Von Gisbert Kuhn

Die 12 goldenen Sterne auf blauem Grund haben viele Geschichten. Eine wichtige Rolle spielt Ingo Friedrich

Die Flagge der Europäischen Union (EU) © seppspiegl

12 goldene Sterne in einem Kreis auf blauem Grund – es ist wohl eines der bekanntesten, auf jeden Fall aber der am häufigsten gezeigten Symbole rund um den Erdball: Die Flagge der Europäischen Union (EU). In den Hauptstädten der Gemeinschaft weht sie nicht selten quasi gleichberechtigt neben den jeweiligen Nationalflaggen, in Deutschland auch neben denen der einzelnen Bundesländer und oft auch im Verein mit städtischen Bannern. Und, nicht zu vergessen, sie ziert (wenngleich eher miniaturisiert) millionenfach zwischen Atlantik und baltischen Ostgrenzen sowie vom äußersten schwedischen Norden bis zur südsizilianischen Stiefelspitze Straßenprojekte, Kläranlagen, öffentliche Infrastruktur-Maßnahmen oder Naturschutz-Planungen: „Hier baut der Staat / das Land / die Stadt mit Fördermitteln der Europäischen Union…“

Vorstoß von 18 „Aktivisten“

Dass dies so der Fall ist, hat eine Verknüpfung mit dem Namen Ingo Friedrich. Der Mann aus dem mittelfränkischen Gunzenhausen am Altmühlsee hat das Europa-Symbol nicht erfunden. Aber der damals junge CSU-Abgeordnete im Europarlament war sozusagen die Spitze einer Initiative aus 18 Gleichgesinnten, die 1979 im Hohen Haus von Straßburg den Antrag stellte, es möge der bis dahin bei den europäischen Verbänden und Organen vorherrschenden nationalen Flaggen-Vielfalt mit der Festlegung auf ein Einheitssymbol ein Ende setzen. Und dieses Symbol sollte am besten der bereits vom Europarat genutzte Sternenkranz auf blauem Grund sein.

 In diesen Tagen (am 24. Januar) wird Friedrich 80 Jahre alt. Deutschlandweit eher wenig bekannt, zählte der 1942 im polnischen Kutno (damals annektiertes Wartheland) geborene christsoziale Politiker jahrelang zu den einflussreichsten Strippenziehern auf der Brüsseler und Straßburger Bühne. Er brachte es bis zum Vizepräsidenten des Europaparlaments und auch (bis 2012) zu einem der Stellvertretenden CSU-Vorsitzenden daheim in Bayern. Wenn die Gunzenhausener Stadtoberen an seinem Geburtstag zu einem „Kleinen Festakt“ einladen, wird gewiss die europäische Flaggengeschichte und Ingo Friedrichs Rolle darin gebührend Erwähnung finden.

Ungeklärte „Vaterschaft“

Dabei ist tatsächlich bis heute noch nicht endgültig geklärt, wer die „Vaterschaft“ für die Europafahne beanspruchen kann. Richtig ist, dass die mit den Spitzen nach oben weisenden 12 goldenen Sterne auf blauem Grund bis zu dem Vorstoß Friedrichs und seiner Mitstreiter 1979 das „Alleinstellungsmerkmal“ des (1949 in London gegründeten) Europarats war – der heute 47 Staaten umfassenden, führenden Menschenrechtsorganisation unseres Kontinents. Dieser hatte sich schon 1955 für das Symbol entschieden. Im Europaparlament war die Flaggen-Initiative 1979 zwar wohlwollend aufgenommen worden, die Sternenfahne wurde   tatsächlich aber erst 1983 eingeführt. Nicht selten wird behauptet, die Sternenzahl gehe auf den seinerzeitigen Mitgliederstand der einstigen EWG, späteren EG und heutigen EU zurück – nämlich: 12. Dass jedoch ist definitiv nicht der Fall.

Was indessen auch nur selten ins allgemeine Bewusstsein dringt, ist die Tatsache, dass die Aneignung der Europarats-Flagge durch das Gemeinschafts-Parlament keineswegs ein bloßer Verwaltungsvorgang war. Nach Darstellung Friedrichs bedurfte es vielmehr zuvor eines Bittgangs Otto von Habsburgs (1912 – 2011) bei der Führung der Menschenrechts-Wächter. Tatsächlich bewirkte der älteste Sohn des letzten österreichischen Kaisers, Karl, die „Freigabe“ des Standers. Otto Habsburg, wie der rechtliche Thronfolger nach dem Ende der Donaumonarchie in Rest-Österreich nur noch hieß, war ein freundlicher, weltoffener, weitgereister, stets bescheiden auftretender Herr, der sich den Nazis durch den Gang ins Exil entzogen hatte, sich später weltweit für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzte und seine Bildung gern (und durchaus nicht selten) dadurch aufblitzen ließ, dass er – je nach Bedarf – im Europaparlament aus dem Stehgreif auch auf ungarisch, polnisch und selbst lateinisch glänzende Reden hielt.

Die „12“ hat viele Geschichten

Ingo Friedrich

Nach den Worten von Ingo Friedrich kannte der Kaisersohn den angeblichen „geistigen Schöpfer“ der Sternenfahne auf blauem Grund, den belgisch-jüdischen Europabeamten Paul Levy. Dieser – nach dem Krieg zum Katholizismus konvertiert – habe (Erzählungen zufolge) die Vision dieser Flagge bei einem Besuch in der Marienkapelle des Straßburger Münsters empfangen. In der Tat prangen in dieser Seitenkapelle die 12 goldenen Sterne um das Haupt der Marienstatue. Und dies, besonders eindrucksvoll, vor einem himmelblauen Hintergrund, in dem Levy die „Farbe des Himmels“ erkannt haben wolle.

Andere Autoren sehen sogar mythische Gründe für die Flagge und die Sterne. Sie berufen sich, zum Beispiel, auf das biblische Buch der Offenbarung des Johannes, das von einer „Frau mit der Sonne bekleidet… und auf ihrem Haupt eine Krone von 12 Sternen“ spricht. Damit nicht genug. Selbst das Alte Testament muss herhalten mit den 12 Stämmen Israels, dazu der Hinweis auf die 12 Tierzeichen. So bekommt die Zahl fast schon eine magische Aura: 12 ist die Anzahl der griechischen Ur-Götter, Herkules muss 12 Taten vollbringen, 12 Monate bilden ein Jahr, und ein Tag hat 12 Stunden. Ist also die „12“ nicht ein geradezu natürliches Symbol der Vollkommenheit?

Die „weltliche“ Sicht ist nüchtern

Die weltlich-politische Deutung gräbt sehr viel weniger tief bei der Suche nach den Gründen für das wehende Erscheinungsbild des nach Geschlossenheit und Stärke strebenden Europa. Die Zahl 12 sage gar nichts aus über die Zahl der Mitglieder und der Sternenkranz stehe für Einheit, Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern. Wunsch oder Versprechen? Auf jeden Fall ein Ziel, das anzustreben sich lohnt.

 

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