Charly Hübner, Hildegard Schmahl © Majestic / Christine Schroeder

In Lars Jessens Drama geht es um Heimat, Veränderung und Stillstand. In Rückblenden und auf unterschiedlichen Zeitebenen spielend erzählt der Film eine berührende Familiengeschichte, mit Charlie Hübner in der Hauptrolle. “Das Alte Land”, der erste Bestsellerroman der Autorin Dörte Hansen, wurde als Miniserie fürs Fernsehen mit Iris Berben verfilmt. Jetzt kommt ihr zweiter Roman “Mittagsstunde” auf die große Leinwand, mit einem überragenden Charlie Hübner in der Hauptrolle. Wieder geht es um eine Familiengeschichte in Norddeutschland, angesiedelt im fiktiven Dorf Brinkebüll.

Ingwer stammt aus dem nordfriesischen Brinkebüll, hat seinem Heimatdorf aber längst den Rücken gekehrt. 2012 arbeitet er als Dozent für Geschichte an der Universität Kiel und lebt in einem offenen WG-Beziehungsgeflecht mit Ragnhild (Julika Jenkins) und Claudius (Nicki von Tempelhoff). Da seine Eltern Ella (Hildegard Schmahl) und Sönke (Peter Franke) inzwischen alt und tüddelig bis dement sind, beschließt Ingwer, sich eine einjährige Auszeit zu nehmen und ihnen daheim unter die Arme zu greifen.

Charly Hübner, Peter Franke © Majestic / Christine Schroeder

Als seine Großmutter Ella (Hildegard Schmahl) zusehends verwirrter wird und sein Großvater Sönke (Peter Franke) sich einfach nicht von seiner Kneipe, dem Dorfkrug, trennen will, sieht der 47-jährige Ingwer Feddersen (Charly Hübner) die Zeit gekommen, wieder in sein Heimatdorf zurückzukehren. Der Dorfkrug ist nicht mehr das, was er einst war – doch das trifft auf das ganze Dorf zu. Ingwer fragt sich, wann genau der Zeitpunkt war, an dem es mit dem Dorf Brinkebüll bergab ging? War es in den 1970ern, als nach der Flurbereinigung die Hecken und dann auch die Vögel verschwanden? Als immer größere Landwirtschaftsbetriebe gebaut wurden, sodass kleinere weichen mussten? Ist vielleicht er schuld, weil er seinen Großvater mit der Gastronomie alleine ließ, um in Kiel zu studieren?

Charly Hübner © Majestic / Christine Schroeder

Die Krux der ungewöhnlichen Feddersen-Familienstory erzählen die wie zufällig zusammengestellt wirkenden Zeitreisen in die 60er- und 70er-Jahre, wenn auch nicht mit vielen Worten, dafür mit umso mehr kleinen Gesten und Blicken. Damals bildete die Gaststätte “Dorfkrug” von Sönke (Rainer Bock) den Mittelpunkt des ländlichen Geschehens, Ella (Gabriela Maria Schmeide) war noch Herrin ihrer Sinne, nicht aber ihrer Gefühle, und Ingwer (Lennard Conrad) wusste nie so recht, wohin er eigentlich gehört. So idyllisch die Bilder der Wiesen und Felder manchmal auch sind, in denen Regisseur Jessen und Kameramann Kristian Leschner das anrührende Familiendrama erzählen, so wenig herrscht diese Idylle in Brinkelbüll tatsächlich vor. Während in den 70ern durch die Flurbereinigung das alte Dorfleben auf den Kopf gestellt wird, scheint 2012 das Leben längst aus dem Dorf gewichen. Geblieben sind alte Menschen, angestaubtes Mobiliar und jede Menge Lokalkolorit.

 

Der Charme der Norddeutschen besteht in ihrer Schweigsamkeit, da machen auch die Figuren in “Mittagsstunde” keine Ausnahme. Gesprochen wird nur das Nötigste, und das “op Platt”, weil es dann noch weniger Worte benötigt, den Inhalt zu transportieren. Der Kinogänger hat die Wahl zwischen einer plattdeutschen Version mit Untertiteln und einer hochdeutschen. Eine Besonderheit, die sich wohl erst beim Drehen ergeben hat. Wer den Figuren wirklich nahe kommen und diesen Schlag Mensch emotional verstehen möchte, sollte sich für die Version auf Platt entscheiden. So ist “Mittagsstunde” ein Film voll ländlicher Tristesse und mit realistischen Figuren, die berühren.

Basiert auf Dörte Hansens gleichnamigen Roman aus dem Jahre 2018.

Zeit seiner Karriere dreht der aus Kiel stammende Regisseur Lars Jessen mit Vorliebe Filme über Nordeutschland und seine Bewohner. Zu seinen bekanntesten Werken gehören “Fraktus” über die fiktive 80er-Synthiepop-Band mit den “Studio Braun”-Machern Heinz Strunk, Rocko Schamoni und Jacques Palminger sowie “Dorfpunks”, eine Adaption des gleichnamigen Romans von bereits erwähntem Schamoni.

 

Regie Lars Jessen
Drehbuch Catharina Junk, Dörte Hansen (Literarische Vorlage)
Produktion Florida Film GmbH, ZDF – Zweites Deutsches Fernsehen [de]
Verleih/Vertrieb Filmladen Filmverleih GmbH [at], Majestic Filmverleih GmbH [de]

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