Weltmeister in Doppelmoral
Demokratien sind Inseln der Glückseligkeit auf der Welt, auch wenn ihre Bewohner sich häufig dieser Vorzüge gar nicht bewusst sind. Die Mehrheit der Menschen auf unserem Erdball lebt in Unfreiheit.
Sport ist ein Mittel der Völkerverständigung. Er überwindet Grenzen, hat sich für den globalen Wettbewerb in internationalen Organisationen etabliert. Wo aber Vertreter von autoritären oder gar totalitären Regimen mit den Repräsentanten freier Länder zusammenarbeiten müssen, ist die reine Lehre bei der Pflege westlicher Wertvorstellungen nicht mehr gefragt. Kuhhandel bestimmt den Alltag.
Was in der Politik für die Vereinten Nationen und ihre Machtlosigkeit bei der Verhinderung von Krieg und Terror gilt, findet eine Parallele in der FIFA, dem stark in der Kritik befindlichen Weltfußballverband, der seine am Sonntag (20.11.) beginnende Weltmeisterschaft nach Katar vergeben hat und dessen Geschichte von Korruption und Nepotismus geprägt ist. Der deutsche, von zahlreichen Verhaltensmaßregeln für Spieler, Funktionäre und Publikum begleitete Furor gegen den Wüstenstaat ist allerdings nicht frei von Heuchelei.
Die 2010 mit einer klaren Zweidrittel-Mehrheit getroffene Entscheidung für diese „WM der Schande“ – so Amnesty International – ist zwar nicht offiziell, aber wohl augenzwinkernd von Deutschland gebilligt worden. Doch das deutsche Verhalten seinerzeit ist ebenso wenig sauber aufgearbeitet worden wie das offenkundig nicht fleckenfreie „Sommermärchen“ 2006 hierzulande. Dafür jedoch hagelt es jetzt mit zehnjähriger Verspätung Boykottaufrufe und Verhaltens-Empfehlungen, wie man sich vor der Weltöffentlichkeit von dem Austragungsort, der 220 Milliarden Euro in die Spiele steckt, distanzieren kann.
Weltmeisterschaften künftig nur noch an lupenrein freie Länder zu vergeben, lautet eine der Forderungen. Dies wäre zu begrüßen, ist aber eine Utopie. Natürlich ist Katar der ideologische Musterknabe des politischen Islam. Andererseits hat man dort in den vergangenen Jahren Fortschritte bei den Menschenrechten gemacht. Der märchenhaft reiche Staat hat Investments bei zahlreichen deutschen Firmen, Wirtschaftsminister Habeck macht pflichtschuldigst Diener beim Emir und bittet um Gaslieferungen. Daher: Egal wie „unsere Jungs“ in dem Turnier abschneiden, ein Titel ist uns jetzt schon sicher – Weltmeister in Doppelmoral.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.