Von Michael Stallkamp

Überdurchschnittliche Erinnerungen, durchschnittliches Spiel und unterdurchschnittliches Wetter am Niederrhein. Doch wie schmeckt die Stadionwurst im Mönchengladbacher Borussia-Park?

Borussia-Park in Mönchengladbach

In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts sorgte Borussia Mönchengladbach in der deutschen und europäischen Fußballszene für Furore. Im Wechsel mit Bayern München wurden die Kicker zwischen 1970 und 1977 fünfmal Deutscher Fußballmeister, dazu DFB-Pokalsieger und zweimal Gewinner des UEFA-Cups. Ihr häufig wilder und ungestümer Spielstil, der manchmal auch spektakulär scheiterte, bescherte ihnen den liebevollen Namen Fohlenelf sowie Fans in der ganzen Republik. Dieses junge und sympathische Team verkörperte das Gegengewicht zur eher pragmatischen Erfolgstruppe der Münchner Bayern. Der Gladbacher Anführer Günter Netzer galt als nonkonformistische Persönlichkeit und kontrastierte das damals noch makellose Image des Münchner „Kaisers“ Franz Beckenbauer. Wer wollte, sah hier den klassischen Kampf der Außenseiter gegen die Etablierten, der Provinz gegen die schillernde Großstadt.

So ist verständlich, dass im modernen und schmucklosen Stadion der grün-weißen Borussia auf einer riesigen Tafel „Stolzer Blick zurück“ zu lesen ist. Der aktuelle Fußball soll aber nicht zur Nostalgieveranstaltung verkommen: „Volle Kraft nach vorn“, mahnt deshalb eine andere Inschrift.

Heute an einem dunklen Freitagabend erinnert zunächst nichts an die überwiegend großartige Stimmung der Erfolgsjahre. Das Thermometer zeigt frische sieben Grad, und es regnet in Strömen. Endlich ist der nasse Marsch vom Parkplatz zum Stadion bewältigt. Die gut organisierten Verkaufsstände sind umlagert. Hier gibt es Bratwurst, Currywurst, Frikadellen, Fritten – also klassische Stadionnahrung und ausschließlich gegen Barzahlung. Die Bratwurst im Brötchen kostet 3,00 Euro und wird von „Hardy Remagen“ geliefert. Auf jeder Preistafel wirbt das Unternehmen offensiv für sein Produkt. Das ist nicht außergewöhnlich, aber – dieser Produzent kommt aus Köln, der aus Mönchengladbacher Fußballsicht doch eigentlich verbotenen Stadt. 1718 gründete Theodor Remagen seine Metzgerei in der Lintgasse zu Köln. Heute wird in Hürth produziert, vier Kilometer vom Geißbockheim entfernt, dem Clubhaus des 1. FC Köln. Das sollte doch für die Gladbacher Fans ein Unding sein, begegnet man den Kölnern immerhin mit engagierter Abneigung.

Hennes Weisweiler, der langjährige legendäre Erfolgstrainer in Mönchengladbach, hat diese bis heute häufig aus dem Ruder laufende Rivalität zwischen den Gladbachern und den Kölnern begründet und nachhaltig geschürt. In den 50-er Jahren hatte Weisweiler den 1. FC Köln trainiert und erlebt, dass das dortige Maskottchen, ein Geißbock, nach ihm benannt worden war. Zweimal kehrte er – aus vielfältigen Gründen frustriert – dem Verein den Rücken, wirkte anschließend bei der SC Viktoria Köln, um dann 1964 sechzig Kilometer nordwestlich beim von den Kölnern belächelten provinziellen Bauernverein Mönchengladbach anzuheuern. Er führte die Borussia von der Regionalliga in die noch junge Bundesliga und später in die internationale Klasse. Vor jedem Spiel gegen den FC puschte Weisweiler seine Fohlen besonders emotional, und schon bei einem Unentschieden gegen seine alte Truppe verhängte er Straftraining. Er verstand es meisterhaft, Funken der Rivalität zu schlagen, die in den beiden Fanlagern zu lodernden Feuern wurden.

Im Gegensatz zum stürmischen Erfolg der Niederrheiner ging es beim 1. FC Köln (1964 noch deutscher Meister) erst einmal nicht so erfolgreich weiter. Doch 1973 erreichte man das DFB-Pokalfinale – ausgerdchnet gegen Mönchengladbach. Und verlor spektakulär! Der Borussenstar Günter Netzer stand seinerzeit kurz vor seinem Wechsel zu Real Madrid und war von seinem Trainer im Streit nicht aufgestellt worden. Zur Überraschung von Spielern und Zuschauern wechselte sich Netzer in einer schwierigen Phase selbst ein und schoss das entscheidende 2:1. Auch 1974 stellte die Borussia dem FC im Halbfinale des UEFA Cups ein Bein.

Weisweiler folgte 1975 dem Ruf des großen Geldes und wechselte zum FC Barcelona, um – Ironie der Geschichte – doch schon bald wieder als Trainer beim 1. FC Köln zu landen und mit diesem 1978 sowohl Deutscher Meister als auch DFB Pokalsieger zu werden.

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Vor diesem Hintergrund hatte ich es nicht für möglich gehalten, im Gladbacher Stadion eine Wurst aus Köln anzutreffen. Offensichtlich schlägt jedoch auch hier der Kommerz die Befindlichkeit. Oder haben die Niederrheiner mit Bratwurst nichts am Hut? Ich frage meinen Freund Thomas. Er ist Niederrheiner durch und durch und heute mein sachkundiger Begleiter. Thomas versichert, die Bratwurst sei sehr wohl in seiner heimischen Kultur verankert. Trotzdem wirkt er ratlos. Wir kaufen die ersten Würste. Sie sind eher kurz, mitteldick, in einem aufgrund der extrem hohen Luftfeuchtigkeit überwiegend weichen mittelgroßen Brötchen liegend. Allerdings vermitteln die Brötchen durchaus den Eindruck, bei trockenem Wetter eventuell kross sein zu können. Auf dem Weg vom Grill zur Theke werden die verkaufsfertigen Produkte unter Wärmelampen zwischengelagert. Das macht die Brötchen etwas knuspriger und die Würstchen etwas trockener. Unter der mittelfesten Außenhaut stoßen wir auf eine Bratmasse mit mittlerem Würzungsgrad und Fettgehalt. Die Röstaromen sind mäßig ausgeprägt. Wir erstehen weitere Testobjekte an einem anderen, mittlerweile sehr vollen, Verkaufsstand. Unsere Eindrücke werden bestätigt. Die Stadionwurst in Mönchengladbach unterscheidet sich doch sehr von einer guten, traditionellen Qualitätswurst. Es passt ins Bild, dass auch als Stadionbier kein regionales Traditionsprodukt sondern das im Fernsehen heftigst beworbene Bier aus der Eifel angeboten wird. Etwas enttäuscht nehmen wir unsere Plätze ein und verfolgen die uninspiriert abgespulten gängigen Rituale vor dem Anpfiff. Es regnet nicht mehr.

Das Spiel gegen Freiburg plätschert dahin und endet gerecht 1:1. Thomas bleibt viel Zeit für Erinnerungen an faszinierende Spiele im alten Stadion der Borussia auf dem Bökelberg. Sein Vater und sein Onkel hatten selbstverständlich für ihn und seinen ebenfalls noch kleinen Bruder Höckerchen dabei. Auf diesen stehend konnten auch die kleinen Jungs das Geschehen verfolgen und begeistert ihren Idolen zujubeln. Ein schönes familiäres, sentimentales und nostalgisches Bild, das mir Gänsehaut bereitet.

So überdurchschnittlich die Erinnerungen sind, so durchschnittlich schmeckt leider die Stadionwurst. In der Tabelle der Bratwurstliga kommt sie nicht über einen gesichertem Platz im Mittelfeld hinaus. Hinter den Spitzen München, Leverkusen, Leipzig und Mainz, aber vor den bisher am Ende platzierten Hoffenheim, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Hannover und Dortmund.

Wird fortgesetzt.

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