Eva Ellereit in Skopje über die Einigung im Namensstreit zwischen Mazedonien und Griechenland.

Am Wochenende haben Griechenland und Mazedonien ihren jahrzehntelangen Namensstreit beigelegt. Was bedeutet dieser Schritt?

Griechenlands Regierungschef Tsipras und sein mazedonischer Amtskollege Zaev

Dieser Schritt bedeutet vor allem für Mazedonien sehr viel, denn der seit 1991 bestehende Namensstreit blockierte den Weg zu einem möglichen EU-und NATO-Beitritt. Nun haben sich die beiden Länder darauf geeinigt, dass sich das griechische Nachbarland zukünftig Republik Nord-Mazedonien nennen wird. Die Bezeichnung „mazedonisch“ für die Sprache darf aber ohne Zusatz bestehen bleiben. Die Namensänderung ist für Mazedonien ein großer Schritt, auch die Verfassung muss geändert werden. Darum wird es in Mazedonien auch noch ein Referendum über das Abkommen geben. Zwar ist also zwischen den Regierungen eine Lösung gefunden, aber zunächst muss das Abkommen noch in beiden Ländern durch das Parlament ratifiziert werden und in Mazedonien gibt es auch noch ein Referendum. Das ist für Herbst vorgesehen. Nach dem Referendum muss dann das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit für das Abkommen und damit für die Verfassungsänderung stimmen. Bis dahin kann aber von Gegnern der Lösung in beiden Ländern noch viel Unruhe gestiftet werden, die diese Schritte gefährden kann.

Heißt das, der Konflikt ist noch gar nicht sicher beigelegt? Wie fielen die Reaktionen in den Ländern auf die Einigung der Regierungen aus?

In Griechenland gab es sehr feindselige und negative Reaktionen, die die Erleichterung in progressiven Kreisen deutlich übertönten. In Mazedonien überwogen erstmal vor allem Freude, Erleichterung und Zuspruch für die Lösung. Als der mazedonische Ministerpräsident Zoran Zaev mit der gesamten Regierung vor die Presse trat und betonte, dass das Abkommen die Grundlage für eine „große Freundschaft“ mit Griechenland und für eine europäische Perspektive des Landes steht, wurde vielerorts gefeiert. Noch emotionaler war die Unterzeichnung des Abkommens am vergangenen Wochenende. So greifbar nah war die Lösung noch nie. Aber natürlich ist es auch ein großer Schritt, den Landesnamen zu ändern, auch progressive Gruppen tun sich damit nicht leicht. Hinzu kommt eine gewisse Frustration: Seit 27 Jahren stehen die Mazedonen aufgrund des Streits im Warteraum. Dass nun tatsächlich der Durchbruch geschafft ist, glauben manche schlicht nicht. Zu oft haben sie erlebt, dass der Fortschritt durch politisches Taktieren und persönliche Eitelkeiten doch noch scheiterte. Die Opposition nutzt diese Zweifel aus und kritisierte das Abkommen als Kapitulation. Auch der Präsident Gjorge Ivanvov kündigte ebenfalls an, das Gesetz zum Abkommen nicht zu unterzeichnen, sollte dieses durch das Parlament ratifiziert werden.

Können diese Reaktionen das Abkommen noch zum Scheitern bringen?

Der Präsident hat das Recht, nach der Ratifizierung ein Veto einzulegen, kann dies aber nur einmal tun. Das heißt, er muss das Gesetz spätestens nach der zweiten Bestätigung durchs Parlament unterschreiben – es ist aber nicht festgelegt wann. Das gibt ihm eine Blockademöglichkeit. Positiv waren hier die umgehenden Reaktionen aus der EU: Der bulgarische Premierminister Bojko Borisov sagte prompt nach Ivanovs Äußerungen ein Treffen mit ihm ab und auch aus der Europäischen Volkspartei (EPP) kamen klare Worte: Man hoffe, dass dieser Durchbruch nun von allen politischen Kräften konstruktiv unterstützt werde. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn machte deutlich, dass die EU-Kommission das Abkommen unterstützt – mit oder ohne den Präsidenten.

Der Parteivorsitzende der größten Oppositionspartei VMRO-DPNME, Hristijan Mickoski, kündigte dagegen nach Bekanntwerden der Lösung an, dass seine Partei keine Verfassungsänderung akzeptieren wird. Mit dem Referendum stellt Zaev sicher, dass die VMRO sich nicht einfach verweigern kann. Es geht nicht nur um ein Abkommen, das er abgeschlossen hat, sondern um den Wählerwillen. Es bleibt abzuwarten, wie Mickoski und die VMRO sich zum geplanten Referendum verhalten werden.

Die heftigen Reaktionen in Griechenland kulminierten in einem Misstrauensvotum gegen Premier Alexis Tsipras, das aber erfolglos blieb. Wichtig ist nun Unterstützung für beide Regierungen. Diese müssen der Bevölkerung nun beweisen und erklären, dass es ihr Abkommen ist, ihren Interessen hilft.

Die mazedonische Regierung ist erst seit einem Jahr im Amt und zeigt sich sehr reformorientiert. Steht und fällt mit dem Namensstreit der Rückhalt der Regierung?

Der Ministerpräsident  Zoran Zaev hat all sein politisches Kapital an diese Frage geheftet. Der konsequent vorangetriebene Reformprozess und die historischen Vereinbarungen mit den Nachbarländern Bulgarien und nun Griechenland ist in der Region einzigartig. Das stärkt Zaev in Europa den Rücken. Seine sozialdemokratisch geführte Regierung kann damit auch dringend benötigte Erfolge im eigenen Land verkaufen. Aber viele Menschen sind frustriert, sie warten nun auch auf eine spürbare Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Mit der Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen könnte den Menschen glaubhaft vermittelt werden, dass der Wandel des vergangenen Jahres nachhaltig ist. Sie hätten damit eine Zukunftsperspektive.

Inwiefern kann sich die zukünftige Republik Nord-Mazedonien denn Hoffnung machen auf einen EU-Beitrittsprozess und eine Nato-Mitgliedschaft?

NATO-Generalsekretär Stoltenberg nannte die Einigung „historisch“ und unterstrich, dass dies für Skopje den Weg in die NATO frei macht. Am 11.-12. Juli findet der NATO-Gipfel statt, in dem die Aufnahme Mazedoniens beschlossen werden könnte.

Mit der EU ist es komplizierter: Mazedonien ist seit 2005 Beitrittskandidat. Nach der positiven Empfehlung der EU-Kommission Anfang des Jahres, nun die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen und nach der Lösung im Namensstreit, die ein „Nein“ der griechischen Seite in Zustimmung umwandeln dürfte, stehen die Chancen eigentlich gut. Aber aufgrund der aktuellen großen Skepsis, was eine weitere EU-Erweiterung angeht, ist noch nicht klar, was bei der Sitzung des Rats am 28. Juni in Brüssel entschieden wird. Frankreich und die Niederlande sind sehr skeptisch, die politische Unruhe in der deutschen Regierungskoalition verunsichert die mazedonische Öffentlichkeit ebenfalls. Klar ist: Das Zeitfenster ist einmalig. Mit einem vergleichsweise kleinen Schritt, der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien, könnte Großes erreicht werden: Die Bevölkerung würde Hoffnung schöpfen, dass das Land eine Zukunft hat und sie es nicht verlassen müssen. Auch für die ganze Region des Westbalkans wäre dies ein Zeichen, dass ein strenger Reformkurs sich auszahlt. Vor allem aber würde die EU sich selbst etwas beweisen: Die Europäische Idee lebt noch und hat noch immer Strahlkraft.

Eva Ellereit leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Skopje. Zuvor hat sie für die Stiftung seit 2014 in Berlin zu den Themen Digitalisierung und Geschlechtergerechtigkeit gearbeitet, später in Bonn für das Landesbüro Nordrhein-Westfalen sowie als Projektassistentin im FES-Büro im Kosovo. Sie hat Politikwissenschaft in Berlin und Bologna studiert.

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