Das ist „schizophren“ wirklich
Es ist eine psychische Krankheit, die das Denken, die Gefühle, das gesamte Verhalten beeinflussen kann: die Schizophrenie. Ein Teil der Symptome lässt sich heutzutage gut behandeln – und die pharmazeutische Forschung arbeitet an neuartigen Therapieansätzen, um die Versorgung der Betroffenen weiter zu verbessern. Doch gegen ein Leiden wird auch das beste Arzneimittel der Welt nicht helfen können: gegen die Stigmatisierung, welche die Patienten erleben.
24 Millionen: So viele Menschen sind weltweit von Schizophrenie betroffen. Und jede:r Einzelne von ihnen erlebt die Krankheit anders. Eines haben sie wohl alle gemeinsam: die stigmatisierenden Erfahrungen, die sie in der Gesellschaft machen müssen. Hannah (27) aus Deutschland teilt ihre Geschichte daher nur mit einem Pseudonym und einer Perücke. Den 5-monatigen Klinikaufenthalt in ihrer Jugendzeit betrachtete sie, so erzählt sie gegenüber dem Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, weniger als Psychiatrie, sondern mehr als „Schutzraum“. Als sie danach eine Ausbildung anfangen wollte, rieten ihr Hausarzt und Psychiater, die Schizophrenie nicht anzugeben – sie gingen davon aus, dass ihr die Stelle sonst verwehrt werden würde. Derek aus Kanada leidet mit seinen Eltern darunter, dass Mitglieder der Großfamilie Besuche bei ihnen meiden. Und auch die Betroffene Bethany (42) aus den USA sagt: „Ich sehe immer wieder, dass Menschen stigmatisieren. Es gibt einfach viele Falschinformationen“ – selbst unter Fachpersonal: „Ich lernte eine junge Ärztin in der Kirche kennen und sie sprach darüber, dass Menschen mit Schizophrenie sich ja niemals davon erholen könnten und sie meist beeinträchtigt bleiben.“
Doch dem muss nicht so sein: Hannah, die unter anderem unter Konzentrationsschwierigkeiten sowie Verfolgungswahn litt und ihren Plan vom Studium vorerst aufgeben musste, schreibt heute ihre Bachelorarbeit in Mathematik. „Aktuell beeinflusst mich die Schizophrenie nicht mehr“. Und Bethany, die in Folge von Paranoia, kognitiven und sozialen Problemen das College hinschmiss, den Kontakt zu ihren verzweifelten Eltern abbrach und schließlich obdachlos wurde, weiß nun: „Durch die Entschlossenheit meiner Eltern und weil sie sich weigerten mich aufzugeben, war es mir möglich, ein Medikament zu finden, durch welches ich komplett genesen konnte.“ Sie schloss das College ab, liebt ihre Arbeit und klärt auf – über eine von ihr mitgegründete Stiftung, über Vorträge an medizinischen sowie juristischen Fakultäten oder an Pflege-Ausbildungsstätten und über ihr eigenes Buch.
Schizophrenie: Viele Facetten
Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung, die meist erstmalig im Alter zwischen 15 Jahren und 35 Jahren auftritt und einen chronischen Verlauf nehmen kann. In Deutschland leben rund 400.000 Menschen mit dieser Diagnose. Die Symptome: vielfältig und komplex. Sie können plötzlich oder schleichend einsetzen, entwickeln sich häufig schubartig und lassen sich grob in drei Kategorien einordnen:
- Positivsymptome umfassen Wahnvorstellungen, Halluzinationen und motorische Unruhe.
- Zu den Negativsymptomen gehören u.a. sozialer Rückzug, Antriebslosigkeit, Sprachverarmung oder ein Verlust an Lebensfreude.
- Unter kognitiven Symptomen versteht die Medizin z.B. Probleme mit Aufmerksamkeit, Konzentration, Lern- und Erinnerungsvermögen. Das logische Denken, die Fähigkeit zur Problemlösung und die soziale Kognition können eingeschränkt sein.
Bei Bethany zum Beispiel zeigte sich ihre erste psychotische Episode bei einer College-Prüfung in Molekulargenetik: Sie dachte, sie hätte bestanden. Doch in Wahrheit hatte sie „einfach alle Antworten in einem unverständlichen Kauderwelsch geschrieben.“ Im Laufe ihrer Erkrankung glaubte sie, dass sie auf dem Weg wäre, weltweit etwas Großes zu bewirken – und dass ihre Eltern sie davon abhalten wollen. „Meine Stimmen in meinem Kopf waren unglaublich mächtig.“ Hannah hatte Vorstellungen, wonach sie im Besitz wichtiger Informationen war, aufgrund derer sie verfolgt wurde. Derek hingegen leidet vor allem unter Negativsymptomen wie Sozialphobie. Und der 39-jährige Yuhei aus Japan berichtet davon, dass es ihm schwerfällt, sich auszudrücken, und dass ihn Lärm beeinträchtigt. Ihm helfen Kopfhörer, die Geräusche unterdrücken.
Schizophrenie behandeln
Manche Menschen sind einmalig von einer psychotischen Episode betroffen, andere wiederum haben mehrere Episoden, ohne dass sie anhaltende Beeinträchtigungen davontragen. Und dann gibt es Patient:innen, deren Symptome sich trotz Medikation nicht zurückbilden.
„Zur Behandlung der Schizophrenie gibt es verschiedene medikamentöse, psychologische und andere Therapien wie zum Beispiel Ergo-, Familien- oder Soziotherapie“, heißt es seitens Boehringer Ingelheim. Insbesondere die sogenannten Positivsymptome können in der Regel gut mit Antipsychotika behandelt werden. Schwieriger ist es, die Negativsymptome in Griff zu kriegen. Derek wird von seinen Eltern betreut und gepflegt. Sein Vater erzählt unter Tränen: „Wenn man es schaffen würde, gegen die negativen Symptome anzukommen und betroffene Menschen dazu bringen könnte sich unter Leute zu begeben, wäre das ein großer Fortschritt vorwärts bei dieser Erkrankung. Das wäre lebensverändernd für uns“. Zur Behandlung von kognitiven Symptomen stehen bislang keine spezifischen Arzneimittel zur Verfügung. „Im Idealfall gibt es eines Tages ein Medikament, dass die kognitiven Fähigkeiten verbessert“, so Bethany.
Die Forschung arbeitet daran, die Versorgung, die Lebensqualität und berufliche sowie gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verbessern. Bei Boehringer Ingelheim untersuchen Wissenschaftler:innen beispielsweise, „welche neurobiologischen Prozesse bestimmten Verhaltensweisen zugrunde liegen, um gezielt Therapien zu entwickeln, die nicht nur die Symptome, sondern auch die Belastung durch diese Erkrankungen verringern.“
Psychische Erkrankungen: Gegen das Stigma
„Wir engagieren uns nicht nur für eine bessere medizinische Versorgung, sondern wollen auch dazu beitragen, ein realistischeres und ausgewogeneres Bild psychischer Erkrankungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Nur so kann der Stigmatisierung von Menschen, die mit schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie leben, entgegengewirkt werden“, erklärte kürzlich Sonja Nauenburg, Leiterin des Therapiebereichs für psychische Gesundheit bei Boehringer Ingelheim in Deutschland. In Berlin hatte das Unternehmen im November 2024 einen interaktiven Erlebnisraum geschaffen, um bei den Besucher:innen das Bewusstsein für den Leidensdruck der Erkrankten zu schärfen.
„Man kann tatsächlich etwas ändern“, betont Hannah in einem Kurzfilm. Auf Instagram klärt sie auf – oft mit blauer Perücke. Sie ist „für mich wie eine Art Superhelden-Kostüm“. 2023 hat sie gemeinsam mit anderen Betroffenen und Angehörigen eine erste Demonstration in Berlin organisiert, um die Schizophrenie in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Auch Yuhei aus Tokio engagiert sich: Er repräsentiert Porgue – „eine Organisation für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen“. Es geht um das Netzwerk – „niemals allein“, sondern unter Gleichgesinnten zu sein – und um den Kampf gegen das Stigma. Mit Informationsmaterialien will er aufklären.
Wie dringend notwendig das ist, zeigt die oft verwendete Formulierung: „Das ist doch schizophren“. Gemeint ist etwas Widersprüchliches, etwas vermeintlich Verrücktes – und so ist der Begriff im alltäglichen Sprachgebrauch negativ konnotiert und trägt zur Stigmatisierung bei. Es gibt wohl kaum eine andere Krankheit, bei der die Realität der Betroffenen und die falschen Vorstellungen von Nicht-Betroffenen so wenig zueinander passen wie bei der Schizophrenie. Das Vorurteil einer gespaltenen Persönlichkeit? Schlichtweg falsch. Mit einer Persönlichkeitsstörung im Sinne von Dr. Jekyll and Mr. Hyde hat die Erkrankung rein gar nichts zu tun.
Quelle: https://pharma-fakten.de/news/das-ist-schizophren-wirklich/?utm_source=newsletter-660
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