von Sepp Spiegl

Herkunft und Bedeutung der Redewendung „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn“

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Die deutsche Redewendung „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn“ gehört zu den sprichwörtlichen Weisheiten, die auf humorvolle Weise eine tiefere Wahrheit des Alltags aufgreifen. Ihre Bedeutung lässt sich leicht erschließen: Selbst jemand, der unerfahren, ungeschickt oder wenig talentiert ist, hat gelegentlich Glück und macht einen Erfolg oder Treffer, auch wenn dieser eher zufällig als aufgrund eigener Fähigkeiten erreicht wird. Die Redewendung wird oft verwendet, wenn jemand überraschend Erfolg hat, obwohl dies nicht unbedingt erwartet wurde. Sie drückt aus, dass auch Zufall oder Glück dazu führen können, dass man etwas erreicht, auch wenn die Voraussetzungen dafür nicht optimal sind. Das „blinde Huhn“ steht hier als Metapher für eine Person, der die Fähigkeiten oder das Wissen fehlen, um systematisch erfolgreich zu sein. Das „Korn“ symbolisiert den unerwarteten Erfolg oder die glückliche Fügung, die diese Person dennoch erreicht.

Im übertragenen Sinne geht es also darum, dass auch diejenigen, die weniger geschickt oder erfahren sind, gelegentlich durch Zufall oder Schicksal etwas Positives erleben oder Erfolg haben.

Herkunft

Wie bei vielen Redewendungen lässt sich die genaue Entstehungsgeschichte nicht mit absoluter Sicherheit nachverfolgen. Doch die metaphorische Bedeutung von Tieren ist tief in der europäischen Folklore und Sprache verankert. In ländlichen Regionen war es früher üblich, Hühner frei laufen zu lassen. Ein blindes Huhn würde unter normalen Umständen große Schwierigkeiten haben, Nahrung zu finden, da es seine Umgebung nicht mehr wahrnehmen kann. Dass es dennoch gelegentlich auf ein Korn stößt, macht die Redewendung zu einem Bild für unverdientes oder unerwartetes Glück. Die ältesten Überlieferungen dieser Redewendung reichen bis ins Mittelalter zurück. Tiere, insbesondere Nutztiere wie Hühner, waren ein fester Bestandteil des täglichen Lebens und daher auch in der bildhaften Sprache der Menschen präsent. Mit der Zeit hat sich diese Weisheit im deutschen Sprachraum etabliert und gehört heute zum festen Bestandteil der alltäglichen Kommunikation.

Gebrauch der Redewendung „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn“

Die Redewendung „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn“ ist in der deutschen Sprache weit verbreitet und wird in vielen Kontexten verwendet. Sie ist nicht nur eine humorvolle Bemerkung über den Zufallserfolg von Menschen mit mangelnden Fähigkeiten, sondern auch ein Ausdruck menschlicher Selbstironie, oft in Situationen, in denen das eigene Geschick nicht die Hauptrolle spielte.

1. Anwendung in alltäglichen Situationen

Im Alltag wird die Redewendung oft genutzt, um bescheidene oder überraschende Erfolge zu kommentieren, insbesondere wenn der Erfolg unvorhersehbar oder unerwartet war. Sie wird häufig in Gesprächen verwendet, wenn jemand einen Erfolg erzielt hat, der eher durch Glück als durch gezielte Anstrengung zustande gekommen ist.

Beispiel:

  • Jemand spielt zum ersten Mal ein Kartenspiel und gewinnt unerwartet. Die Mitspieler könnten humorvoll bemerken: „Tja, auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn!“

In diesem Beispiel wird die Redewendung mit einem Augenzwinkern verwendet, um den Erfolg nicht zu ernst zu nehmen, sondern auf die zufällige Komponente hinzuweisen.

2. Selbstironie und Demut

Eine der interessantesten Aspekte dieser Redewendung ist die Möglichkeit, sie auf sich selbst anzuwenden. Menschen nutzen sie oft, um ihren eigenen unerwarteten Erfolg bescheiden herunterzuspielen und anzudeuten, dass nicht Können, sondern Glück der entscheidende Faktor war. Diese Form des Gebrauchs zeigt ein Maß an Selbstironie und Bescheidenheit, das in der deutschen Kultur hoch geschätzt wird.

Beispiel:

  • Ein Student, der eine Prüfung bestanden hat, obwohl er kaum gelernt hat, könnte zu seinen Freunden sagen: „Naja, auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“

Hier wird der eigene Erfolg mit einer lockeren, humorvollen Haltung betrachtet, und die Redewendung betont, dass man sich des glücklichen Zufalls bewusst ist.

3. Ironie und sanfte Kritik

Die Redewendung kann auch dazu verwendet werden, ironisch auf den Erfolg anderer zu reagieren, insbesondere wenn der Erfolg überraschend oder unverdient erscheint. In solchen Fällen schwingt oft eine leicht spöttische oder scherzhafte Kritik mit. Sie wird dann als freundlicher Hinweis auf die Tatsache verwendet, dass der Erfolg eher auf Glück als auf Können oder harte Arbeit zurückzuführen ist.

Beispiel:

  • Ein Kollege, der sonst wenig erfolgreich ist, bekommt eine Beförderung. In einem Gespräch könnte jemand sagen: „Na, auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“

Hier ist der Gebrauch der Redewendung ironisch, um auf die Diskrepanz zwischen der Leistung und dem Erfolg hinzuweisen, ohne jedoch offen beleidigend zu sein. Die Redewendung ermöglicht es, eine kritische oder humorvolle Bemerkung zu machen, ohne direkt anzugreifen.

4. Gebrauchsformen in den Medien und der Populärkultur

In der Populärkultur und den Medien wird die Redewendung ebenfalls oft genutzt, insbesondere in Berichterstattungen über Sport, Spiele oder Wettbewerbe, bei denen unerwartete Gewinner oder Außenseiter eine zentrale Rolle spielen. Sie eignet sich hervorragend, um den unerwarteten Triumph eines Teams oder einer Person zu beschreiben, die als weniger fähig oder wenig erfolgversprechend galt.

Beispiel im Sport:

  • Wenn ein vermeintlich schwaches Team in einem Wettbewerb gegen einen Favoriten gewinnt, könnte ein Sportkommentator sagen: „Tja, auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“

Der ironische Unterton dieser Redewendung ermöglicht es, das unerwartete Ergebnis zu erklären, ohne den Sieg abzuwerten, gleichzeitig aber den Zufallscharakter des Erfolgs hervorzuheben.

5. Bildung und beruflicher Kontext

Auch im beruflichen und akademischen Umfeld wird die Redewendung gelegentlich genutzt, um humorvoll auf unerwartete Erfolge hinzuweisen. Insbesondere in Umgebungen, in denen Leistung und Können stark betont werden, dient die Redewendung dazu, den Zufallscharakter von Erfolgen oder unerwarteten guten Ergebnissen hervorzuheben.

Beispiel im Berufsleben:

  • Ein Mitarbeiter, der unvorbereitet eine Präsentation erfolgreich meistert, könnte nach einer erfolgreichen Besprechung scherzhaft sagen: „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“

Diese Anwendung zeigt, dass die Redewendung auch in formelleren Kontexten Platz hat, solange sie mit einem Augenzwinkern und in einem humorvollen Tonfall genutzt wird.

6. Psychologische Wirkung und soziale Funktion

Die Redewendung erfüllt auch eine soziale Funktion: Sie hilft, den Erfolgsdruck zu relativieren und die Bedeutung des Zufalls im Leben anzuerkennen. In einer Gesellschaft, in der oft Leistung, Planung und Disziplin als Garanten für Erfolg angesehen werden, erinnert diese Redewendung daran, dass auch Glück eine Rolle spielt und dass niemand immer auf alles vorbereitet sein kann. Der Gebrauch dieser Redewendung erleichtert es Menschen, mit dem Konzept des „Unverdienten“ oder des „Zufallserfolgs“ umzugehen. Sie hilft dabei, Erfolge nicht immer zu überbewerten und sie in einen realistischen Kontext zu setzen, was den Umgang mit eigenen Misserfolgen oder den Erfolgen anderer erleichtert. Durch die humorvolle Herabsetzung des eigenen Erfolges (oder des Erfolges anderer) wird gleichzeitig eine Atmosphäre von Leichtigkeit und Entspannung geschaffen.

Interessant ist, dass ähnliche Redewendungen auch in anderen Sprachen existieren. So gibt es im Englischen beispielsweise die Redewendung „Even a blind squirrel finds a nut once in a while“ (Selbst ein blindes Eichhörnchen findet hin und wieder eine Nuss). Auch hier wird das Bild eines Tieres verwendet, das durch Zufall etwas Wertvolles entdeckt. Die Botschaft bleibt dabei dieselbe: Auch ohne Können oder Einsicht kann man Glück haben.

Der Gebrauch der Redewendung „Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn“ ist vielseitig und anpassbar an unterschiedliche Situationen des Alltags, beruflichen Lebens und der Medien. Sie dient nicht nur als humorvolle Bemerkung zu unerwarteten Erfolgen, sondern erfüllt auch eine wichtige soziale und psychologische Funktion. Sie erlaubt es, Erfolg relativ zu betrachten, Selbstironie zu zeigen und Zufälle in unser Leben einzubeziehen. Trotz oder gerade wegen ihrer Einfachheit bleibt sie eine beliebte Redewendung, die in vielen Gesprächen eingesetzt wird, um auf den oft überraschenden Charakter von Glück und Zufall hinzuweisen.