Deutsche Redewendung: „Jemandem eine Abfuhr erteilen“
von Sepp Spiegl
„Eine klare Abfuhr“ – warum wir so gerne hart abweisen
„Ich habe ihm eine klare Abfuhr erteilt.“ – Sätze wie dieser tauchen in der deutschen Sprache auffällig oft auf. Ob im Privatleben, in der Politik oder in den Wirtschaftsseiten: Die Abfuhr ist ein
Allzweckwort für entschiedene Zurückweisung. Sie klingt zunächst etwas streng, manchmal gar schroff – und genau darin liegt auch ihre Wirkung. Aber warum greifen wir so gerne auf diese Redewendung zurück, und was macht sie so wirkungsvoll?
Von Karren und Körben
Der Ursprung liegt im 19. Jahrhundert. „Abfuhr“ meinte damals schlicht den Abtransport – von Holz, Steinen oder Abfällen. Wer etwas „abfuhr“, brachte es weg. Bald übertrug man das auch auf Menschen und ihre Bitten. Sprachwissenschaftler Michael Müller erklärt: „Die Abfuhr war ursprünglich etwas Handfestes. Heute schwingt darin noch immer der Gedanke mit, jemanden nicht dabeizuhaben, ihn wegzuschicken.“ So wurde aus dem neutralen Transportbegriff eine scharfe Form der Ablehnung. Und die hat es in sich: Während eine „Absage“ noch höflich klingt, ist eine „Abfuhr“ ein Schlag ins Gesicht.
Zwischenmenschlich: der berühmte Korb
Am bekanntesten ist die Redewendung wohl im Alltag – beim Flirten. „Ich habe ihn gefragt, ob wir uns treffen wollen. Er hat mir eine Abfuhr erteilt.“ Das klingt schon härter als „er hat abgesagt“. Psychologin Jana Keller sagt dazu: „Die Formulierung transportiert Machtgefälle. Wer eine Abfuhr erteilt, entscheidet. Wer sie bekommt, ist machtlos.“ Die berühmteste Variante ist der sprichwörtliche „Korb“. Auch hier steckt ein Bild dahinter: Im Mittelalter ließ eine Frau einen unerwünschten Bewerber wortwörtlich an einem Korb am Fenster ab. Wer nicht hereindurfte, bekam also den Korb – eine Abfuhr in der Frühform.
Im Alltag taucht die Redewendung häufig in zwischenmenschlichen Situationen auf:
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Ein Schüler möchte etwas durchsetzen, erhält aber von Lehrern oder Eltern eine Abfuhr.
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Auch im Freundeskreis oder in Diskussionen kann man „eine Abfuhr erteilen“, wenn man einem Vorschlag energisch widerspricht.
Die Wendung klingt oft etwas negativ, weil sie mit einem Gefühl der Zurückweisung verbunden ist. Gleichzeitig kann sie auch positiv wirken, wenn sie Klarheit schafft und Grenzen setzt.
In Politik und Wirtschaft: Schlagzeilen mit Wumms
In den Medien ist die Redewendung fast allgegenwärtig. „Bundestag erteilt Reform eine Abfuhr“, „Unternehmen erteilen Übernahmeangebot eine Abfuhr“ oder „Bürger erteilen Populisten eine Abfuhr“ – solche Schlagzeilen finden sich fast täglich. Warum? Weil das Wort kurz, bildstark und unmissverständlich ist. Eine „Absage“ klingt fad. Eine „Abfuhr“ dagegen hat etwas Endgültiges, fast Theatralisches. Ein Beispiel: Als die EU 2022 über eine Gaspreisdeckelung stritt, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Scholz erteilt EU-Forderung eine Abfuhr.“ Statt eines nüchternen „Nein“ wird hier eine ganze Szene miterzählt: jemand bittet – und wird hart abgewiesen.
In der Geschäftswelt wird die Redewendung gerne in Medienberichten verwendet:
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Ein Unternehmen erteilt einer feindlichen Übernahme eine Abfuhr.
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Gewerkschaften erteilen einem unattraktiven Tarifangebot eine Abfuhr.
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Kunden erteilen überhöhten Preisen eine Abfuhr.
Hier zeigt sich die kämpferische und standhafte Seite der Wendung: Man bleibt seiner Linie treu, auch wenn Druck besteht.
Besonders häufig ist die Formulierung im politischen Sprachgebrauch:
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Ein Parlament erteilt einem Gesetzesentwurf eine Abfuhr.
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Ein Regierungschef erteilt Forderungen eines anderen Staates eine Abfuhr.
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Bürger erteilen einer Partei bei Wahlen eine Abfuhr.
Gerade in den Medien wird das Wort gerne gewählt, weil es eindringlich klingt und die Dramatik politischer Auseinandersetzungen betont.
Positiv oder negativ?
Für den, der abgewiesen wird, ist eine Abfuhr natürlich unangenehm. Doch sie kann auch befreiend und positiv wirken. Ein Unternehmen, das einem riskanten Deal eine Abfuhr erteilt, zeigt Standhaftigkeit. Eine Gesellschaft, die Extremisten eine Abfuhr erteilt, signalisiert demokratische Stärke. Der Unterschied liegt im Blickwinkel: „Für die einen ist es ein Schlag ins Gesicht, für die anderen ein Statement der Klarheit“, so Kommunikationsforscherin Keller.
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Negativ für diejenige Person oder Gruppe, die eine Zurückweisung erfährt.
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Positiv für jene, die durch die Abfuhr Stärke zeigen, sich nicht vereinnahmen lassen oder für Klarheit sorgen.
Sie ist also ein zweischneidiges Schwert: verletzend für den einen, befreiend für den anderen.
International: Kürbisse und kalte Schultern
Spannend ist der Blick ins Ausland:
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Spanier geben „calabazas“ – also Kürbisse –, wenn sie jemanden abweisen. Der Ursprung liegt im Studentenleben: Wer bei einer Prüfung durchfiel, bekam einen Kürbis gemalt.
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Engländer zeigen „the cold shoulder“, die kalte Schulter – ein ebenso bildhafter wie unfreundlicher Abweisungsmechanismus.
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Franzosen formulieren bürokratisch: donner une fin de non-recevoir – „eine Antwort, die nicht zur Kenntnis genommen wird“.
Egal ob Kürbis, Schulter oder bürokratisch: Die Bildsprache variiert, doch die Botschaft ist universell – Ablehnung gehört zum menschlichen Miteinander. Das Bild wechselt, doch die Botschaft bleibt überall gleich: Abweisung ist universell.
„Jemandem eine Abfuhr erteilen“ ist mehr als ein sprachliches Fossil aus dem 19. Jahrhundert. Es ist ein Ausdruck, der Macht, Klarheit und Entschlossenheit transportiert – und dabei immer auch ein bisschen weh tut. Vielleicht ist das genau der Grund, warum er in Schlagzeilen so beliebt ist. Denn eine Abfuhr ist kein höfliches Nein, sondern ein Nein mit Ausrufezeichen.
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