Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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Botho Strauß: Nicht mehr. Mehr nicht: Chiffren für sie

Aufgrund der Klappenankündigung könnte man noch vermuten, es erwarte den Leser ein Text im Stil von Christa Wolfs, Kassandra. Das einzige, was diese Texte jedoch gemeinsam haben, ist das antike Sujet.

Botho Strauß © Ruth Walz

Der Autor schlüpft in die Person Gertrud Vormwegs und vergleicht sich in dieser Rolle mit Dido, der Geliebten des mythischen Aeneas, der aus Troja geflüchtet ist, um am Ende das römische Reich zu gründen. Für Aeneas ist Dido eine nette Unterbrechung, während sie mit ihm eine Art Symbiose einzugehen meint. Das ist der lockere Rahmen aus der Perspektive dieser Frau. Sie ist eine nahe am Irrsinn entlangschlitternde, depressive Verlassene, deren Gedanken Tag und Nacht nur um den Verlust kreisen, in dem Versuch, einen Rest Würde aus der niederschmetternden Erfahrung zu retten. Vor lauter Trauer denkt sie manchmal hellsichtig, manchmal unklar, kaum ausformuliert. Die Phasen und Stimmungen sind derart prägnant getroffen, dass man Strauß einschlägige Erfahrung unterstellen muss. Als Didos Projektionswand dient der Mann, dem sie unterstellt, den Betrug schon vorausgeahnt oder sogar geplant zu haben. Sie überlegt, ob aneinander vorbeigeredet wurde oder die Sprache an sich unzulänglich war.

Der Schreibstil, der aus einer, sparsam zu Aphorismen ausformulierten Ansammlung von Gedankensplittern besteht, unterstreicht damit ihre Verwirrtheit. Mit originellen Metaphern (z.B. vom Trübsinn geschwärztes Hochzeitssilber) und überraschenden Wortneuschöpfungen, denen es nachzuspüren lohnt, unterbricht der Autor permanent den Lesefluss. Die Entschlüsselung ist ein gelungenes Fest für Liebhaber von Sprachspielen und Sprachjongleuren.

Dazwischen gestreut sind unzusammenhängende, allgemeine Gedanken zur Gegenwart: über Kommunikation, Natur, Beziehungen im Allgemeinen, Verhalten, Philosophie, Religion, Ewigkeit, antike Literatur, Trauer ums Altern, Überdruss an der dinglichen Welt uam.

Handlung, roter Faden und Spannungsbogen, überhaupt Geschichten zu erzählen interessiert den Autor nicht, was sicher die Zahl der Leser beschränkt. Sollte der Text mal zur Unterrichtslektüre von Abiturienten werden, wird er noch manchem den Schweiß auf die Stirn treiben, denn für Interpretationsübungen bietet er reichlich Material.

 

Verlag
Hanser, Carl GmbH + Co.
ISBN
9783446270886

 

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