von Dr. Bernd Kregel

Lissabon findet Anschluss an seine große Vergangenheit

Längst ist die reizvolle Schöne vom Tejo auf dem Weg zu einem führenden europäischen Kulturzentrum.

„Fadista“ Cristiana Perestra bei ihrem Vortrag

Wie konnte der Mistkerl sie nur wegen einer Anderen verlassen? Dafür möchte sie ihm die Augen auskratzen und ihn in die tiefste Hölle wünschen. Dennoch liebt sie ihn noch immer. Und niemals würde sie einen Anderen auch nur aus der Ferne anschauen. So ist die verzehrende Sehnsucht nach dem Unerfüllbaren ihr ständiger Wegbegleiter, der ihr das Herz zerreißt und ihre Schwermut unerträglich macht.

Gefühlsaufwallung in Moll

Stimmgewaltig schüttet die attraktive „Fadista“ Cristiana Perestra im Halbdunkel des renommierten „Clube de Fado“ ihr Herz vor ihren Zuhörern aus. Eine ausdrucksstarke Mimik und beschwörende Gesten verleihen ihrem Anliegen die nötige Überzeugungskraft. So liest ihr das Publikum wie gebannt diese Gefühlsaufwallung von den Lippen ab.

Denn gehört nicht die Schwermut zum festen Bestandteil der portugiesischen Volksseele? Ein Weltschmerz, der sich sogar zum lustvollen Leiden und zur genießerischen Klage steigern kann, wie Joao da Praca, der Besitzer des „Clube de Fado“, aus langer Erfahrung weiß. Eine widersprüchliche Gefühlslage, die sich über die Jahrhunderte in den Höhen und Tiefen des Seelenlebens gleichermaßen eingerichtet hat. Die anhaltende Bedeutung dieser ans Mark gehenden Kunstform beweisen die zahlreichen Lokale auf dem Alfama-Hügel, in denen der Fado-Kult allabendlich zelebriert wird.

Auf harten Holzbänken ins Amüsierviertel

Straßenbahnlinie 28 auf dem Alfama-Hügel

Es gibt sie allerdings auch auf der anderen Seite des Tales im Bairro Alto, dem eigentlichen Amüsierviertel der Stadt. Allein die Straßenbahnfahrt dorthin mit der legendären Linie 28 wird zum Abenteuer. Früher eine technische Neuheit, versehen die kleinen gelben Waggons ihren Dienst heute nur noch mit Mühe. Ihr Aussehen und ihre harten Holzbänke erinnern sogar an die Cable Cars in San Francisco. Wie jene bereiten sie ihren Fahrgästen an den Berghängen der Stadt mit schaukelnder Fahrt dennoch ein genussvolles Erlebnis.

Der rollende Standortwechsel endet an der „Praca L. de Camoes“, dem Platz, der mit einem beeindruckenden Denkmal seinen großen portugiesischen Nationaldichter ehrt. In den umliegenden Straßen und Gässchen mit ihren Restaurants, Kneipen und Fado-Lokalen wird inzwischen die Nacht zum Tage gemacht. Denn hier geben sich die Nachtschwärmer der Stadt bei ihrem Stelldichein die Klinke in die Hand. Und wenn die Räumlichkeiten nicht ausreichen, wird der Aktionsradius einfach nach außen verlagert, wo die in Moll gestimmten Fado-Töne schon bald einer fröhlicheren Stimmung weichen.

Risiko mit ungewissem Ausgang

Ansicht des Torre de Belem

Alle Wege der Altstadt führen jedoch irgendwann hinunter zum Fluss. Breit und behäbig hat sich der Tejo aus dem Hinterland heran gewälzt und steht nun kurz davor, im Atlantischen Ozean aufzugehen. Wie ein Fels in den Fluten des Flusses steht der ansehnliche und zugleich wehrhafte „Torre de Belem“, der in früheren Jahrhunderten den von hier auslaufenden Seefahrern ein letztes Lebewohl zuwinkte. Denn ab hier begann stets das Risiko mit ungewissem Ausgang. Und mit ihm die Schwermut, die bis zur Rückkehr an diese Stelle andauerte. Und dennoch ist der „Torre de Belem“ zugleich auch ein Symbol für die Aufbruchstimmung, die ein ganzes Volk über Jahrhunderte hinweg in Bewegung hielt.

Den Beweis dafür liefert das benachbarte „Denkmal der Entdecker“. Mächtig hebt es sich als stilisierte Karavelle mit ihren weißen geblähten Segeln ab vom blauen Himmel. Und ganz vorn, wie eine Galionsfigur, steht als Visionär Heinrich der Seefahrer, der – mit einem Schiffsmodell in der Hand – seinen Blick kühn in die Ferne schweifen lässt. Und hinter ihm, in aufstrebender Linie, all diejenigen, die mit ihrem erworbenen Wissen und Können den Aufbau des portugiesischen Weltreiches auf allen Kontinenten ermöglicht haben.

Die Auserwählte in Trümmern

Das Hieronymus-Klosters

Wie Vasco da Gama, der als einer der Hauptakteure unbedingt dazu gehört. Mit etwas Fantasie sieht man ihn Fahrt aufnehmen, um – vorbei am Kap der Guten Hoffnung – den Seeweg nach Indien zu entdecken. Nationaldichter Camoes, nahe dieser Stelle im Hieronymuskloster beigesetzt, wurde nicht müde, ihn und den Ort seines Aufbruchs dafür zu rühmen: „Und du, edles Lissabon, bist weltweit unter all den Anderen ohne Zweifel die Auserwählte!“ Ähnlich wie die Seerepublik Venedig schien Lissabon geradezu verheiratet zu sein mit dem Meer, das ihm wie nichts sonst seine besondere Identität verlieh.

Und dann das: Im Jahr 1755, während des Festes Allerheiligen, legte ein gewaltiges Erdbeben den größten Teil der Stadt in Trümmer. und ein nachfolgender Tsunami besorgte den Rest. Zum Entsetzen über die Schäden dieser Katastrophe kam das Gefühl der Gottverlassenheit: „Wie konnte er das zulassen?“ Auch über Lissabon hinaus wurde die „Gottesgerechtigkeit“ zum philosophischen Thema Nummer eins.

Aufschließen zu anderen Metropolen

Doch auch diesmal siegte nicht der Weltschmerz. Und Lissabon wurde unter der Leitung des Marquis de Pombal prächtiger wieder aufgebaut als es vorher war. Besonders das im Tal gelegene Stadtzentrum zwischen den Stadtteilen Alfama und Bairro Alto erhielt mit Straßen im Schachbrettmuster ein modernes Gesicht. Denn erstmals wurde die bisherige Enge aufgesprengt, und Lissabon schloss auf zu den anderen Metropolen in Europa.

Der „Praca do Comercio“ mit Triumphbogen

Eingerahmt wurde dieser neue Stadtteil von zwei Plätzen, die aus dem heutigen Stadtbild nicht mehr wegzudenken sind. Zur Landseite hin ist es der Rossio, mit seinen prächtigen Fassaden und einladenden Cafés zweifellos der Mittelpunkt der Stadt. Und auf der Flussseite, verbunden durch die Einkaufsstraße Rua Augusta, der breit angelegte Praca do Comercio mit seinen lauschigen Arkadengängen und dem freien Zugang zum Wasser.

Hinterlassenschaften der Expo 1998

Eine perfekte Lage am Fluss, derer man sich kurz vor der Jahrtausendwende besann. Noch heute bekommt Filipa vom „Lisboa Convention Bureau“ leuchtende Augen, wenn sie sich an die Aufbruchstimmung in Zusammenhang mit der Weltausstellung „Expo 1998“ erinnert. Unterhalb des Alfama-Hügels wurde direkt am Tejo-Ufer ein völlig neuer Stadtteil aus dem Boden gestampft, der – im Unterschied zur „Expo 2000“ in Hannover – noch immer Bestand hat.

Die Parade der zweckdienlichen Neubauten lässt sich noch heute mühelos abnehmen aus den Gondeln einer Seilbahn heraus, die parallel zu Wasserkante einen Überblick über das gesamte Ausstellungsgelände verschafft. Und immer wieder – wie sollte es vor dem Hintergrund der alten Tradition anders sein – gibt es einen erkennbaren Bezug zum Meer, dem die Stadt mit ihrer direkten Anbindung einen wesentlichen Teil ihrer Existenz verdankt.

Seewasserbecken im Ozeanarium

Eine Sensation war schon bei der Expo-Eröffnung das „Ozeanarium“, das alle anderen europäischen Aquarien an Größe und Originalität übertrifft. Im Mittelpunkt steht das riesige Becken, gefüllt mit maritimen Prachtexemplaren, die man anderswo nur selten zu Gesicht bekommt. Wie zum Beispiel den Mondfisch, der mit seinem rundlichen Aussehen seinem Namen alle Ehre macht. Wie nirgendwo sonst auf dem Gelände wirkt hier noch heute das Motto der Expo nach, das damals die Ozeane zu einem Erbe für die Zukunft erklärte.

Entdeckerfreude aus der Vogelperspektive

Den schönsten Ausblick auf die Stadt jedoch bieten die Aussichtsplattformen auf den Hügeln ringsum. Diese Terrassen, auf denen sich als Treffpunkt für Liebespaare und spielende Kinder zugleich ein großer Teil des sozialen Lebens abspielt, legen dem Besucher die ganze Stadt zu Füßen. Das Gewirr der Gassen, die architektonische Klarheit der Baixa des Marquis de Pombal und die von ihm angelegte breite Schneise der Avenida da Liberdade, die quer durch die Innenstadt bis zum Rossio hinunter führt.

Blick über die Stadt und den Tejo

Am schönsten jedoch ist die Aussicht herunter vom Castelo de Sao Jorge, das mit seinen Türmen und Zinnen den Alfama-Hügel krönt. Diese Meinung teilt natürlich auch Susana Repolho Correia, deren Auftrag es ist, im Namen der Stadt die renovierte Burganlage mit ihren archäologischen Überraschungen ins rechte Licht zu rücken. Weit schweift der Blick von hier oben über die Kuppeln der Stadt. Und weiter über den Fluss bis hinüber zur Christusstatue mit ihren weit ausgebreiteten Armen. Und schließlich auf die Tejo-Brücken, ja bei klarer Sicht sogar bis hin zum Atlantischen Ozean.

Von melancholischem Weltschmerz bemerkt man in diesem Moment keine Spur. Wohl eher schon eine unbändige Entdeckerfreude gegenüber allem, was Lissabon an weiteren Attraktionen zu bieten hat: das Kutschen- und Keramikfliesen-Museum, das prächtige Hieronymuskloster oder die „Pastelaria Suiza“-Konditorei direkt am Rossio. Und als Abschluss auf der anderen Flussseite der endlos sich dehnende Sandstrand von Caparica. Warum nicht hier bereits erste Pläne reifen lassen für eine baldige Rückkehr zu der Schönen am Tejo?

 

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Reiseinformationen „Lissabon“:

Anreise

Der Flughafen Lissabon wird von allen internationalen Fluglinien angeflogen. Zahlreiche Shuttle-Busse und Taxis stehen vor der Ankunftshalle für den Transport in die Stadt bereit. Bei der Anreise mit dem Auto ist der Abschluss eines Auslandsreise-Schutzbriefes, z.B. ADAC, zu empfehlen

Reisezeit

Ganzjährig. Selbst im Dezember sind die Temperaturen noch angenehm. Die Badesaison beginnt im Mai/Juni.

Unterkunft

Hotel Altis, www.hotel-altis.pt; Borges Residence, www.hotelborges.com;

Essen und Trinken

Tasca da Esquina, www.tascadaesquina.com; 5 Oceanos, www.5oceanos.pt; Clube de Fado, www.clube-de-fado.com; Largo, www.largo.pt; Casablanca, Costa da Caparica, www.casablanca.com.pt; Antiga Confeitaria de Belem, www.pasteisdebelem.pt;

Auskunft

Fremdenverkehrsbüro Lissabon: www.visitlisboa.com; Turismo de Portugal: www.visitportugal.com; www.lissabon.com

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