Die Bundesregierung plant, anerkannte Flüchtlinge in Zukunft je nach Integrationschancen auf Städte und Regionen zu verteilen. Bis zu drei Jahre sollen sie in dem Bundesland wohnen, dem sie nach dem so genannten Königsteiner Schlüssel und der beabsichtigten Folgeregelung zugewiesen wurden. Das sieht das neue Integrationsgesetz vor. Was nach einem harten Schritt klingt, bietet Flüchtlingen neue Perspektiven.

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Bislang zieht es viele Flüchtlinge in Großstädte mit hohem Migrantenanteil. Vor allem Ruhrgebietsmetropolen wie Essen werden zum Ziel. Das will die Bundesregierung jetzt verhindern.

Anerkannte Flüchtlinge dürfen sich nach der neuen Regelung den eigenen Wohnort erstmal drei Jahre lang nicht mehr selber aussuchen. Die Regierung kann sie aber innerhalb dieser drei Zeit auf einzelne Städte und Regionen verteilen, abhängig von der lokalen Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation sowie dem vorhandenen Wohnraum und den Möglichkeiten, Deutsch zu lernen – Voraussetzungen, die im “Königsteiner Schlüssel” bislang nicht berücksichtigt werden. Ausgenommen von dieser Regel sind unter anderem Personen, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung finden, eine Berufsausbildung aufnehmen oder ein Studium beginnen.

Was vordergründig hart klingt, könnte Flüchtlingen langfristig auf ihrem Weg in die deutsche Gesellschaft helfen. Denn damit soll auch verhindert werden, dass sie sich nach der Anerkennung ihres Flüchtlingsstatus in Gebieten mit hohem Migrantenanteil ansiedeln. Denn häufig zieht es diesen Personenkreis in Städte, in denen bereits Familienangehörige oder Menschen aus demselben Herkunftsland leben. Das bietet zwar soziale Sicherheit, kann aber den Weg in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft hemmen, wie erste Studien zeigen. Außerdem droht eine Überlastung einzelner Großstädte, unter anderem im Ruhrgebiet.

Daher ist die Entscheidung der Bundesregierung richtig. Wichtig ist aber, dass ein bundeseinheitlicher Verteilungsmechanismus von den Ländern konsequent umgesetzt wird, so dass Flüchtlinge auch wirklich in die Regionen verteilt werden, in denen sie die besten Integrationschancen haben.

Bundesländer gewinnen unterschiedliche Zuwanderergruppen

Für welche Zielregionen innerhalb Deutschland sich Immigranten entscheiden, hängt von verschiedenen Faktoren ab und unterscheidet sich je nach Zuwanderergruppe deutlich. So kommen in die wirtschaftsstarken süddeutschen Bundesländer besonders viele Erwerbsmigranten, während nach Nordrhein–Westfalen, das in weiten Teilen bereits stark “ausländisch” geprägt ist, besonders viele anerkannte Flüchtlinge ziehen.

Wanderungsbewegungen liegen in der Regel komplexe Entscheidungsprozesse zugrunde. So sind für die Wahl des Zielortes insbesondere folgende Faktoren relevant:

  • Die Lage am Arbeitsmarkt: Wanderungsentscheidungen werden häufig vorwiegend oder zu großen Teilen aus wirtschaftlichen Erwägungen getroffen. Daher haben auch die Einkommensperspektiven großen Einfluss auf die Zielortwahl. Diese ergeben sich im Wesentlichen aus dem Lohnniveau und der Wahrscheinlichkeit, eine Arbeit zu finden beziehungsweise arbeitslos zu werden (Harris/Todaro, 1970). Allerdings spielt auch die soziale Sicherung eine wichtige Rolle. Können Zuwanderer in der Zielregion im Falle einer Erwerbslosigkeit Sozialleistungen beziehen, sind sie weniger stark darauf angewiesen, zügig eine passende Arbeit zu finden.
  • Die Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung: Jüngere Menschen wandern häufig nicht mit der Absicht, in der Zielregion erwerbstätig zu werden, sondern einen Teil ihres Bildungswegs, etwa einen Abschnitt eines Hochschulstudiums, zu absolvieren. Für diese Personen sind die entsprechenden Kapazitäten und Rahmenbedingungen (z. B. Gebühren) im Bildungssystem sehr viel wichtiger als ihre späteren Jobaussichten. Auch für Personen, die ihre Ausbildung bereits abgeschlossen haben, kann die Qualität des Bildungssystems mit Blick auf die Chancen ihrer Kinder von großer Bedeutung für die Zielortwahl sein (Geis et al., 2013).
  • Migrantennetzwerke: Wenn an einem Zielort bereits in größerem Umfang Personen aus demselben Herkunftsland, derselben Herkunftsregion oder gar demselben Herkunftsort leben, steigert das die Zuzugswahrscheinlichkeit deutlich (Mun­shi, 2003). Ursächlich hierfür sind insbesondere drei Faktoren. So versorgen Migrantennetzwerke Zuwanderungsinteressierte mit Informationen, die ihnen die Wanderung erleichtern. Zudem ist es für die zuwandernden Personen so leichter, nach ihrer Ankunft soziale Kontakte zu knüpfen und im Zielland einen Bekannten- und Freundeskreis aufzubauen. Des Weiteren bieten starke Migranten-Ansammlungen eine entsprechende Infrastruktur – angefangen von religiösen Einrichtungen über Kulturvereine bis hin zu speziellen Supermärkten und Restaurants. Besonders wichtig ist dies für Zuwanderer, die die Sprache des Ziellandes nur schlecht oder gar nicht sprechen, da sie innerhalb der Community in der Heimatsprache kommunizieren können.
  • Die Attraktivität als Wohnort: Wie attraktiv Städte und Regionen als Zielort für Zuwanderer sind, hängt neben dem Arbeitsmarkt auch von ihrem Image und den vorhandenen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten ab. Dabei spielen neben kulturellen und Freizeitangeboten auch die klimatischen Gegebenheiten und die Landschaft eine Rolle. Wie attraktiv eine Stadt oder Region als Wohnort ist, kann sich je nach Gruppe deutlich unterscheiden, da etwa jüngere Menschen andere Bedürfnisse mit Blick auf die Freizeitgestaltung haben als ältere.

Die konkrete Bedeutung der genannten Faktoren für die Zielortwahl hängt stark von den Umständen der Zuwanderung ab. Mit Blick auf die vier Bereiche der Erteilung von Aufenthaltstiteln an Personen aus Drittstaaten – bei EU-Ausländern ist eine entsprechende Differenzierung aufgrund der Freizügigkeit nicht möglich – lässt sich folgendes sagen:

  • Aufenthaltstitel zur Ausbildung: Die Zuwanderung zur Ausbildung richtet sich vor allem nach dem Angebot passender Bildungsangebote (z. B. Universitäten). Zudem spielen kulturelle und Freizeitangebote für jüngere Menschen eine wichtige Rolle.
  • Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit: Für die Zuwanderung zur Erwerbstätigkeit ist die Lage am Arbeitsmarkt besonders relevant, da die Verfügbarkeit einer passenden Arbeitsstelle Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist. Darüber hinaus spielt aber auch die Attraktivität der Region als Wohnort eine Rolle.
  • Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen: Bei Inhabern von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen handelt es sich in der Regel um anerkannte Flüchtlinge. Anders als die anderen Zuwanderergruppen können diese ihren Wohnort nicht bereits zum Zeitpunkt ihrer Einreise frei wählen, sondern werden als Asylbewerber nach festen Schlüsseln verteilt (Geis/Orth, 2016). Erst nach ihrer Anerkennung können sie derzeit entsprechend ihrer Wünsche innerhalb des Bundesgebiets umziehen. Anders als Inhaber zur Ausbildung und Erwerbstätigkeit, die ihren Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich selbst sichern müssen, haben anerkannte Flüchtlinge bei Bedarf Anspruch auf Sozialleistungen, sodass die Verfügbarkeit einer passenden Stelle nicht Grundvoraussetzung für die Wahl eines Zielortes ist. Zudem verfügen sie meist über geringere Sprachkenntnisse, da sie sich im Vorfeld des Zuzugs nicht intensiv auf das Leben in Deutschland vorbereitet haben können und für sie auch nicht die im Kontext der Erwerbsmigration gängigen hohen Qualifikationsanforderungen gelten. Daher spielen für sie Migrantennetzwerke eine besondere Rolle.
  • Familiennachzug: Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund, aber auch Erwerbsmigranten und anerkannte Flüchtlinge können enge Familienangehörige nach Deutschland holen. Wo sich die betreffenden Personen in Deutschland ansiedeln, hängt vorwiegend davon ab, wo ihre nachholenden Familienangehörigen bereits leben.

Betrachtet man die Verteilung der genannten Zuwanderergruppen auf die einzelnen Bundesländer zeigen sich deutlich Unterschiede (Tabelle). So leben in Berlin mit einem Anteil von 12,4 Prozent besonders viele Zuwanderer mit einem Aufenthaltstitel zur Ausbildung, was vor allem auf die vielfältigen Angebote der Hauptstadt für junge Menschen zurückgehen dürfte. In Bayern leben mit 19,0 Prozent besonders viele Personen mit Aufenthaltstiteln zur Erwerbstätigkeit, was der dort vorherrschenden sehr guten Arbeitsmarktlage geschuldet sein dürfte. Nord­rhein-Westfalen ist der Wohnort besonders vieler Personen mit Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen, was auf die stark migrantische Prägung weiter Teile des Landes und die entsprechend starken Migranten-Communities zurückzuführen sein dürfte. Beim Familiennachzug zeigen sich keine so deutlichen Ausschläge, wie bei den anderen Zuwanderergruppen.

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OrthGeis

Anja Katrin Orth (Neue Chancen für die Integration)

Dr. Wido Geis (Bundesländer gewinnen unterschiedliche Zuwanderergruppen)

 

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