Ein simples Njet

Deutschland streitet über die Beteiligung der Bundeswehr an einer multinationalen Schutztruppe für die Ukraine. Doch die Frage stellt sich gar nicht.

Der Kampfpanzer Leopard 2 A6M im Einsatz ©seppspiegl

Bei den oft sprunghaften Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur Beendigung des Ukrainekriegs stand die EU zuletzt häufig wie ein Zuschauer daneben. Eine Rolle, die ihr kaum behagen konnte, verfügt Brüssel doch über eine lange Tradition als diplomatisch aktiver Vermittler, etwa im Kosovokonflikt oder der Zypernkrise. Umso größer fiel die Freude in deutscher Politik und Presse aus, als die New York Times berichtete, die US-Diplomatie habe beim jüngsten Treffen in Berlin die EU-Forderung nach europäischen Truppen in der Ukraine als Sicherheitsgarantie übernommen.

Für Überraschung sorgte zudem anschließend die verbreitete Schlagzeile, Kreml-Sprecher Dmitri Peskow schließe das Thema Friedenstruppen nicht grundsätzlich aus, anders als viele bisherige EU-Vorschläge zuvor. Er bezeichnete die Initiative schlicht als „Gegenstand für Diskussionen“. In den Kurzmeldungen ging jedoch unter, dass er im selben Statement die Stationierung von EU-Militärpersonal in der Ukraine weiterhin ausschließt, insbesondere wenn dieses aus NATO-Mitgliedstaaten käme. Trotz dieses im aktuellen Moskauer Tonfall relativ gemäßigten Signals sollte man sich nicht der Illusion hingeben, Russland werde im Rahmen von Verhandlungen ein EU-dominiertes Militärkontingent akzeptieren. Ein Festhalten an dieser Forderung könnte sogar ein Scheitern jeglicher Gespräche über einen Waffenstillstand oder Frieden provozieren, selbst wenn Moskau angesichts wirtschaftlicher Probleme grundsätzlich zu Verhandlungen bereit wäre.

In diesem Zusammenhang ist die akademische Frage, wie sich „Sicherheitstruppen“ von „Friedenstruppen“ unterscheiden, kaum relevant. In beiden Fällen handelt es sich um Truppen, die zwecks Deeskalation vor Ort stationiert werden sollen. Entscheidend ist, dass beide Konfliktparteien ihrer Zusammensetzung zustimmen. Ist diese ausschließlich westlich oder zumindest westlich dominiert, wird das Einverständnis aus dem Kreml ausbleiben.

Hierfür lohnt ein Blick auf die Motive, mit denen Moskau 2022 die Invasion rechtfertigte und bis heute legitimiert. Ein zentrales Argument lautet, das Vordringen des Westens an Russlands Grenzen zu stoppen. Russland betrachtet die Ukraine ebenso wie Belarus als Pufferstaat, Nationalisten sehen sie gar als „russisches Land“, ungeachtet des Selbstverständnisses der dortigen Bevölkerung. Die frühere, zähneknirschende Akzeptanz der NATO-Osterweiterung wird in Moskau – über radikale Kreise hinaus – als außenpolitischer Fehler gesehen. Vor diesem Hintergrund wird man westliche Truppen auf ukrainischem Boden niemals akzeptieren, unabhängig davon, ob sie als Friedens- oder Sicherungskräfte auftreten.

Moskau bewertet jede Präsenz von NATO-Truppen in der Ukraine als Eskalationsrisiko und strebt eine Sicherheitsordnung in Osteuropa an, die ohne westliche Beteiligung auskommt. Den wachsenden Einfluss Chinas in Eurasien muss Russland hinnehmen, gegenüber dem Westen besteht diese Bereitschaft nicht. Ein Kompromiss an dieser Stelle wäre aus Moskauer Sicht ein gefährlicher Präzedenzfall für Konflikte wie in Georgien oder Moldau, wo ebenfalls versucht wird, westlichen Einfluss zurückzudrängen.

Moskau bewertet jede Präsenz von NATO-Truppen in der Ukraine als Eskalationsrisiko.

Diese Haltung entspringt nicht allein dem in den letzten Jahren radikalisierten Nationalismus der russischen Führung, sondern speist sich auch aus historischen Erfahrungen mit Bedrohungen aus dem Westen – vom napoleonischen Frankreich bis zu Hitlerdeutschland. Nicht umsonst greifen russische Medien solche Vergleiche gezielt auf, um die zunehmend kriegsmüde Bevölkerung bei der Stange zu halten.

Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kreml Friedenstruppen grundsätzlich ablehnt. Aus ukrainischer Sicht sind sie angesichts der realen Bedrohung unverzichtbar. Sie müssten jedoch aus Staaten stammen, die für beide Seiten als neutral gelten. Vor allem große Akteure des Globalen Südens wie Indien oder China kommen in Betracht. Allerdings würde Indien sich höchstens im Rahmen eines UN-Mandats beteiligen, China schließt eine Teilnahme bislang vollständig aus.

Die massive Konzentration von Militärgerät in der Ostukraine legt aber nahe, dass die Sicherheit vor Ort durch militärisch starke Staaten gewährleistet werden müsste, um einen Aggressor wirksam abzuschrecken. Eine besondere Rolle könnte die Türkei spielen. Trotz NATO-Mitgliedschaft betont sie ihre Neutralität im Ukrainekrieg und wurde für Gespräche wie in Istanbul von beiden Seiten akzeptiert. Eine Beteiligung an einer rein westlichen Mission lehnt Ankara zwar ab, könnte sich jedoch an einer breiter legitimierten, internationalen Truppe beteiligen. Eine Teilnahme großer Staaten des Globalen Südens wird es jedoch nur auf Grundlage eines UN-Mandats oder eines ähnlich neutralen Rahmens geben. Staaten wie Indien oder China werden nicht das Leben ihrer Soldaten weit entfernt von der Heimat aufs Spiel setzen, nur weil Washington dies verlangt.

Angesichts des bisherigen Verlaufs der Verhandlungen zwischen den Regierungen Trump und Putin ist es wenig wahrscheinlich, dass die nun in Florida fortgesetzten Gespräche schnell zu Ergebnissen führen. Auch unter gemäßigten russischen Außenpolitik-Experten wie Andrej Kortunow herrscht große Skepsis gegenüber den weitreichenden, wechselhaften und stark auf wirtschaftliche „Deals“ zugeschnittenen US-Vorschlägen. Auf der anderen Seite würden jedoch selbst harte Moskauer Falken eine von Putin selbst getragene Vereinbarung kaum offen infrage stellen. Zu groß wäre die Gefahr, die volle Wucht der russischen Staatsmacht abzubekommen.

Umso wichtiger ist, dass eine mögliche Einigung, die das massenhafte Sterben in der Ukraine zumindest unterbrechen könnte, nicht an unrealistischen Forderungen der Europäer scheitert. Das liegt auch im Interesse der ukrainischen Bevölkerung, die – wie inzwischen große Teile der russischen Gesellschaft – Frieden wünscht.

Die bereits angestoßene Debatte, ob Deutschland sich an einer Truppe vor Ort beteiligen sollte, erübrigt sich angesichts des fehlenden Realitätsbezugs. Russland betrachtet Deutschland längst nicht mehr als Vermittler, und wird aufgrund der schwierigen gemeinsamen Geschichte niemals deutsche Truppen in der Ostukraine akzeptieren. Noch immer steht deutsches Militär in russischer Erinnerung für alles andere als Frieden, nach dem sich auch viele Russen angesichts wachsender Opferzahlen sehnen.

Roland Bathon ist freier Journalist. Er schreibt vor allem zu Russland und Osteuropa.

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