Hannelore Grünberg-Klein: “Ich denke oft an den Krieg, denn früher hatte ich dazu keine Zeit”, 2016

Es wäre verfehlt, an dieses Buch die Maßstäbe literarischen Schreibens anzulegen, da die Autorin ihre Geschichte ursprünglich nur für ihre Kinder aufschrieb. Der Klappentext vermerkt „eine Sprache, der jede Sentimentalität abgeht“. In der Literatur wäre das ein KO-Kriterium, denn der Leser kann solches Grauen nicht annähernd durch eine Beschreibung nachempfinden.

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Hannelore Grünberg-Klein

Das liegt zum einen daran, dass in weite Passagen eigenes Empfinden kaum einfließt, da die Autorin als Kind die Details und Hintergründe gar nicht mitbekam, sondern die Schiffspassage nach Cuba beispielsweise als eine neue Art von Abenteuerspielplatz nutzte. Offenbar schafften es die Eltern, dem Kind weitgehend Normalität und Sicherheit vorzugaukeln. Wer sich mit der Auswanderung der Juden befasst hat, kennt die Quellen, aus denen die Autorin ihre späteren Kenntnisse geschöpft hat. Das erleichterte ihre Distanz vom eigenen Erleben.

Neu sind dagegen die Berichte der Heranwachsenden, aber eben nicht unmittelbar frisch aufgezeichnet sondern aus vielen Jahrzehnten Entfernung lapidar geschildert und Teil der Historisierung, Umdeutung, nachträglichen Bearbeitung der kausalen Zusammenhänge: die Internierung in ein holländisches Lager, als das Auswandererschiff nach Europa zurückgeschickt worden war; der Weitertransport nach Theresienstadt; die Trennung von den Eltern, die in Ausschwitz gleich in die Gaskammern selektiert wurden; der Arbeitseinsatz in einer Fabrik in Freiberg und die Befreiung in Mauthausen.

Wenn die Mutter, so wie ihr Sohn im Nachwort schreibt, zeit ihres Lebens über ihre Erlebnisse nicht sprechen konnte und sich weigerte, sich als Opfer des Holocaust zu betrachten, hart mit sich selbst Haltung bewahrte, dann ist es sicherlich auch Selbstschutz, die Gefühle außen vor zu lassen. Wurde sie im Laufe ihres Lebens nach Einzelheiten ihrer Erlebnisse gefragt, sagte sie: „Ich war ein Kind, das Elend rauschte an mir vorbei.“

Es ist ein bekannter Mechanismus, dass Kinder Traumata – natürlich unbewusst – seelisch abkapseln und „vergessen“, um weiterleben zu können. Verdrängung, Vermeidung, Affektblockade sind Reaktionen auf traumatisierenden Stress und damit hat die Autorin offenbar ihr Leben im Griff gehabt, sicher nicht einfach für die Kinder. Der vom Sohn erinnerte Kommentar seiner Mutter zu kindlichen Ausschreitungen („Ihr seid schlimmer als Ausschwitz“) lässt nur uns die Haare coverzu Berge stehen, der Beteiligte bezeichnet es als wundervolle Übertreibung. Kein Wunder, dass der Sohn das Manuskript, an dem sie seit Ende der 1980er Jahre geschrieben haben muss, zu Lebzeiten der Mutter nicht gelesen hat, „nicht aus Absicht“ wie er anmerkt, obwohl er wusste, wo ein Exemplar für ihn bereitlag und er sogar Seminare abhielt über Lagerliteratur. Zufall oder Arbeitsüberlastung sind das wohl kaum.

Nach ihrer Befreiung aus dem KZ wurden die Häftlinge repatriiert. Über das Rote Kreuz erfuhr sie, dass Verwandte in Amsterdam überlebt hatten. Sie beschreibt die Szene, wie sie bei denen eintrifft: „Stolz kam ich mit meinem Holzköfferchen hereinstolziert, und die Freude auf beiden Seiten war groß, obgleich getrübt durch die Geschehnisse des Krieges und den Gedanken daran, dass meine Eltern nicht zurückgekommen waren. Wir wussten von unserem gemeinsamen Kummer und sprachen nicht darüber.“ Das geht unter die Haut.

Wie sie ihre Flashbacks, Albträume und körperlichen Symptome bewältigte, unter denen sie vermutlich litt, erfahren wir nicht. Das aufschlussreiche Buch endet im Jahre 1950. „Pathosfrei, schnörkellos und ohne Weinerlichkeit“ bemerkt die „Zeit“ dazu, so kann man es auch betrachten.

Rezension von Dr. Aide Rehbaum

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