Politik: Putschendes Militär – ein neues Land vor dem Chaos
Der Staatsstreich im Niger stürzt die Sahelzone ins Chaos. Für das Land und die Region stehen viel auf dem Spiel – auch die Bundeswehr ist betroffen.
Erneut schaut die Welt besorgt auf Afrikas Sahelzone. Der Generalstab der nigrischen Streitkräfte gab am Donnerstagmorgen, dem 27. Juli, bekannt, dass er sich hinter die Putschisten des neu gegründeten Nationalen Rates zur Rettung des Vaterlandes (CNSP) stelle, die behaupteten, den nigrischen Präsidenten wenige Stunden zuvor abgesetzt zu haben. Somit vereinte sich ein entscheidender Teil der Streitkräfte mit den aus der Präsidialgarde stammenden Putschisten.
In dem gestrigen Auftritt von zehn Militärs im nationalen Fernsehen Nigers wurde der Regierung von Präsident Bazoum vorgeworfen, das Land in eine Sackgasse geführt zu haben. Die Militärs rechtfertigten den Putsch als direkte Folge der sich ständig verschlechternden Sicherheitslage sowie der schlechten wirtschaftlichen und sozialen Aussichten im Land.
Das sind die gleichen Gründe, die zuletzt auch von den Putschisten in den Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso genannt wurden. Die Umstände, die zum Umsturz im Niger geführt haben, könnten sich dennoch als unterschiedlich erweisen und vielmehr auf Frustrationen innerhalb der Streitkräfte hinweisen – insbesondere in Bezug auf die Strategie von Präsident Bazoum im Kampf gegen den Dschihadismus. Diese beinhaltete unter anderem auch die Verlegung von Einheiten der Streitkräfte in besonders stark umkämpfte Grenzregionen.
Die Sahelzone und insbesondere die Grenzregionen zwischen Niger, Mali und Burkina Faso zeichnen sich durch ein schwieriges Sicherheitsumfeld aus, das von Angriffen vor allem von dschihadistischen Gruppen auf die Zivilbevölkerung geprägt ist. Dies hat vor allem in den nördlichen Regionen Tillabéri und Diffa zu teilweise chaotischen Zuständen geführt. Die Regierung von Präsident Bazoum versuchte vor allem durch strategische bilaterale Abkommen seine militärischen Strukturen zu stärken und vereinbarte mit der Europäischen Union die EU Military Partnership Mission in Niger, welche Anfang nächsten Jahres in den Einsatz gehen und die Region stabilisieren sollte.
Das Gesundheitssystem ist auch in der Hauptstadt nur mangelhaft ausgestattet.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass außerhalb der Hauptstadt Niamey schon vor dem Putsch weder durch das Militär noch durch die diversen Polizeieinheiten flächendeckend für innere Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung gesorgt werden konnte. Hinzu kamen schwache staatliche Strukturen sowohl in den Regionen als auch in den Fachministerien sowie ein deutlich zu schwaches Parlament. Das Gesundheitssystem ist auch in der Hauptstadt nur mangelhaft ausgestattet. Außerdem ist ein sich dramatisch ausbreitender Salafismus in allen Bevölkerungsschichten vernehmbar. Mittelfristig kann es zum Problem werden, wenn dieser sich auch im Parlament, den regionalen Gebietskörperschaften oder gar in der nationalen Regierung ausbreitet.
Die Sicherheitslage ist in den Regionen des Nigers teilweise so prekär, das 890 Schulen geschlossen bleiben müssen, darunter 855 Grundschulen, wodurch fast 72 000 Schülerinnen und Schülern der Zugang zu Primärbildung verwehrt wird. Die zu erwartenden Auswirkungen für folgende Generationen sind dramatisch.
Regional betrachtet zeigen die militärisch herbeigeführten Umbrüche in Mali, Tschad und Burkina Faso leider, dass islamischer Extremismus und Bandenkriminalität sich weiter ungehindert ausbreiten konnten. Die Angst vor einer Komplizierung der Sicherheitslage in der Region ist eindeutig zu spüren. Der neue Staatsstreich ist ein herber Rückschlag für die Stabilität in der Sahelzone und für alle Bemühungen, die dort im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus unternommen werden. Mit diesem jüngsten Putsch ist die Regierungsarchitektur der Sahelländer mittlerweile auf vier Militärregime angewachsen: Mali, Burkina Faso, Tschad und nun auch Niger. Und wirft man einen Blick über die Grenzen, dann lässt sich leicht feststellen, dass sich die Sicherheitslage unter den Militärregimen in Mali und Burkina Faso noch sehr viel stärker verschlechtert hat, und es ist absehbar, dass sich dies in Niger wiederholen wird.
Der neue Staatsstreich ist ein herber Rückschlag für die Stabilität in der Sahelzone.
Das Land war in den letzten Jahren zu einem wichtigen Partner geworden, der Spielraum für gemeinsame Anti-Terror-Einsätze mit westlichen Partnern gewährleisten konnte, besonders auch für Deutschland. In Niamey sind circa 100 Soldatinnen und Soldaten der deutschen Bundeswehr stationiert, die besonders wichtig für die Versorgung der Einsatzkontingente in Gao (Nordmali) sind. In welche Richtung sich dies nun entwickeln wird, ist noch nicht absehbar, es wird entscheidend darauf ankommen, wie sich die neue Militärjunta nun aufstellt.
Es ist davon auszugehen, dass es auch zu internen Verteilungs- und Machtkämpfen kommen wird. Verschiedene Quellen bestätigen, dass das Militär durchaus gespalten ist und andere Sicherheitskräfte, wie zum Beispiel die Gendarmerie, noch nicht involviert wurden. Außerdem ist abzuwarten, was die Vermittlungsbemühungen der Westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS bringen können. In der Vergangenheit war die ECOWAS jedoch nicht sonderlich populär, weil die Sanktionen gegen Mali und Burkina Faso oft als Sanktionen gegen die Bevölkerung wahrgenommen wurden.
Der regionale Umgang mit den politischen Krisen in Mali und Burkina Faso zeigte offensichtliche Lücken hinsichtlich der Instrumente, die der ECOWAS und der Afrikanischen Union (AU) zur Verfügung stehen. Der Staatsstreich wurde gestern vollzogen ungeachtet einer ergreifenden und sehr reaktionsschnellen Erklärung der Vorsitzenden von ECOWAS und AU sowie ungeachtet der raschen Einsetzung einer Mediation zur Klärung der Situation. Die internationale Gemeinschaft und die westlichen Partnerländer Nigers stellten sich hinter die Erklärungen der ECOWAS und der AU und verurteilten den Putsch aufs Schärfste. Nun müssten die Maßnahmen zusammenwirken zugunsten eines Dialogs mit den Meuterern, um eine schnelle Rückkehr zur normalen verfassungsmäßigen Ordnung zu ermöglichen. Für das Land und die Region steht viel auf dem Spiel.
Philipp M. Goldberg leitet das Kompetenzzentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung für Frieden und Sicherheit in Sub-Sahara-Afrika mit Sitz in Dakar. Zuvor war er Leiter des FES-Büros in Mali sowie Referent für Westafrika in Berlin.