Massenentlassungen und sinkende Umsätze: Nicht nur Twitter befindet sich derzeit im Tief. Folgt nun der Umbruch?

Die Tech-Branche scheint sich derzeit in einer Rezession zu befinden. Trotz sehr niedriger allgemeiner Arbeitslosigkeit haben so gut wie alle großen Tech-Unternehmen – darunter Amazon, Meta, Snap, Stripe, Coinbase, Twitter, Robinhood und Intel – in den letzten Monaten Entlassungen im zweistelligen Prozentbereich angekündigt. Die Aktienbewertungen vieler dieser Unternehmen sind im vergangenen Jahr um mehr als 50 Prozent gesunken.

© Gerd Altmann auf Pixabay.com

Angesichts dieser Welle von Massenentlassungen in großen Technologieunternehmen, des schrecklichen Chaos bei Twitter in den letzten Wochen und der spektakulären Implosion von Kryptowährungen stellt sich die Frage, warum das alles auf einmal passiert. Die einfache – und möglicherweise auch vereinfachte – Antwort auf diese Frage lautet frei nach Bill Clinton: Es sind die Zinssätze, Dummkopf!

Die Zeit nach der Großen Rezession infolge der Finanzkrise 2007/08 war geprägt von einer schwachen Wirtschaft mit geringer Gesamtnachfrage und niedrigen Zinsen. Das schuf die perfekten Bedingungen für eine Ära endloser Geldmittel, die Risikokapitalgeber auf der Suche nach hohen Renditen in Softwareunternehmen mit niedrigen Margen steckten. Mit der zunehmenden Verbreitung von Smartphones in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt kam die App-Revolution in Schwung. Social-Media- und Consumer-Tech-Unternehmen wurden zu den reichsten und wachstumsstärksten Unternehmen der Welt. Hollywood setzte auf Streaming, Inhalte wurden digital und die Dienstleistungswirtschaft wurde durch Smartphones digitalisiert.

Auf die Pandemie folgte dann die Inflation. Steigende Zinssätze bedeuteten das Ende der Geldflut. Die Millennial Consumer Subsidy – mein Begriff für Venture Capitals, die sich die Rechnung mit den Verbrauchern teilen, um ihre Unternehmen wachsen zu lassen – ist am Ende. Mit dem Anstieg der Risikokosten ist die Risikofinanzierung zurückgegangen. Im Ergebnis mussten die Unternehmen ihre Kosten senken, die Preise erhöhen oder beides. Parallel wird auf den Märkten nicht mehr auf Wachstum, sondern wieder auf Gewinn gesetzt und die Bewertungen von Technologieunternehmen sind abgestürzt.

Steigende Zinssätze bedeuteten das Ende der Geldflut.

Diese Erklärung der Rezession als Folge der Inflation ist ziemlich technisch. Ich habe eine andere Theorie, die allerdings etwas schwieriger zu beweisen ist. Sie geht in etwa so: Die Technologiebranche befindet sich aktuell in einer Midlife-Crisis. Ihre metaphorische Jugendphase hat die Branche genutzt, um mit Social Media und Consumer Tech durch grenzenlose Investitionen, endlose Optimierungen und A/B-Tests zu experimentieren. Heute haben daher viele Verantwortliche und Investoren das Gefühl, dass sie die interessantesten und wichtigsten Probleme der grundlegenden Digitalisierung im Kern gelöst haben. Das ist nicht nur meine Meinung: Vor vier Jahren stellte der Tech-Analyst Ben Evans fest, dass die Software-Industrie im Bereich der Werbung und der Medien den Gipfel erklommen und die Welt vernetzt habe. Nun wolle die Tech-Branche neue Berge erklimmen und neue Herausforderungen finden. Gewissermaßen schloss sie ein Kapitel ab und nun suchen Führungskräfte und Investoren der Branche das nächste große Ding.

Die Managerinnen und Manager der größten Tech-Firmen verlagern seit Jahren ihre Ressourcen auf neue Vorhaben mit ungewissem Ertrag. Amazon hat kürzlich mehr als 10 000 Mitarbeiter eingestellt, um sein KI-Produkt Alexa weiterzuentwickeln. Jeff Bezos verließ unterdessen das von ihm gegründete Unternehmen, um an Raumfahrzeugen zu arbeiten. Bei Meta, der Muttergesellschaft von Facebook, Instagram und WhatsApp, beschäftigt die Abteilung Reality Labs, die am Aufbau eines Metaverse arbeitet, etwa 15 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Berichten zufolge arbeiten 3000 Apple-Mitarbeiter an einem Augmented Reality-Headset und Tausende weitere an Googles Sprachassistent.

Die Gemeinschaft der Risikokapitalgeber war währenddessen auf der Suche nach ihrem eigenen Megaprojekt und viele Investoren haben es in Kryptowährungen gefunden (oder wollten uns das zumindest glauben lassen). Venture Capitals haben Berichten zufolge Dutzende von Milliarden Dollar in diesen Bereich investiert – und das, obwohl bei all dem Getöse und den Investitionen immer noch nicht klar ist, worin der Nutzen der Technologie besteht, der über das Wetten auf Token hinausgeht, die dann in Dollar ausgezahlt werden. In der Zwischenzeit hat sich Elon Musk, ein Auto- und Raketenmanager, der sich vielleicht buchstäblich in einer Midlife-Crisis befindet, an die Spitze einer digitalen Empörungsplattform gesetzt, mit einem bestenfalls chaotischen Plan zur Wiederbelebung des Geschäfts.

Im Moment sehen viele dieser Wetten unausgereift, katastrophal teuer oder schlichtweg betrügerisch aus.

Zugegeben, es mag unfair sein, all diese Schritte mit dem emotionalen Status eines 52-jährigen Mannes gleichzusetzen, der beginnt, sich die Haare zu färben und seinen Minivan gegen eine Corvette eintauscht. Und auf gewisse Weise ist es toll, dass Unternehmen viel Geld für wichtige und schwierige Probleme mit unsicheren Lösungen in die Hand nehmen. Aber im Moment sehen viele dieser Wetten unausgereift, katastrophal teuer oder schlichtweg betrügerisch aus.

Beide Erklärungen für die Krise der Tech-Branche – die makroökonomische und die psychodynamische – greifen ineinander. Die Tech-Industrie, die die Kunst der Optimierung digitaler Räume für Engagement und Werbeplatzierung perfektioniert hatte, war bereit, viel in das nächste Abenteuer zu investieren. Aber sie wurde von der Inflation nach der Pandemie und den steigenden Zinssätzen getroffen, was die Verwirklichung dieser Neuaufstellung erschwert hat. Das Ergebnis sind die aktuellen Nachrichten: Massenentlassungen in Unternehmen, die noch vor ein paar Jahren unaufhaltsam schienen.

Ein Fehler, der einem Journalisten bei der Beobachtung dieser Trends unterlaufen kann, ist die Annahme, dass die Dinge für immer so bleiben werden, nur weil die softwarebasierte Tech-Industrie derzeit zu kämpfen hat. Wahrscheinlicher ist, dass wir uns in einem Zwischenstadium technologischer Epochen befinden. Wir haben die Browser-Ära, die Social Media-Ära und die Ära der Smartphone-App-Ökonomie weitgehend hinter uns gelassen. Doch die Explosion der Programme für künstliche Intelligenz in den letzten Monaten deutet darauf hin, dass uns etwas Spektakuläres und möglicherweise auch ein wenig Furchterregendes bevorsteht. In zehn Jahren, wenn wir auf die Tech-Rezession von 2022 zurückblicken, werden wir vielleicht sagen, dass dies nur ein kurzer Moment mit Skandalen und Entlassungen zwischen zwei Aufwärtsbewegungen war.

Aus dem Englischen von Lucie Kretschmer

Derek Kahn Thompson ist ein amerikanischer Journalist. Er ist fester Autor bei The Atlantic und Autor von Hit Makers: How to Succeed in an Age of Distraction.

- ANZEIGE -