzwaldmädel mit Bollenhüten

Alle Wege jedoch im „Naturpark Südschwarzwald“, der die gesamte südliche Hälfte des Schwarzwaldes umfasst, führen wie mit magneticher Anziehungskraft irgendwann in das Städtchen Titisee. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt: vom geräucherten Schwarzwaldschinken bis hin zu Puppen von Schwarzwaldmädeln mit ihren dekorativen Bollenhüten. Allein entlang der Seestraße sind viele Besucher anzutreffen, die nicht genau zu wissen scheinen, ob sie sich mehr für die Reize des malerisch gelegenen Titisees oder eher für die in den Schaufenstern ausgelegten Schwarzwaldprodukte entscheiden sollen.

Servieren der Schwarzwälder Kirschtorte im „Diva Café“

Da erscheint die Frage angebracht, wie sich denn Marie Antoinette heute verhalten würde, wenn sie ihre Reise in Richtung Hinterzarten noch einmal wiederholen könnte. Sicherlich würde sie vor der alten Poststation von damals eine etwas längere Pause einlegen, um sich zunächst die stilvoll herausgeputzten Gebäude anzuschauen. Sodann ginge sie ein paar Schritte hinüber zum neuen „Café Diva“, um sich dort im gediegenen Ambiente der „Belle Epoque“ ein Stückchen Schwarzwälder Torte servieren zu lassen.

Schokoladenraspel und Hochprozentiges

Jenes unglaublich hohe mit Sahne und hauchdünnen Schokoladenraspeln überzogene Backwerk, das sich – in mehreren Schichten mit hochprozentigem Kirschwasser getränkt – nicht nur wegen seines Volumens als besonders gehaltvoll erweist. Vielleicht der schönste Mythos des Schwarzwaldes, der nicht zuletzt wegen der verkehrstechnischen Erschließung des Hochschwarzwalds seinen Siegeszug in die besten Konditoreien der Welt angetreten hat.

HIER GEHTS ZUR FOTOSTRECKE HOCHSCHWARZWALD:

 

Reiseinformationen „Hochschwarzwald“:

Anreise

Mit dem Auto über die A5, ab Freiburg weiter über die B31; mit der Bahn bis Freiburg, dort umsteigen in Richtung Hinterzarten/Titisee

Reisezeit

Ganzjährig: ein enges Netz von Wanderwegen in der Sommersaison und hervorragende Ski-Möglichkeiten in der Wintersaison

Unterkunft

Es gibt ein weit verzweigtes Netz von Hotels und Pensionen; herausragend das „Parkhotel Adler“ in Hinterzarten, www.parkhoteladler.de

Hochschwarzwald Card

Bei mindestens zwei Buchungen stellen mehr als 230 Gastgeber kostenlos die Hochschwarzwald Card aus. Sie gilt für über 50 Attraktionen im Hochschwarzwald. www.hochschwarzwald-card.de

 

Auskunft

Hochschwarzwald Tourismus GmbH, www.hochschwarzwald.de; Naturpark Südschwarzwald, www.naturpark-suedschwarzwald.de

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