Regisseur İlker Çatak hat ein abgründiges Drama über eine Lehrerin inszeniert, die in einer moralischen Zwickmühle landet. “Das Lehrerzimmer” ist sieben Mal für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Das Lehrerzimmer – Leonie Benesch © Alamodefilm

Carla Nowak (Leonie Benesch) fühlt sich unwohl. Als zwei andere Lehrer ihrer Schule die Klassensprecher ihrer 7. Klasse dazu überreden, Hinweise auf andere Kinder zu geben, die möglicherweise gestohlen haben, überschreiten sie eine Grenze. Sie verwenden die Klassensprecher als Spitzel. Nicht besser wird die Situation, als kurz danach alle Jungen in Carla Nowaks Klasse ihre Geldbeutel vorzeigen müssen – natürlich „freiwillig“, denn schließlich hat ja niemand etwas zu verbergen, oder? In Alis Portemonnaie findet sich eine außergewöhnlich große Geldsumme. Steckt Ali hinter den Diebstählen, die sich in jüngster Zeit in der Schule ereignet haben? Alis Eltern können den Vorwurf entkräften. Aber ein ungutes Gefühl bleibt. Wurde Ali verdächtigt, weil er aus einer Familie mit türkischen Wurzeln stammt?
Auch Carla Nowak, die noch am Beginn ihrer Laufbahn steht und erst seit etwa einem halben Jahr
an der Schule arbeitet, ist zunehmend verunsichert. Dann will sie es wissen. Im Lehrerzimmer richtet sie ihre Laptopkamera auf ihre Jacke, in der sich ihr Geldbeutel befindet, und beginnt eine heimliche Aufzeichnung. Kurze Zeit später ist ein Teil des Geldes tatsächlich weg. Auf den Aufnahmen ist nur eine Bluse mit einem markanten Muster zu sehen, die auf die Sekretärin Frau Kuhn, eigentlich die gute Seele der Schule, verweist.

Leo Stettnisch © Alamodefilm

Carla Nowak stellt sie zur Rede, doch Frau Kuhn streitet alles ab. Ab diesem Zeitpunkt nimmt eine Kette unglücklicher Ereignisse ihren Lauf. Carla Nowak gerät in Bedrängnis, weil sie mit ihren heimlichen Aufnahmen gegen die Persönlichkeitsrechte der anderen Lehrer verstoßen hat. Zudem ist Frau Kuhns begabter Sohn Oskar in ihrer Klasse; Oskar weiß nicht, warum seine Mutter suspendiert wurde, ist aber zunehmend wütend auf seine Lehrerin, die er
als Schuldige ausmacht. Auch die Schülerzeitung erfährt von dem Verdacht und den Aufnah
men und beginnt, darüber zu berichten. In der Klasse von Carla Nowak wird unterdessen Oskar aufgrund des Verdachts, seine Mutter sei eine Diebin, bloßgestellt.

In seiner Verzweiflung zerstört Oskar schließlich den Laptop von Carla Nowak, um die vermeintlichen Beweise zu vernichten, und verletzt bei dieser Aktion auch seine Lehrerin. Carla Nowak setzt sich trotzdem in einer Lehrerkonferenz für Oskar ein – doch die anderen Lehrer stimmen für einen vorübergehenden Ausschluss vom Unterricht. Als Oskar sich nicht daran hält und trotzdem in die Schule kommt, wird die Lage noch komplizierter. Oskar fordert Gerechtigkeit ein – aber die Sanktionsmaßnahmen haben sich zu diesem Zeitpunkt schon verselbstständigt.
Insbesondere die Wahrheitsfindung wird zu einem zentralen Problem. Am Anfang erklärt Carla Nowak ihren Schüler noch, dass jeder Beweis eine genaue Herleitung braucht – doch bei der Anklage von Frau Kuhn hält sie sich
selbst nicht daran. Das Muster der Bluse auf dem Video reicht ihr als Beweis.
Auch wenn die Beweislast in diesem Kontext ziemlich erdrückend wirkt, bleibt doch ein ungutes Gefühl.


Mit “Das Lehrerzimmer”gelingt dem preisgekrönten Regisseur Ilker Çatak ein elektrisierendes Werk über den Mikrokosmos Schule als Spiegel unserer Gesellschaft. Leonie Benesch kreiert durch ihre fesselnde Darstellung einer jungen Pädagogin, die mehr und mehr zwischen die Fronten gerät, eine dichte Atmosphäre, die von Anfang an in den Bann zieht. Anhand ihrer Geschichte hinterfragt der Film auf kritische Weise unsere aktuelle Debattenkultur und entfacht somit eine grundlegende Diskussion rund um Wahrheit und Gerechtigkeit. In den weiteren starken Rollen sind u.a. Eva Löbau und Michael Klammer zu sehen. Kamerafrau Judith Kaufmann (CORSAGE) zeichnete für die eindringliche Bildgestaltung verantwortlich.


Deutschland 2022, 94 Min.

Deutsche Originalfassung

Kinostart: 4. Mai 2023, Alamode Film

Regie
İlker Çatak
Drehbuch
İlker Çatak, Johannes Duncker
Kamera
Judith Kaufmann
Schnitt
Gesa Jäger
Musik
Marvin Miller
Produzent
Ingo Fliess
Darsteller:
Leonie Benesch (Carla Nowak),
Michael Klammer (Thomas

Liebenwerda), Rafael

Stachowiak (Milosz Dudek),

Eva Löbau (Friederike Kuhn) u. a.

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