Politik: Bittere Realität

Trumps Drängen auf einen schnellen Deal bringt die Ukraine in eine existenzielle Zwickmühle. Europa kann den USA kaum etwas entgegensetzen.

Zwei schlechte Optionen und kein Ausweg? Selenskyjs Spielräume schrumpfen.

Angesichts der schieren Zahl an Gipfeltreffen, Gesprächen und bilateralen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten, der Ukraine und Russland seit Beginn von Trumps Amtszeit war ein Déjà-vu-Gefühl bei den jüngsten Gesprächen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Trumps Sondergesandtem Steve Witkoff nur allzu verständlich. Die zentralen Streitpunkte sind im Kern dieselben wie bereits im Februar dieses Jahres: Sicherheitsgarantien für die Ukraine und territoriale Zugeständnisse an Russland.

Doch diesmal ist die Lage eine andere, denn die Ukraine steckt tiefer in der Krise als zu jedem Zeitpunkt seit Trumps Rückkehr ins Amt. Kiew hat bereits signalisiert, zu weitreichenden Zugeständnissen bereit zu sein. Die wenigen Verbündeten der Ukraine innerhalb der Trump-Regierung sind jedoch ins Abseits gedrängt worden, und Europa ist nicht in der Lage, den schwindenden Rückhalt aus Washington zu kompensieren. Ironischerweise ist der derzeit wohl größte Verbündete der Ukraine in gewisser Weise Wladimir Putin selbst, dessen Unnachgiebigkeit einem für Russland günstigen Deal im Wege steht und Trump möglicherweise zu verärgern droht. Doch da die Geduld des US-Präsidenten zunehmend schwindet, könnte die Ukraine schon sehr bald gezwungen sein, einem Abkommen zuzustimmen, das sie eigentlich ablehnt.

Wie so oft sind die Karten nicht auf Selenskyjs Seite. Trump und seine Gesandten wollen vor allem ein schnelles Ende des Krieges und behandeln zentrale Fragen wie territoriale Kontrolle oder die Sicherheitsarchitektur Osteuropas nach dem Krieg als lästige Details, die Trumps heiß ersehntem „neunten“ Friedensdeal im Weg stehen (zusätzlich zu den acht, deren Zustandekommen er bereits für sich reklamiert). Selenskyj hat alles in seiner Macht Stehende getan, um dem US-Präsidenten entgegenzukommen. Doch diesmal dürfte selbst das nicht ausreichen. Trump scheint zu dem Schluss gelangt zu sein, dass der schnellste Weg zum Kriegsende darin besteht, die Ukraine zur Kapitulation zu Russlands Bedingungen zu zwingen.

Auf diese Linie steuert Trump bereits seit einiger Zeit zu, und Russlands jüngste Zurückweisung seines Friedensvorschlags Anfang des Monats scheint diesen Kurs noch verstärkt zu haben. Juri Uschakow, einer der führenden russischen Unterhändler, erklärte, sämtliche ukrainischen oder europäischen Vorschläge würden auf „scharfen Widerspruch“ stoßen. Russlands Botschafter in Großbritannien wiederum erklärte, das Einzige, worüber die Ukraine verhandeln solle, sei ihre „Kapitulation“. Die Trump-Regierung hat diese Denkweise offenbar verinnerlicht: Bei den Gesprächen in Berlin soll sie darauf bestanden haben, dass sich die Ukraine aus den von ihr kontrollierten Teilen der Oblast Donezk zurückzieht, um ein Friedensabkommen möglich zu machen – ein Ziel, das Russland seit Beginn seiner Invasion verfolgt.

Selenskyj hat mehrere Handlungsoptionen und keine davon ist gut.

Als Reaktion auf Trumps Forderungen hat Selenskyj zugestimmt, Wahlen in der Ukraine abzuhalten. Um das Angebot noch attraktiver zu machen, erklärte er zudem überraschend, auf die NATO-Beitrittsambitionen seines Landes zu verzichten – ein massiver Kurswechsel auf Seiten der Ukraine. Doch auch wenn solche Zugeständnisse Selenskyj in der Vergangenheit geholfen haben, Russland in Trumps Augen als eigentlichen Störenfried erscheinen zu lassen, dürften sie diesmal kaum mehr bewirken, als Trump davon zu überzeugen, dass Selenskyj tatsächlich formbar genug ist, um weitere Zugeständnisse im Interesse der USA und Russlands durchzusetzen.

Selenskyj hat mehrere Handlungsoptionen und keine davon ist gut. Wie immer kann er versuchen, sich auf Europa zu stützen: diplomatisch im Umgang mit Trump, finanziell zur Stützung der ukrainischen Verteidigung sowie mit Blick auf Sicherheitsgarantien gegenüber Russland, sowohl kurzfristig als auch mit Blick auf die Zeit nach einem möglichen Waffenstillstand. 

Diesen Weg scheint er nach den Berliner Gesprächen eingeschlagen zu haben. Bundeskanzler Friedrich Merz hat Trump umworben, eine Erklärung veröffentlicht, die die Sicherheitsbedürfnisse der Ukraine nach dem Krieg betont, und europäische Staats- und Regierungschefs von Polen bis Großbritannien mobilisiert, um der Ukraine den Rücken zu stärken.

Doch es ist kein Geheimnis, dass Europas Einfluss weitgehend illusorisch ist. Seit Beginn der aktuellen Verhandlungsphase ist es den EU-Staaten nicht gelungen, die von Trump gegenüber Russland unterbreiteten Vorschläge substanziell zu beeinflussen. Putin hat gezielt versucht, die Europäer als „Kriegspartei“ darzustellen, und es scheint, als habe die Trump-Regierung diesen Köder geschluckt. Der US-Präsident betrachtet Europa zunehmend als Gegenspieler, wie auch die jüngste Nationale Sicherheitsstrategie zeigt. In Gesprächen nach den Berliner Verhandlungen haben die Europäer ein Konzept für Sicherheitsgarantien vorgelegt, das eine Zusammenarbeit mit den USA sowie eine europäisch geführte „multinationale Truppe“ in der Ukraine vorsieht. Das mag Selenskyj ermutigen, doch es ist völlig offen, ob die Vereinigten Staaten sich darauf einlassen werden. Russland lehnt jegliche Präsenz von NATO-Staaten in der Ukraine nach dem Krieg ohnehin ab und es gibt wenig Anlass zu glauben, dass Trumps Team Putin in dieser Frage unter Druck setzen würde.

Der vielleicht einzige Lichtblick derzeit sind die ukrainischen Streitkräfte.

Für Europa und die Ukraine gilt leider: Alle derartigen Friedenspläne sind auf die Zustimmung Washingtons angewiesen. Trotz Fortschritten in der eigenen Rüstungsindustrie und eines geschlossenen diplomatischen Auftretens gegenüber den USA kann Europa die amerikanische Unterstützung für die Ukraine weder militärisch noch im Bereich der Aufklärung ersetzen. NATO-Generalsekretär Mark Rutte räumte diesen Monat ein, dass Europa über keinen Plan B jenseits der Abhängigkeit von den USA verfüge – obwohl die Trump-Regierung signalisiert hat, ihre Unterstützung bis 2027 weitgehend einzustellen.

Der vielleicht einzige Lichtblick derzeit sind die ukrainischen Streitkräfte. Diese nutzen jede Gelegenheit, um zu zeigen, dass Russlands langsamer Vormarsch im Osten der Ukraine keineswegs unaufhaltsam ist. Nachdem Russland öffentlich behauptet hatte, die Stadt Kupjansk in der Oblast Charkiw eingenommen zu haben, vertrieben ukrainische Truppen russische Soldaten rasch aus dem Gebiet. Die Lage war so stabil, dass Selenskyj selbst die Stadt besuchen und unweit der Frontlinien ein triumphales Video aufnehmen konnte. Dafür gab es guten Grund: Ein wesentlicher Teil von Trumps prorussischer Haltung speist sich aus der Wahrnehmung eines unaufhaltsamen russischen Vormarschs. Ob die Ukrainer ihren Erfolg von Kupjansk auch an anderen, stärker befestigten Frontabschnitten wiederholen können, bleibt jedoch offen. Doch die Schlacht könnte Trump vor Augen führen, dass Russland keineswegs unbesiegbar ist – vorausgesetzt, er schaut genau hin.

Die bittere Wahrheit für Selenskyj ist jedoch, dass all dies womöglich zu wenig ist und zudem zu spät kommt. Früher oder später wird er vor jener Entscheidung stehen, die er Ende November in einem düsteren Video angekündigt hat: „entweder der Verlust der Würde oder das Risiko, einen zentralen Partner zu verlieren“. Entscheidet er sich für Ersteres, droht seinem Land die Aufteilung durch einen Feind und einen ehemaligen Verbündeten. Entscheidet er sich für Letzteres, könnten die USA ihn fallen lassen – zugunsten einer neuen wirtschaftlichen und politischen Annäherung an Russland. Die Ukraine und Europa wären dann Moskau schutzlos ausgeliefert.

Michał Kranz ist freiberuflicher Journalist, der über Politik in den Vereinigten Staaten, im Nahen Osten und in Osteuropa berichtet hat. Er hat für eine Vielzahl internationaler englischsprachiger Publikationen Originalbeiträge in Form von Print-, Foto- und Videonachrichten aus der Ukraine, dem Libanon, Polen und New York City produziert.

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