„Netzwerk Digitalkompetenz“: Arbeitsmarktforscher fordert ein „Digitales Transformationsprogramm“, damit Deutschlands Unternehmen und Fachkräfte bei der Digitalisierung nicht den Anschluss verlieren.

Regensburg (obx) – Deutschland als Schlusslicht in Sachen Digitalisierung? Eine neue Untersuchung schlägt Alarm: In einem neuen Ranking des Europäischen Zentrums für digitale Wettbewerbsfähigkeit (ECDC) kommt die Bundesrepublik nur noch auf den vorletzten Platz in Europa. Unter allen großen Industrienationen der Welt ist nur Japan noch langsamer unterwegs auf dem Weg in die digitale Zukunft. Der Arbeitsmarktforscher Professor Enzo Weber ist überzeugt: Deutschland könnte aufholen, wenn die Weichen jetzt richtig gestellt werden. „Gerade kleine und mittlere Unternehmen sollten bei der Digitalisierung proaktiver handeln und investieren“, sagte der Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit beim 1. Virtuellen Forum des in Ostbayern gegründeten „Netzwerks Digitalkompetenz“.

Unternehmen, Arbeitnehmer, Fach- und Führungskräfte auf die zunehmende digitalisierte Smart Economy von morgen vorzubereiten und die Beschäftigten auf diesem Weg einzubinden: Diese Idee war Anfang 2021 der Gründungsgedanke des von den

Ein neues Fach mit dem Namen „Digitale Transformation“ bildet beispielsweise an den Eckert Schulen die Basis zum Erwerb der erforderlichen Kompetenzen für die Arbeits- und Berufswelt von morgen. Foto: obx-news/Eckert Schulen

Eckert Schulen initiierten „Netzwerks Digitalkompetenz“. Bei einem ersten Digitalen Netzwerk-Forum mit Experten, Impulsgebern und Multiplikatoren aus der gesamten Bundesrepublik stand jetzt die Frage im Mittelpunkt, wie die Transformation hin in die digitale Zukunft in Deutschlands Unternehmen gelingen kann. 

 
Professor Weber sieht Deutschland in einer transformativen Rezession. Konkret heißt das: Der Kernbereich des deutschen Arbeitsmarkts – in dem die berufliche Bildung angesiedelt ist – wird in den kommenden Jahren massiv unter Druck gesetzt. Die Konsequenzen sind dramatisch: Bis zum Jahr 2030 verschwinden, auch durch die zunehmende Digitalisierung, nach seinen Worten rund 800.000 Arbeitsplätze für Fachkräfte in Deutschland. 
 
„Die Arbeit wird uns aber dennoch nicht ausgehen“, sagt Professor Weber, der an der Universität Regensburg den Lehrstuhl für Empirische Wirtschaftsforschung innehat. Denn gleichzeitig entstehen im gleichen Umfang neue Stellen, für die aber eine höhere Qualifikation nötig sei. Bis 2030 dürften rund 600.000 Experten und rund 200.000 Spezialisten neu gebraucht werden. „Verlorene und gewonnene Arbeitsplätze halten sich die Balance, aber neue Kompetenzen sind notwendig, um diese neuen Stellen auch ausfüllen zu können“, so der Wissenschaftler. 
 
Die Schlüsselrolle eines „digitalen Mindsets“
Zu den neuen Kompetenzen, die Professor Weber als Schlüssel für die digitale Arbeitswelt sieht, gehören neben klassischen IT-Fähigkeiten eine Reihe von Bereichen, die bisher gerade in der beruflichen Aus- und Weiterbildung oft nur eine untergeordnete Rolle spielen: selbstständiges und interdisziplinäres Arbeiten, Prozess-Know-how, Arbeiten unter hoher geistiger Belastung, Multitasking oder eine grundsätzliche Offenheit für neue Fähigkeiten und Kompetenzen. „Diese übergreifenden Qualifikationen – ein digitales Mindset – erlauben es Mitarbeitern, über den eigenen Arbeitsbereich hinaus denken und arbeiten zu können“, sagt Professor Weber. Und gerade das sei Voraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation und Integration. 
 
Wie lässt sich dieses Zukunfts-Wissen in die Arbeits- und Berufswelt integrieren? Zum einen forderte Professor Weber bei der Diskussion des „Netzwerks Digitalkompetenz“ ein Förderprogramm, das Unternehmen und Mitarbeiter bei der Transformation begleitet. Unterstützt werden sollten nach seinen Worten sowohl Ausstattung als auch Aus- und Weiterbildung des Personals. Gleichzeitig schlägt der Arbeitsmarktexperte eine Art Bafög auch für ältere Arbeitnehmer vor. „Menschen, die sich nach 20 oder 25 Jahren für eine Weiterbildung entscheiden, sollten das finanziell abgesichert tun können“, sagt er. Zudem sollte Kurzarbeit stärker für Qualifizierung genutzt werden, als das bisher der Fall ist. Hier brauche es mehr flexible, modulare und möglichst auch digitale Angebote und eine intensivere Beratung. 
 
Überfachliche Qualifikationen entscheidend 
Wie wichtig diese Weiterbildungen sein werden, machte auch Saskia Grossmann deutlich. Sie ist Akademieleiterin bei der Nürnberger Onestoptransformation AG. Das Unternehmen gehört zu den Mitgliedern des „Netzwerks Digitalkompetenz“. „Alle sprechen über Technologien, Prozesse und Geschäftsmodelle, aber das digitale Mindset ist der Schlüssel für alles“, sagte sie. Dazu zählten nach ihren Worten das, was auch Professor Weber als wichtige Grundlagen beschreibt: überfachliche Kompetenzen wie Kreativität, Offenheit, Agilität, Kritikfähigkeit und der offene Umgang auch mit Fehlern. Eine „persönliche Standortanalyse“ mit Werkzeugen wie einem Digitalen Kompetenz-Indikator für jeden Mitarbeiter könne sicherstellen, Lernen neu und vor allem individueller zu definieren. Zwei Zahlen ihrer Präsentation ließen aufhorchen: Nach einer Studie des Weltwirtschaftsforums braucht bereits bis 2025 jeder zweite Mitarbeiter eine Neu- oder Weiterqualifizierung. Zudem sehen mehr als zwei Drittel (72 Prozent) der Unternehmen in Deutschland einer Erhebung von Etventure zufolge die Qualifikation ihrer Mitarbeiter im Bereich Digitale Transformation als „nicht ausreichend“. 
 
Wie gelingt es, Deutschlands Fachkräfte für die digitale Transformation zu begeistern? Markus Bruckmeier, der als Digital-Coach und Trainer in der Aus- und Weiterbildung arbeitet, sieht unter anderem die Kollaboration als einen wichtigen Baustein. „Die Zusammenarbeit von Fach- und Führungskräften mit Experten, Bildungsinstituten und Hochschulen ist essenziell“, sagte Bruckmeier. Er nannte auch den Einsatz digitaler Lernmedien mit webbasierten Trainings oder Erklärvideos sowie eine Unternehmenskultur des Lernens als weitere Voraussetzungen. 
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