Südafrikas Regierung in der Corona Krise. Es droht eine Hungerkrise

Von Arnold Wehmhörner

Eine der tragischsten Momente in der südafrikanischen Geschichte war die Prophezeiung eines jungen Xhosa Mädchens Namens Nongquawuse im Jahre 1856. Zu dem Zeitpunkt waren die Xhosa von den Briten aus einem großen Teil ihrer Stammesgebiete vertrieben worden und ihre Herden wurden von einer Lungenkrankheit dezimiert. Wenn alles Vieh geschlachtet werde und kein landwirtschaftlicher Anbau mehr betrieben werde, würden die Ahnen wieder auferstehen und mit gesundem Vieh die Briten vertreiben, so die Botschaft. Der Xhosa König (paramount chief) Sarhili unterstützte die Prophezeiung, befahl seinen Untergebenen so zu verfahren und leitete damit eine der größten Hungerkatastrophen in Südafrika ein. Das Xhosa Volk, bereits zermürbt durch mehrere Kriege gegen die Briten, spielte politisch danach keine Rolle mehr.

Präsident Cyril Ramaphosa © Alan Santos.Wiki

Genauso stur und genauso ungerührt gegenüber den Leiden seines Volkes wie König Sarhili damals verfährt heute in der Corona Krise Präsident Ramaphosa und seine ANC Regierung. Zwar hatte die Regierung richtig gehandelt, als im März ein absoluter Lockdown verhängt wurde, um eine Übersicht zu erlangen und den Gesundheitssektor auf die Pandemie vorzubereiten. Danach jedoch klammerte sich die Regierung an einen fünf Stufen Plan, der bis zum 1. Juni an strikten Regeln festhielt und den größten Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten untersagte. Die Wirtschaft kam zum Erliegen und Südafrikas Arbeitslosenrate nähert sich mittlerweile der 50% Marke. Dagegen hatten viele Experten darauf hingewiesen, dass ein Lockdown wie in industrialisierten Ländern in Südafrika nicht einzuhalten sei, da in den zahlreichen Townships soziale Distanz und ausreichende Hygiene nicht möglich seien.

Südafrika droht eine Hungerkatastrophe. Zwar hat die Regierung Milliarden Rand für Sozialzahlungen und Lebensmittelpakete zur Verfügung gestellt, aber mit der Umsetzung ist die Administration überfordert. Kilometer lange Schlangen und Wartezeiten über einen Tag hinaus für Barauszahlungen und Lebensmittelpakete zermürben die Bevölkerung und erhöhen in den Warteschlangen das Ansteckungsrisiko. Auszahlungen gehen nur an Südafrikaner mit gültiger ID Nummer. Viele besitzen einen solchen Ausweis nicht und die Millionen illegalen Migranten können nur auf die Hilfe von privaten NGOs hoffen. Dass in dieser Situation die Regierung versuchte, alle privaten Hilfsinitiativen in ihrer Hand zu koordinieren, um eine angeblich gerechte Verteilung zu erreichen, zeigt, wie realitätsfern sie agiert. Da die staatlichen Programme schon nicht umgesetzt werden können, hätte eine solche Koordination zu einem Desaster bei den privaten Hilfsprogrammen geführt.

Der Lockdown beeinträchtigt andere öffentliche gesundheitliche Aufgaben. Mediziner berichten, dass die Fortschritte der letzten Jahre in der Bekämpfung von TB verloren gehen. Die Immunisierung von Kindern und Unterstützungsprogramme zur Bekämpfung von HIV, Diabetes und Bluthochdruck werden vernachlässigt. Die Opferzahlen aufgrund dieser Mängel könnten langfristig höher sein als die von an COVID19 gestorbenen.

Angestellte im Gesundheitsdienst haben von Anfang an den Mangel an Schutzkleidung beanstandet. Immer wieder kommt es zur vorübergehenden Schließung von Krankenstationen, da sich das Personal infiziert hatte. In der Eastern Cape Provinz verweigerte das Krankenhauspersonal sogar aus diesem Grund die Arbeit.

Am 1. Juni sollen 23.000 Schulen wieder öffnen. Das Bildungsministerium hat jedoch Schwierigkeiten, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen wie z.B. die Schulen zu reinigen und zu desinfizieren, Masken für die Schüler zur Verfügung zu stellen und in allen Schulen für Wasser und Seife zu sorgen. Alle Lehrer über 60 Jahre sind – da Teil einer Risikogruppe – vom Unterricht befreit. Unter diesen Bedingungen lehnen die Lehrergewerkschaften eine Wiederaufnahme des Unterrichts ab. Auch viele Eltern weigern sich, ihre Kinder in die Schulen zu schicken, da sie glauben, dass das Ansteckungsrisiko zu groß sei. Die Nationalregierung verschob daraufhin die Öffnung der Schulen um eine Woche, während die Western Cape Provinz den Schulbetrieb am 1. Juni wieder aufnahm.

Die Polizei setzt Gummigeschosse ein, um die Lockdown Regeln in den Townships zu kontrollieren. © SWR

Die Regierung agiert autoritär und paternalistisch. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Gummigeschosse ein, um die Lockdown Regeln in den Townships zu kontrollieren. Sie wird dabei vom Militär unterstützt, das dafür nicht ausgebildet ist und oft überreagiert, so dass es sogar zu Toten gekommen ist. Die Regierung meint, ihre Bevölkerung in dieser Krise erziehen zu müssen und verbot den Verkauf von Tabak und Alkohol. Welchen Sinn das bei der Bekämpfung des Virus haben soll, ist unklar. Die Strände sind gesperrt. Man darf also auf der Straße neben dem Strand laufen aber nicht auf dem Strand, so dass sich alles auf den Promenaden drängelt. Man darf ein T-Shirt als Unterhemd kaufen (als Winterkleidung) aber nicht um es außen zu tragen. Die Ungereimtheiten in den Auflagen haben zur Folge, dass die Bevölkerung das Vertrauen in den Sinn der Lockdown Regeln verloren hat und weniger bereit ist, sich daran zu halten.

Der High Court von Pretoria hat aufgrund einer Klage am 2. Juni festgestellt, dass die Lockdown Auflagen nach dem Stufenprogramm der Regierung irrational und nicht verfassungskonform seien, weil sie die Rechte der Bürger ohne nachvollziehbaren Grund einschränken. Die Regierung hat 14 Tage Zeit die Regeln zu korrigieren.

Südafrika muss die harte Lockdown Strategie aufgeben, weil die sozialen und wirtschaftlichen Folgekosten katastrophale Auswirkungen angenommen haben. In wieweit der Lockdown dazu beigetragen hat, die Epidemie einzudämmen, ist nicht festzustellen, da wegen der nicht ausreichenden Tests die Infektionszahlen kein realistisches Bild über die Ausbreitung der Epidemie in Südafrika abgeben. Signifikant sind die Todeszahlen: bisher ist keine relevante Übermortalität festzustellen bei bis zum 1. Juni insgesamt rund 650 Corona Toten (bei 55 Millionen Einwohnern). Damit steht Südafrika im internationalen Vergleich gut da, wie übrigens alle Länder im südlichen Afrika.

Seit dem 1. Juni hat die Regierung wirtschaftliche Aktivitäten in vielen Bereichen wieder frei gegeben, wenn bestimmt Hygienevorschriften eingehalten werden. Dieser Schritt war überfällig und wird helfen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bekommen und die Arbeitslosigkeit zu senken. Restaurants müssen jedoch geschlossen bleiben und man darf sich nur von zu Hause fortbewegen, wenn ein sachlicher Grund vorliegt wie z.B. Weg zur Arbeit, zum Arzt, zum Einkaufen. Reisen über die Provinzgrenze hinaus ist untersagt, so wie der internationale Flugverkehr. Damit muss die für Südafrika wirtschaftlich wichtige Tourismusbranche weiterhin auf das Ende der Pandemie warten. Internationale Touristen würden zum gegenwärtigen Zeitpunkt eh nicht kommen.

In dieser schwierigen Situation ist politische Führung gefordert. Das Virus ist nicht besiegt und das Land muss lernen, mit dem Virus zu leben und das heißt auch mit Einschränkungen. Aber diese müssen flexibel an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden, und sie müssen von der Bevölkerung nachvollziehbar sein, damit eigenverantwortliches Handeln möglich wird. Ein solches angemessenes Vorgehen hat die Regierung von Präsident Ramaphosa bisher vermissen lassen.

 

Titelfoto: Covid-19-Patientin in den Townships von Kapstadt