Deutsche Redewendung: „Das kannst du dir abschminken“
von Sepp Spiegl
„Das kannst du dir abschminken!“ – Wie eine mittelalterliche Theaterpraxis zur deutschen Redewendung wurde
Die deutsche Sprache ist reich an bildhaften Wendungen, die Situationen mit einem einzigen Satz treffend zusammenfassen. Eine davon ist die Redewendung „sich etwas abschminken können“. Sie
wird vor allem dann gebraucht, wenn jemand erkennen muss, dass ein Wunsch, eine Hoffnung oder eine Erwartung unerfüllbar ist. Wer im Deutschen sagt: „Das kannst du dir abschminken!“, meint selten eine Schönheitsroutine vor dem Badezimmerspiegel. Gemeint ist vielmehr eine deutliche, manchmal schonungslos harte Botschaft: Vergiss es. Das wird nichts. Doch wie kam es dazu, dass ausgerechnet das Abschminken zum Sinnbild der enttäuschten Hoffnung wurde?
Vom Schminktisch zur Redewendung
Der Ursprung dieser Redewendung reicht weit zurück. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit spielte Schminke – besonders auf Theaterbühnen und an Fürstenhöfen eine zentrale Rolle. Sie verlieh Schauspielern Identität und Herrschern Anmut. Schauspieler trugen Schminke, um in fremde Rollen zu schlüpfen, während Adelige damit gesellschaftliche Ideale von Schönheit und Status verkörperten.
Wenn der Auftritt beendet war oder ein Fest zu Ende ging, musste die Schminke abgewaschen werden. Damit war auch die Illusion vorbei, die Rolle zerbrach, die Realität kehrte zurück. Aus diesem Zusammenhang entwickelte sich das Bild: „etwas abschminken“ bedeutet, sich von einer Illusion oder einem Wunsch zu verabschieden.
Wenn wir redensartlich sagen, jemand solle sich etwas abschminken, so tun wir so, als trage man auch im normalen Leben eine Maske, die mit einer bestimmten Rolle verknüpft ist. Die Vorstellung, dass die Welt eine Bühne ist, auf welcher der Mensch nach Plan und Vorstellung eines anderen bloß agiert, ist so alt wie das abendländische Denken. Schon in Platons unvollendetem Alterswerk, den Gesetzen Q können wir lesen: „Jeder von uns Vertretern lebender Geschöpfe werde von uns betrachtet als eine Marionette göttlichen Ursprungs, sei es, dass sie von den Göttern bloß zu ihrem Spielzeug angefertigt worden ist oder in irgendeiner ernsthaften Absicht.“
Sprachexperten gehen davon aus: Genau dieses Ende der Illusion wurde zum Bild für das Aufgeben von Träumen – und so entstand die Redewendung „sich etwas abschminken können“.
Gebrauch im Alltag: Nüchterne Realität
Heute begegnet man dem Satz oft in alltäglichen Situationen:
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„Du kannst dir abschminken, dass er noch anruft.“
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„Das Traumkleid im Sale? Kannst du dir abschminken, längst ausverkauft.“
Die Wendung ist salopp, manchmal ironisch, und bringt eine Ernüchterung unmissverständlich auf den Punkt.
In Wirtschaft und Politik: Klare Kante
Auch in Wirtschaft und Politik ist der Ausdruck längst heimisch geworden.
Ein Analyst mag trocken feststellen:
„Wer glaubt, dass die Firma ohne Restrukturierung Gewinne macht, kann sich das abschminken.“
Oder ein Politiker ruft ins Mikrofon:
„Wer von einfachen Lösungen träumt, kann sich das abschminken.“
In beiden Fällen geht es um das Einbremsen überzogener Erwartungen – oft mit der Wucht einer kalten Dusche.
Internationale Parallelen
Ganz allein steht das Deutsche mit dieser Metapher nicht da.
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Im Französischen heißt es: „tirer un trait dessus“ – einen Strich darunter ziehen.
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Im Italienischen: „Se lo può scordare“ – er kann es vergessen.
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Im Englischen klingt es lapidar: „Forget about it“ – Vergiss es.
Die Idee, eine Maske abzulegen oder eine Hoffnung zu streichen, ist also kulturübergreifend vertraut.
Negativ – und doch befreiend
So hart die Wendung klingt, sie hat auch eine zweite Seite. Denn wer sich etwas „abschminkt“, gewinnt Klarheit. Kein Hinterherlaufen mehr, keine falschen Erwartungen – stattdessen Raum für neue, realistischere Pläne.
Oder, wie es eine Psychologin einmal formulierte:
„Abschminken heißt nicht nur verzichten, sondern auch neu anfangen.“
„Sich etwas abschminken“ ist mehr als ein salopper Spruch. Es ist ein sprachliches Erbe aus dem Mittelalter, das uns bis heute dabei hilft, zwischen Illusion und Wirklichkeit zu unterscheiden – manchmal schmerzlich, manchmal erleichternd, aber immer auf den Punkt. Die Redewendung wird oft als eher unfreundlich oder barsch empfunden, daher ist es ratsam, sie nicht in jeder Situation zu verwenden, besonders nicht gegenüber Menschen, mit denen man ein gutes Verhältnis hat.
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