Die Pandemie hat Amazon zum mächtigsten Unternehmen der Welt gemacht. Höchste Zeit, den unlauteren Methoden des Konzerns Einhalt zu gebieten.

“Es gibt Gesetze die Menschen versklaven und Gesetze die sie befreien. Entweder ist das was wir für gerecht, gütig und wahr halten gerecht, gütig und wahr für all die Menschen auf Gottes Erde, oder wir sind nichts weiter als eine Bande von Räubern!” © Yuri_B auf Pixabay

Die Welt tritt in eine Ära enormer Veränderungen ein, die durch unsere kollektive Reaktion auf die durch die Pandemie verursachten menschlichen und wirtschaftlichen Verwüstungen bestimmt wird. Während sich Covid-19 über die gesamte Welt ausbreitet, müssen progressive Kräfte, denen noch an einer Politik des Gemeinwohls und an der Würde der Arbeit liegt, den Aufstieg von Amazon an die Spitze einer beinharten Wirtschaft als Aufruf zum Handeln betrachten.

Als in der Krise nicht systemrelevante Geschäfte schließen mussten, konnte Amazon seinen Marktwert auf über 1,5 Billionen US-Dollar fast verdoppeln; der Gewinn stieg im dritten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 200 Prozent. Allein in den Vereinigten Staaten wird Amazon voraussichtlich von jedem Dollar, der in der Weihnachtszeit ausgegeben wird, satte 42 Cent einstreichen. Jeff Bezos, schon zuvor der reichste Mann der Welt, ist noch reicher geworden und baut sein Imperium in nie dagewesenem Umfang aus.

Das Arbeitstempo in den Amazon-Warenlagern ist seit jeher brutal und gnadenlos, Arbeitsunfälle kommen deutlich häufiger vor als in vergleichbaren Unternehmen. Doch seit die Kunden mit Beginn der Covid-19-Krise den E-Commerce stärker nutzen, haben sich die Bedingungen noch weiter verschlechtert. Mit steigendem Auftragsvolumen waren Abstand und Händehygiene offenbar nicht mehr mit den Umsatzzielen vereinbar.

In einigen europäischen Ländern konnten sich die Gewerkschaften gegen das Gebaren des Unternehmens zur Wehr setzen, doch in Ländern wie den USA, wo der Konzern einen konsequent gewerkschaftsfeindlichen Kurs fährt, wurden Beschäftigte, die mehr Sicherheit anmahnten, kurzerhand entlassen. Der größte Profiteur der Coronakrise feuert lieber Beschäftigte und macht Kritiker mundtot, als Probleme zu lösen und mit den Sozialpartnern zu verhandeln.

Mit steigendem Auftragsvolumen waren Abstand und Händehygiene offenbar nicht mehr mit den Umsatzzielen vereinbar.

Erst Anfang des Monats hat die US-Bundesregierung wegen der Entlassung von Courtney Bowden, einer Lagerarbeiterin bei Amazon, die sich für bessere Arbeitsbedingungen engagierte, eine Beschwerde gegen das Unternehmen eingereicht. Im April entließ Amazon zwei Internetspezialisten, die Klimaschutzmaßnahmen angemahnt hatten. Die US-Nachrichten-Website Vice deckte kürzlich auf, dass das Unternehmen Mitarbeiter, Umweltschützerinnen und andere Aktivisten, die es wagen, Kritik zu äußern, in großem Stil von privaten Ermittlern ausspionieren lässt.

Der Tech-Riese hat mittlerweile nicht mehr nur eine Vormachtstellung im E-Commerce, sondern ist auch führender Anbieter in den Bereichen Cloud-Computing, Video-Streaming, virtuelle Assistenz, Medien, Lebensmittel- und Medikamentenhandel, und plant, darüber hinaus in drahtlose Netzwerke, Gesundheits- und Internet-Dienste zu expandieren. Amazon beutet seine Beschäftigten aus, ist aber auch eine Bedrohung für Datenschutz, bürgerliche Freiheiten und faire Märkte. Und da das Unternehmen ständig wächst, fällt es ihm immer leichter, Kritiker aus der Zivilgesellschaft mundtot zu machen.

Immerhin wird die Gefahr, die von Amazon ausgeht, nun endlich erkannt. Kartellbehörden und progressive politische Kräfte nehmen die zunehmende Marktdominanz und den unlauteren Wettbewerb gegenüber Verkäufern auf der Plattform und der Konkurrenz im Einzelhandel endlich ernst. Dass Amazon die Regeln für die eigene Plattform vorgibt und gleichzeitig selbst verkauft, verschafft dem Unternehmen einen unfairen Vorteil gegenüber allen anderen Verkäufern und zusätzlich mehr Einfluss auf unsere Brieftasche und unsere Daten. 

Die Europäische Kommission hat mittlerweile ein Kartellverfahren eingeleitet. Das Unternehmen, heißt es, nutze die Daten der Verkäufer auf seiner Plattform zum eigenen Vorteil. Auch der für den Wettbewerb in digitalen Märkten zuständige Justizausschuss des US-Repräsentantenhauses bestätigt, was viele schon lange sagen: „Die systematische Ausbeutung von Verkäufern, die durch die marktbeherrschende Stellung des Unternehmens erst möglich wird, wirft ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Wettbewerbs auf.“ In Indien hat die Wettbewerbskommission eine Untersuchung wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht in die Wege geleitet, und in mehreren Bundesstaaten der USA wurde Klage gegen die marktbeherrschende Stellung von Amazon im elektronischen Handel eingereicht.

Wir dürfen nicht zulassen, dass ein digitaler Riese Handel, Informationsinfrastruktur und Daten kontrolliert.

Diese Versuche, Amazon und andere Tech-Konzerne in Europa, den USA und Indien in ihre Schranken zu weisen, illustrieren, dass Beschäftigte, progressive Politiker und die Zivilgesellschaft in einer gemeinsamen Anstrengung durchaus in der Lage sind, Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen.

Erst am Black Friday haben UNI Global Union, Progressive International, Oxfam, Greenpeace und mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen, Umweltschützerinnen und Steuerspezialisten die globale Gemeinschaftsaktion #MakeAmazonPay gestartet, um den Konzern für die Ausbeutung seiner Beschäftigten, der Gesellschaft und des Planeten zur Rechenschaft zu ziehen. An einem Aktionstag, der von mehr als 400 Abgeordneten aus 34 Ländern unterstützt wurde, erhoben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus 15 Ländern mit ihren Verbündeten auf Demonstrationen einheitliche Forderungen.

Wir nähern uns hoffentlich dem Ende der Pandemie, doch die Aufgabe, die Wirtschaft für die Zeit nach Covid-19 gerecht und nachhaltig zu gestalten, liegt noch vor uns. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein digitaler Riese Handel, Informationsinfrastruktur und Daten kontrolliert. Wir müssen dafür sorgen, dass Amazon wie alle anderen Steuerzahler auch seinen gerechten Anteil an den Kosten des dringend notwendigen Wiederaufbaus übernimmt. Und wir dürfen es Amazon nicht durchgehen lassen, wenn das Unternehmen Verhandlungen mit Gewerkschaften ablehnt, seinen Beschäftigten unmenschliche Leistungen abverlangt und kleine Unternehmen an den Rand des Ruins treibt.

Die Reichen, Mächtigen und gut Vernetzten werden sich in unseren Volkswirtschaften weiter auf Kosten aller anderen bereichern, wenn Amazon nicht dazu gebracht wird, Arbeitnehmerrechte und faire Märkte zu achten, Steuern zu zahlen und seinen enormen CO2-Fußabdruck zu verkleinern.

Anfang des 20. Jahrhunderts stemmte sich eine breite zivilgesellschaftliche Koalition gegen Industriemonopole, die die gesamte Weltwirtschaft kontrollierten, und sie gewann diesen Kampf. Dass es unserer Gesellschaft gelingt, Amazon und andere moderne Raubritter in ihre Schranken zu weisen, ist eine ihrer wichtigsten Bewährungsproben, ein Kampf, der über die Zukunft der Arbeit und unserer Volkswirtschaften insgesamt entscheidet.

Aus dem Englischen von Anne Emmert

Christy Hoffman ist Generalsekretärin von UNI Global Union, der internationalen Gewerkschaftsföderation für den Dienstleistungsssektor. 

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