AfD-Prangerportale gegen Lehrer sind rechtswidrig
Die AfD hat in den vergangenen Wochen mehrere Prangerportale gestartet, auf denen Schüler AfD-kritische Aussagen ihrer Lehrer melden sollen. Solche Denunziations-Portale erinnern nicht nur an die dunkelsten Zeiten deutscher Geschichte, sondern sind darüber hinaus auch rechtswidrig. Zeit, dass etwas gegen sie unternommen wird.
Die AfD-Fraktion hat in den letzten Wochen mehrere Meldeportale gegen Lehrer gestartet. Dort können Nutzer der AfD-Fraktion melden, wenn sich Lehrkräfte oder andere Beschäftigte an Schulen ihrer Meinung nach „nicht neutral“ verhalten – also nicht die Meinung der AfD vertreten. Eigentliches Ziel ist es, Plattformen zu schaffen, auf denen Menschen mit anderen Meinungen denunziert werden und Lehrer eingeschüchtert werden sollen. Ein skandalöses Vorgehen, welches an dunkelste Zeiten der deutschen Geschichte erinnert. Darüber hinaus sind diese Portale auch noch rechtswidrig.
AfD befördert Denunziantentum von Lehrern
Auf den Meldeportalen werden sowohl Schüler als auch deren Eltern dazu aufgefordert, diejenigen Lehrer namentlich zu melden, die sich im Unterricht kritisch gegenüber der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) äußern. Die AfD will sodann die Namen der gemeldeten Lehrer an die zuständigen Schulbehörden weiterleiten, damit diese weitere Schritte gegen die Lehrer einleiten können. Durch die kritische Auseinandersetzung mit der AfD, so die Ansicht der Initiatoren, würden die betroffenen Lehrer (angeblich) ihre politische Neutralitätspflicht verletzen. Die AfD erachtet die Plattformen für Schüler und Eltern daher als notwendig, um gegen sog. „Neutralitätsverstöße“ oder „parteipolitische Einflussnahmen durch Lehrer“ vorgehen zu können.
Derzeit gibt es Meldeportale in Hamburg („Neutrale Schule Hamburg“), in Bremen und in Berlin („Beschwerdeportal“) sowie in Sachsen. Das Meldeportal in Baden-Württemberg („Mein Lehrer hetzt“) ist inzwischen wieder offline. Geplant sind entsprechende Plattformen auch in Brandenburg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. In Sachsen sind sogar Meldungen mit vordefinierten Kriterien wie „Werbung für kulturfremde Weltanschauungen“ oder „einseitige politische Stellungnahme“ vorgesehen. Auch können dort Fotos des denunzierten Lehrers hochgeladen werden. In Baden-Württemberg etwa richtete sich das Portal nicht mehr nur gegen Lehrerinnen und Lehrer an Schulen, sondern auch gegen Lehrende an Hochschulen. Und im Gegensatz zum Hamburger Portal sollten hier sogar die Namen der angezeigten Lehrer veröffentlicht werden. Nach heftiger Kritik wurde die Seite allerdings inzwischen abgeschaltet und ist zumindest derzeit nicht mehr erreichbar. Zudem hat der Landesbeauftrage für Datenschutz in Baden-Württemberg eine Untersuchung eingeleitet.
Die Online-Plattformen der AfD stießen auf breiten Widerstand. Vergleiche mit totalitären Diktaturen wurden gezogen und die Rechtswidrigkeit solcher Portale behauptet. Müssen und dürfen dafür Lehrer im Internet überhaupt öffentlich angeprangert werden? Und wann verstößt ein Lehrer mit einer politischen Äußerung überhaupt gegen das Neutralitätsgebot?
Was dürfen Lehrer wirklich (nicht) sagen? Das wahre Neutralitätsgebot
Klar ist, dass Lehrkräfte im Unterricht parteipolitische Neutralität üben müssen. Das folgt sowohl aus dem Dienstrecht (§ 33 Abs. S. 2 Beamtenstatusgesetz, BeamtStG), als auch aus dem Schulrecht der Länder. So soll der Unterricht vor zu einseitiger politischer Prägung geschützt werden und die Schüler zu mündigen Bürgern erzogen werden.
Das bedeutet aber nicht, dass sich ein Lehrer im Unterricht nicht politisch äußern dürfte und sich jeder politischen Äußerung enthalten muss, sondern nur, dass er Sachlichkeit walten lassen muss und einseitige Darstellungen vermeidet.
Die Grundsätze politischer Bildung wurden im sog. Beutelsbacher Konsens von 1976 festgelegt. Es gibt danach ein sog. Indoktrinationsverbot, wonach Lehrkräfte Schülern nicht ihre eigene Meinung aufzwingen dürfen. Gleichzeitig soll die Lehrkraft aber ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren können, wenn es in der Wissenschaft oder Politik ebenfalls kontrovers erscheint. Wenn ein Lehrer also seine eigene politische Meinung im Unterricht kundtut, bedeutet das nicht, dass er dadurch schon indoktriniert. Das wäre erst dann der Fall, wenn er keine andere Position mehr gelten lässt. Einen erkennbaren Standpunkt gegen die AfD einzunehmen, ist Lehrern somit erlaubt. Zudem haben Lehrer sogar die Verpflichtung, für die obersten Grundwerte der Demokratie einzustehen und Positionen abzulehnen, die selbige infrage stellen. Und einige der von der AfD vertretenen Positionen sind definitiv nicht mit dem Werten des Grundgesetzes vereinbar.
Sollte ein Lehrer tatsächlich einmal gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, etwa weil er eine gegenteilige Meinung eines Schülers nicht gelten lässt, können diese Verstöße disziplinarrechtlich über eine Dienstaufsichtsbeschwerde geahndet werden. Auch Schüler und Eltern können eine Beschwerde einreichen. Hat die Beschwerde Erfolg, werden disziplinarische Maßnahmen gegen die Lehrkraft ergriffen. Gegen solche Maßnahmen steht den Lehrern wiederum der Rechtsweg offen.
Somit gäbe es selbst beim Vorliegen eines Verstoßes gegen das Neutralitätsgebot kein Bedürfnis für ein Meldeportal, schließlich geben die gesetzlichen Regelungen allen Beteiligten effektive rechtsstaatliche Instrumente an die Hand. Politisch Andersdenkende öffentlich anzuprangern ist jedenfalls kein rechtsstaatliches Bedürfnis, sondern lediglich Denunziation.
AfD-Denunziationsportal verstößt gegen DSGVO
Unabhängig von diesen Erwägungen verletzen die Meldeportale der AfD Rechte der gemeldeten Lehrer, allen voran deren Recht auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten.
Sobald Eltern oder Schüler einen Lehrer wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen die politische Neutralitätspflicht auf dem AfD-Meldeportal anzeigen, werden über das Portal personenbezogene Daten der Lehrer erhoben und verarbeitet. Dies geschieht unabhängig davon, ob diese Daten auch veröffentlicht werden oder nicht. Überdies handelt es sich in diesem Fall sogar um solche Informationen, aus denen die politische Meinung bzw. weltanschauliche Überzeugungen des Lehrers hervorgehen. Solche sensiblen Daten werden im Datenschutzrecht als besondere Kategorie personenbezogener Daten besonders stark und umfassend geschützt. Eine Verarbeitung solcher Daten ist gem. Art. 9 Abs. 1 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) grundsätzlich verboten und nur in ganz engen Ausnahmen zulässig.
Auf welchen Ausnahmetatbestand sich die AfD-Fraktion berufen möchte, bleibt offen. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verarbeitung nach Art. 9 Abs. 2 g) DSGVO einem erheblichen (!) öffentlichen Interesses dient. Die AfD behauptet zwar fadenscheinig, mit der Aktion „Neutrale Schulen Hamburg“ den demokratischen und freien Diskurs an deutschen Schulen zu stärken. Doch wie gezeigt, verletzt nicht jede kritische Äußerung über die AfD die Neutralitätspflicht. Zudem gibt es bereits Beschwerdemöglichkeiten für alle Beteiligten. Somit verbleibt als einziger Zweck, AfD-kritische Lehrer öffentlich an den Pranger zu stellen und einzuschüchtern. Damit überwiegt umgekehrt vielmehr das erhebliche öffentliche Interesse der Lehrer, nicht denunziert zu werden.
Somit erfüllen die AfD-Portale zur Meldung von Lehrern die Voraussetzungen von Art. 9 DSGVO nicht und sind datenschutzwidrig.
AfD-Prangerportal kann Persönlichkeitsrechte verletzen
Außerdem fördern diese Meldeportale wegen der Prangerwirkung die Verletzung von Persönlichkeitsrechten der gemeldeten Lehrer, sofern die Meldungen veröffentlicht werden. Eine Veröffentlichung ist in Baden-Württemberg und Sachsen vorgesehen, in Hamburg vorerst nicht.
Zunächst könnte allein schon die Bereitstellung eines Portals, auf dem diese Informationen über die betroffenen Lehrer veröffentlicht werden können, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen. Denn bereits die vorformulierte Auswahl solcher Kriterien wie „Werbung für kulturfremde Wertanschaungen“ führt dazu, dass systematisch alle Formen des Schulunterrichts diffamiert werden sollen, die nicht der hetzerischen und fremdenfeindlichen Ansicht der AfD entsprechen. Je nach Ausgestaltung soll diese Wirkung gerade den Einzelnen Lehrer anprangern, einschüchtern und in der öffentlichen Meinung herabwürdigen. Hinzu kommt, dass jeder über das Portal seine Meinung kundtun kann – eine Registrierung ist nicht notwendig, es werden auch anonyme Meldungen ungeprüft veröffentlicht. Schließlich besteht – anders als in der spickmich.de-Entscheidung des BGH von 2009, keinerlei berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an diesen Informationen.
Darüber hinaus birgt das Portal das immense Risiko, dass einzelne Personen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darüber begehen. So besteht darüber hinaus die erhebliche Gefahr, dass über die Portale unwahre oder ehrverletzende Meldungen veröffentlicht werden. Ist dies der Fall, können Betroffene von demjenigen, der den Lehrer gemeldet hat, die Löschung verlangen. Außerdem müssen Betroffene die Plattform selbst über den Eintrag in Kenntnis setzen. Der Betreiber ist dann zu einer gewissenhaften Prüfung der Rechtswidrigkeit verpflichtet. Im Falle der Rechtswidrigkeit des Beitrages muss der Betreiber diesen dann auch löschen.
Sachsen-Variante verstößt gegen das Recht am eigenen Bild
Das Hochladen eines Fotos des betroffenen Lehrers auf einem Prangerportal ist zudem ein Verstoß gegen die DSGVO bzw. gegen das Recht am eigenen Bild nach dem Kunsturhebergesetz (KUG).
Wer kann etwas gegen diese Prangerportale unternehmen?
Zunächst einmal können betroffene Lehrer aufgrund der Vielzahl der Verstöße gegen ihre Persönlichkeitsrechte gegen die Plattformen und die meldenden Personen zivilrechtlich vorgehen. Dabei wird es hauptsächlich darum gehen, eine Unterlassung sowie Löschung der erfolgten Einträge zu erwirken.
Wegen der erheblichen datenschutzrechtlichen Verstöße ist es zudem eigentlich Sache der Datenschutzaufsichtsbehörden, gegen die Betreiber dieser Plattformen vorzugehen. Derzeit scheint lediglich der Landesbeauftrage für Datenschutz in Baden-Württemberg eine Untersuchung eingeleitet zu haben. Anders der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar. Zwar meldete er verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Plattformen an – ist aber der Ansicht, die Datenschutzbehörden hätten keine Rechte, dagegen vorzugehen. Für öffentliche Projekte der Fraktionen hätten viele Parlamente eine eigene Datenschutzordnung, sodass die staatliche Datenschutzaufsicht nicht greife. Allerdings ist zweifelhaft, ob es sich hier wirklich noch um eine parlamentarische Arbeit der Fraktion handelt. Der Partei geht es vielmehr um die Durchsetzung ihrer Interessen außerhalb des Parlamentsbetriebs.
Die Frage ist außerdem, ob auch die Schulbehörden in der Lage wären, etwas gegen solche Prangerportale zu unternehmen. Hiermit hat sich die Kultusministerkonferenz bereits befasst. Trotz einer politischen Verurteilung dieser Meldeportale konnten sich die für die Schulen zuständigen Minister jedoch nicht dazu durchringen, mit rechtlichen Mitteln gegen sie vorzugehen. Man könne die Portale nicht untersagen, da hier vornehmlich die Rechte der Lehrer, nicht aber die der Schule betroffen seien. Dies kann man aber ebenfalls durchaus bezweifeln. Schließlich missbraucht hier eine Partei, die nach Art. 21 Grundgesetz (GG) dazu berufen ist, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, ihre Stellung, um direkt auf die staatliche Institution Schule einzuwirken. Außerdem ist es sehr wahrscheinlich, dass bereits das Vorhandensein solcher Prangerportale die Lehrer in der freien Gestaltung ihres Unterrichts beeinflussen wird. Damit wird die Funktionsfähigkeit der Schule gestört. Daher wäre es eigentlich zudem Aufgabe des Staates selbst, die Störung des Schulunterrichts zu unterbinden und seine Lehrer vor einer Denunziation zu schützen.