Rezension von Dr. Aide Rehbaum
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Foto Alfaguara

Die argentinische Autorin hat mit ihrem Roman ein Pulverfass aufgemacht. Im südamerikanischen Kulturraum, wo die Kirche wohl einen großen Einfluss hat, reißt sie das Anprangern der rigiden, um nicht zu sagen bigotten, Sexualmoral der katholischen Kirche hin. Dazu bedient sie sich der Geschichte einer Familie, die sie aus unterschiedlichen Perspektiven zu Wort kommen lässt. Hauptakteure sind der Vater, drei Töchter, ein Schwiegersohn und ein Enkel.

Ana, die jüngste der Töchter, ist vor dreißig Jahren offenbar ermordet worden, woraufhin sich die mittlere, Lía, von der Familie losgesagt hat und nichts mehr mit ihr zu tun haben will. Instinktiv spürt sie, dass die anderen Beteiligten etwas verschweigen. Sie geht nach Europa und eröffnet dort eine Buchhandlung. Die Atheistin Lía hat sich als Zuflucht vor dem Katholizismus ausgerechnet den berühmtesten Pilgerort der Welt, Santiago de Compostela, für ihr Geschäft ausgesucht. Plötzlich steht die dritte Schwester, Carmen, vor ihr, die ihren Sohn sucht, der seit geraumer Zeit unauffindbar ist. Mateo hat sich aus der umklammernden Kontrolle seiner Eltern mit Hilfe seines Opas befreit. Der war Geschichtslehrer und kurz vor seinem Tod will er reinen Tisch machen.

Mateo, dem er deshalb einen Brief für Lia mitgegeben hat, erkundet und zeichnet in dessen Auftrag zunächst auf dem Kontinent berühmte Kathedralen, was zum Handlungsverlauf wenig beiträgt und sehr oberflächlich bleibt. Der Leser merkt bald, dass der Opa nicht die ganze Wahrheit kennt.

Mateos Vater wollte ursprünglich Priester werden, hatte sein Studium abgebrochen und sich für Carmen entschieden. Die beiden gehen ganz in ihrem Glauben auf, ohne Rücksicht auf Verluste leben sie eine nach außen gottgefällige Ehe. Den makellosen Schein darf kein sündhaftes Verschulden ankratzen. Ihm opfern beide jedes Mitgefühl. Die Figuren sind eindimensional angelegt, Gut und Böse sind klar aufgeteilt.

Der Spannungsbogen ist zwar gut aufgebaut, bis er nach etwa zwei Drittel abreißt, da die Auflösung klar ist. Das ständige Verweisen auf Kathedralen wäre so dick aufgetragen nicht nötig gewesen, um die Botschaft zu verstehen. Der Roman liest sich jedoch unterhaltsam in einem Rutsch. Eine geeignete Ferienlektüre.

 

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.

Unionsverlag
Neptunstr. 20
8032 Zürich

 Hardcover
€ 24.00, FR 32.00, € [A] 24.70
Gebunden
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320 Seiten
ISBN 978-3-293-00592-1
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