Der Friedhof Staglieno in Genua – Ein Museum der Trauer und Kunst
von Sepp Spiegl
Mitten am grün bewachsenen Hang des Stadtteils Staglieno erhebt sich der monumentale Friedhof von Genua – eine Gewaltige Ruhestätte, die zugleich ein offenes Museum der Bildhauerkunst ist.

Die Entstehung dieses eindrucksvollen Friedhofs geht zurück auf Napoleons Edikt von Saint-Cloud (1804), das Begräbnisse außerorts vorschrieb. 1835 beauftragte die Stadt den Architekten Carlo Barabino mit dem Entwurf, der jedoch im selben Jahr einer Choleraepidemie zum Opfer fiel, entstand ab 1844 unter Leitung seines Mitarbeiters Giovanni Battista Resasco eine streng symmetrische Anlage, die am 1. Januar 1851 eröffnet wurde. Dieser älteste Teil enthält die Säulengänge der unteren Ebene („Porticato inferiore“ A), die in den 1860er Jahren nach Osten mit einem halbkreisförmigen Bogengang (Sektor B) erweitert wurden. Gegenüber vom mittleren Eingang leitet eine monumentale Treppe von 77 Stufen aus Marmor hinauf zum Pantheon, dem markantesten Bauwerk der oberen Ebene D – ein mit Säulenvorhallen und Gräbergalerien umrahmter Rundtempel. Erst Anfang des 20. Jh. wird der westliche Bereich C – mit der an Art Déco reichen „Galleria Montino“, dem Denkmal der Gefallenen im Ersten Weltkrieg aus den 30er Jahren und der „Galleria S. Antonino“ (erst in den 50er Jahren fertig) weiter ausgebaut.
Am ersten Öffnungstag des Cimitero Monumentale di Staglieno – dem 2. Januar 1851 – wurden insgesamt vier Menschen beerdigt. Die Frage, wer genau diese ersten vier war, ist historisch nur für den allerersten Fall dokumentiert:
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Der erste Verstorbene auf diesem Friedhof war Giuseppe Antonio Procurante, der am 1. Januar 1851, also einen Tag vor der offiziellen Eröffnung, verstorben ist. Sein Leichnam wurde zunächst provisorisch auf einem Feld abgestellt. Erst am 16. Mai 1851 wurde er feierlich im unteren Arkadengang (Porticato Inferiore) in Grab Nr. 100 bestattet – dort befindet sich sein Grab heute noch

Für die weiteren drei Personen, die am Eröffnungstag – dem 2. Januar – beigesetzt wurden, liegen bisher keine namentlichen Aufzeichnungen oder zeitgenössische Quellen vor. In der Literatur und verfügbaren Quellen wird lediglich erwähnt, dass am Eröffnungstag vier Beisetzungen stattfanden, ohne diese konkret zu benennen
Größe und Kapazität

Dem Haupteingang gegenüber liegt das Pantheon. Umgeben von einer grünen Hügellandschaft mit kleinen Wäldchen ist der imposante klassizistische Rundtempel der Zentralbau des Areals. Von beiden Seiten des Pantheons führen Bogengänge ab und umschließen den Friedhof zu einem geschlossenen Rechteck. Staglieno erstreckt sich über mehr als 1 km² – groß genug, um zu einem der größten Friedhöfe Europas zu zählen. Über 115.000 Gräber sind dort belegt. Die reichen Familien Genuas ließen sich ihre Grabhäuser in bevorzugter Lage am Hang errichten. Unzählige imposante Kapellen von Bäumen eingebettet liegen in einer idyllischen Landschaft. Am Fuße der Hügel befinden sich in den Galerien die Gräber der Mittelschicht. Aufwendig gestaltete Skulpturen schmücken hier jedes Grab. Bis ins kleinste Detail beeindruckt ihre naturgetreue Darstellung.
Ein weiterer Aspekt ist bemerkenswert – die Erotik von zahlreichen dieser Skulpturen, die der Photograph, Künstler und Journalist André Chabot, Spezialist in Sachen Friedhöfe und Trauerkunst 1989 in seinem Buch und Klassiker „Erotique du Cimetière“ gut dargestellt hat. Bei den etwa 80 untersuchten Friedhöfen aus 20 europäischen Ländern, sind die meisten Bilder in Mailand und Genua entstanden (58 bzw. 48 – dafür nur zwei Grabstätten auf dem Ohlsdorfer Friedhof!). Unendlich viele, durchsichtig oder leicht bekleidete junge Frauen trauern in Staglieno: so die Verschleierte des Grabmals Cavagnaro di Carlo von 1864, der auf einer Treppe trauernde Engel Calcagno (1905); auch die Liegenden der Grabstätten Bertoloni (1918) für die 17jährige Tochter, Molinari (1927), Sanguineti oder Salvetti (1939). Aristokraten ließen ganze Familien in Stein hauen, um bis in alle Ewigkeit mit ihnen vereint zu sein. Mit den Jahren überdecken Staub- und Schmutzablagerungen die Grabfiguren, denen der Grauschleier jetzt eine interessante Schattierung verleiht.
Die Skulpturen sind unbeschädigt und durch die Vielfalt erhält man einen Einblick in die Epochen von 100 Jahren Kunstgeschichte. Stilrichtungen wie der Klassizismus und Realismus, Symbolismus, Jugendstil und Art Déco sind hier vertreten. Die Grabkammern für das Kleinbürgertum sind in zahlreichen endlos langen Bogengängen mehrstöckig übereinander angeordnet. Die oberen Gräber sind nur über meterhohe Leitern zu erreichen. Auf den Fußböden befinden sich weitere Grabplatten aus Marmor mit Inschriften, über die man mit Ehrfurcht hinweg schreitet.
Prominente Ruhestätten

Unter den hier beigesetzten Persönlichkeiten finden sich zahlreiche historische Größen wie:
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Giuseppe Mazzini (Patriot, Aktivist)
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Nino Bixio (General, Politiker)
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Fabrizio De André (bekannter Singer-Songwriter)
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Constance Lloyd (Ehefrau von Oscar Wilde)
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Anna Maria Ortese, Fernanda Pivano, Michele Novaro (Komponist), und andere
Architektonische Besonderheiten & Kunst
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Pantheon (Cappella dei Suffragi) – zentrale Ruhestätte mit dorischem Pronaos, rundem Saal (25 m Durchmesser), 78 Lokuli. Hier liegen auch Barabino und Resasco begraben
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Statue der „Fede“ (Glaube) – ein neun Meter hohes Werk von Santo Varni, auf das eine monumentale Treppe führt
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Stilistisch vielfältig: Neoklassizismus, Realismus, Symbolismus, Jugendstil, Art déco etc., umgesetzt von bekannten Künstlern wie Bistolfi, Ximenes, Messina, Canonica
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Monteverde-Engel – ein androgyn wirkender Engel mit Trompete, Symbol der Auferstehung, gilt als Meisterwerk von Giulio Monteverde (1882) und verhalf dem Stil zu internationaler Verbreitung; Kopien sind weltweit zu finden
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Grabstätte Familie Parpaglioni ©seppspiegl Die „Peanut Seller“-Statue: Caterina Campodonico, eine ehemalige Straßenverkäuferin, ließ sich ein realistisches Monument von Lorenzo Orengo errichten. Ein Beispiel dafür, wie sich Selbstbestimmung im Tod manifestiert
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„Duomo von Mailand“: Eine rund 28 m hohe Kapelle von Luigi Rovelli im gotischen Stil, errichtet für die Frau des Industriellen Armando Raggio
Gesellschaftliche Bedeutung
Staglieno wirkt weit über seine Funktion als Friedhof hinaus – es ist ein kulturelles Symbol, eine Touristenattraktion und ein Mahnmal. Literaten und Philosophen wie Mark Twain, Ernest Hemingway, Nietzsche, Guy de Maupassant, Sissi waren fasziniert von seinem Zauber und haben in ihren Werken davon berichtet
Heute fungiert Staglieno als offenes Museum, Schauplatz für Führungen, kunsthistorische Besichtigungen und Gedenkveranstaltungen – ein Ort, an dem Kunst, Geschichte und individuelle Erzählungen verschmelzen

Außergewöhnlichkeit & Sehenswürdigkeit
Was Staglieno einzigartig macht:
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Intensive Bildhauerkunst an jeder Ecke – lebensnahe Figuren, Allegorien und Motive, oft mit großer emotionaler Tiefe
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Die architektonische Gestaltung – harmonische Kombination von klassischer Architektur im Pantheon, Arkaden und romantisch-wilden Friedhofsteilen wie dem „Boschetto Irregolare“
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Das Zusammenspiel von Natur und Monument, das dem Friedhof eine besondere Atmosphäre verleiht
Der Monumentalfriedhof Staglieno ist weit mehr als ein bloßer Begräbnisort – er ist ein kulturelles Erbe, ein Kunstwerk, ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung. Seine Monumente erzählen Geschichten von Ruhm, Trauer, Stolz und Kreativität. Und genau deshalb bleibt Staglieno, auch heute, ein Ort, der Stimmung und Bewusstsein verbindet.
HIER GEHTS ZUR FOTOSTRECKE STAGLIENO:
So erreichen Sie den Friedhof Staglieno:
Staglieno liegt am nördlichen Stadtrand Genuas im Bisagno Tal. Der Friedhof ist vom Bahnhof Brignole mit der Buslinie 12 in 10 Minuten zu erreichen (Haltestelle liegt direkt vor dem Starhotel President an der Viale Brigata Bisagno).
Monumentalfriedhof Staglieno in Genua
16137 Genua – Ligurien
Italien
Öffnungszeiten:
Täglich
7:30 – 17:00 Uhr
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