Auf den Spuren von 007
von Aide Rehbaum
Der Jeep stoppt mit einer Staubwolke. Nach links beträgt der Abstand zur Felswand vielleicht einen halben Meter, fünfzehn Zentimeter rechts des Reifens fällt der Berg fast senkrecht ab. Keine Leitplanke, kein Begrenzungspfahl, etwas bröckeliger Kies ist alles, was uns vom Abgrund trennt. Der geschotterte Weg führt mit einer Steigung von 14 Prozent hinauf, ein Koloss von LKW mit einem halben Gebirge auf der Ladefläche kommt hupend entgegen. Hoffentlich weiß unser Fahrer, was er tut. Nicht nur mir ist mulmig. Der macht das mehrmals täglich, sage ich mir, aber ist das eine Sicherheitsgarantie?
Wir hatten uns gewundert, als wir uns vorgestern den Apuanischen Alpen näherten. Alles, was wir von weitem für Schnee gehalten haben, entpuppt sich jetzt als „weißes Gold“, wie die Kaufleute aus Genua im Mittelalter über den Marmor sagten. Bis zu einer Höhe von 1900 Metern ragt der kostbare Stein aus dem Mittelmeer empor und laut unserem Führer reicht er noch tausend Jahre mindestens. Für bare Münze nehmen wir das nicht, wahrscheinlich will er nur betonen, dass nicht absehbar ist, wann der Vorrat erschöpft sein wird. Nach einer Phase der Stagnation gab es 1857 wieder 600 Steinbrüche. Heute werden in ca. 150 Steinbrüchen über und unter Tage pro Jahr rd. 5 Millionen Tonnen gebrochen.
Unser Jeep rollt jedenfalls kontrolliert rückwärts bis zur letzten Kehre. Selbst die Transporter müssen in den Serpentinen waghalsig rangieren. Zu sechst klammern wir uns auf den Sitzen fest, ausgerüstet mit Helmen und Warnwesten. Wir sind dort, wo James Bond (In „Ein Quantum Trost“) seinen Verfolgern im Sportwagen entkommen ist, in den Marmorbrüchen von Frantiscritti in Carrara. So ein Transport kam ihm dabei nicht entgegen.
Oben steigen wir aus. Ein Riesenlader mit einem blendend weißen Stein auf der Schaufel rattert vorbei. Allein sein Reifendurchmesser überragt jeden von uns. Als wir den Krach nicht mehr überschreien müssen, erklärt uns Luigi, unser Führer: „Seit dem Zweiten Weltkrieg wird nicht mehr gesprengt.“ Er zeigt auf die feinen künstlichen Schlitze, die die Wände unter uns in etwa gleichgroße Abschnitte unterteilen, vor denen nur wenige Menschen Ameisen gleich Drahtseile verlegen und Lader dirigieren. „Die Arbeit ist trotz aller modernen Technik immer noch gefährlich. Ein tödlicher Unfall pro Jahr.“
Obwohl fast wie zur Römerzeit mit quellenden Holzkeilen die Rückseite der ansonsten gesägten Blöcke vom Berg gelöst wird, bleibt nur jeder zehnte 20-Tonnen-Stein unversehrt. Alle mit Riss kommen in ein Lager, werden gereinigt und dann zu einem der 250 Betriebe Richtung Hafen zur Verwertung gebracht. Fünfzig verschiedene Marmorsorten werden in der Region abgebaut. Je weißer und reiner, umso teurer. „Hochwertigste Blöcke erzielen einen Preis von 10.000 Euro pro Kubikmeter“, versichert Luigi. Die hübsche, braun marmorierte Verkleidung einer Fabrik, die wir auf dem Weg passierten, war also billiger Abfall.
Luigi deutet nach Westen: „Da drüben hat Michelangelo seine Blöcke ausgesucht und mit Ochsengespannen ins Tal gebracht.“ Für Papst Leo X. erschloss er außerdem die Flanke des Monte Altissimo.
In dieser Gegend braucht man kein anderes Material. Poller, Bordsteine alles aus Marmor, von Denkmälern ganz zu schweigen. Auf den Klötzen der Mole kann sich jeder Hobbybildhauer verewigen. Den Staub verscherbeln sie für Kosmetika, Seife und Zahnpasta. In jeder Ritze unseres Wohnmobils hat er sich abgesetzt. Wenn uns die Zahnpasta also mal ausgehen sollte….