Skandalkanal
Nach dem Eklat um das Interview mit Prinzessin Diana nehmen die Attacken auf die BBC zu. Ohne Reformen sieht die Zukunft des Senders düster aus.
Rund 23 Millionen Menschen, fast 40 Prozent der britischen Gesamtbevölkerung, sahen im November 1995 im Fernsehen, wie der BBC-Journalist Martin Bashir Prinzessin Diana zum Stand ihrer Ehe mit Prinz Charles und zu ihrer Haltung zur Monarchie im Allgemeinen

befragte. Das Interview hatte eine weitreichende Wirkung auf die Königsfamilie, war aber auch ein journalistischer Coup, der nun, 25 Jahre später, auf die BBC zurückfällt.
Journalisten, besonders der Daily Mail Group, also der dem Königshaus freundlich gesinnten Boulevardpresse, die ein solches Interview gern an Land gezogen hätte, bemühten sich viele Jahre lang herauszufinden, wie Bashir die Prinzessin zu dem Gespräch überredet hatte. Unter wachsendem Druck gab der neue BBC-Generaldirektor Tim Davie im November 2020 eine Untersuchung unter dem Vorsitz des ehemaligen Obersten Richters John Dyson in Auftrag. Wie dieser feststellte, hatte sich Bashir das Interview mit unlauteren Mitteln erschwindelt. Unter anderem hatte Bashir die Prinzessin mit gefälschten Dokumenten getäuscht. Die BBC hatte in der Folge jedoch nicht nur Bedenken unter der Decke gehalten, sondern Bashir 2016 als Korrespondenten für religiöse Fragen erneut eingestellt.
Die Schlussfolgerungen des Berichts sind durchaus brisant. Beanstandet werden nicht nur journalistische Fehltritte, sondern vor allem die Reaktion der Sendeanstalt. „Ohne guten Grund“, schrieb Dyson, „blieb die BBC hinter ihren hohen Ansprüchen an Integrität und Transparenz zurück, die doch ihr Markenzeichen sind.“ So habe sie nicht nur Dokumente weggeschlossen, aus denen hervorgeht, wie Bashir an das Interview gekommen war, sondern die Kontroverse auch in keiner ihrer Nachrichtensendungen erwähnt.
Der Bericht löste bei den BBC-Kritikern in Presse und Parlament Schadenfreude aus. Die Mail rief in ihrer Schlagzeile die Polizei auf, „gegen die BBC zu ermitteln“, während der Daily Telegraph darüber spekulierte, ob dem Konzern im Zuge der „Bashir-Affäre“ ein „Stühlerücken“ bevorstehe. Die Sun und die Times, deren Besitzer Rupert Murdoch ein prominenter Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, kolportierten Prinz Williams scharfe Rüge der BBC. Er hatte über seine Mutter Diana gesagt: „Enttäuscht wurde sie nicht nur von einem arglistigen Reporter, sondern auch von der BBC-Führung, die wegschaute, statt unangenehme Fragen zu stellen.“ Eine solch harsche öffentliche Kritik an einer nationalen Sendeanstalt, die immerhin mit einer Royal Charter, einer königlichen Satzung, geregelt wird, war beispiellos.
Unter anderem hatte Bashir die Prinzessin mit gefälschten Dokumenten getäuscht.

Den größten Anlass zur Sorge dürften der BBC jedoch die Reaktionen der konservativen Regierung liefern, deren Hinterbänkler den Sender im Zuge ihres Kulturkriegs gegen „Liberale“ und die „Londoner Eliten“ schon seit langem im Visier haben. Nach dem Dyson-Bericht hat sich dieser Krieg nun auf die Ministerbank verlagert: Premierminister Boris Johnson erklärte, er sei „natürlich sehr besorgt“, und Innenministerin Priti Patel sprach von einem „sehr sehr bedeutsamen Moment“, in dem es gelte, „Lehren zu ziehen“. Kulturminister Oliver Dowden betonte in einem Beitrag für die Times, dass nun „für den Generaldirektor und den neuen Vorsitzenden der kulturelle Wandel im Mittelpunkt stehen muss“.
Für die BBC ist die Lage heikel. Boris Johnsons Regierung hat sich erst vor kurzem bereit erklärt, das Nichtbezahlen von Rundfunkgebühren doch nicht wie geplant straflos zu stellen – eine Maßnahme, die die BBC etwa 300 Millionen Pfund im Jahr gekostet hätte, aber noch nicht völlig vom Tisch ist. Im nächsten Jahr steht die Halbzeitevaluierung der Royal Charter an, in deren Zuge der nächste Fünfjahresplan für die Fernsehgebühren erstellt wird. Mehrere Minister haben bereits deutlich gemacht, dass sie den Fall Bashir nutzen wollen, um die „Führungs- und Rechenschaftsstrukturen“ einer Überprüfung zu unterziehen.
Die BBC, deren Budget seit 2010 um rund 30 Prozent geschrumpft ist und die daher finanziell deutlich schlechter dasteht als kommerzielle Wettbewerber wie Sky, Netflix und Amazon, blickt in eine sehr ungewisse Zukunft. Unterstützer der BBC betonen, Bashirs Verhalten sei zwar klar unethisch gewesen, der Vorfall werde aber von Gegnern der Sendeanstalt aufgebauscht, um sie zu schwächen. Bei aller berechtigten Kritik ist dennoch klar: Die BBC genießt deutlich mehr Vertrauen als jede andere Nachrichtenquelle, und in unserem Zeitalter der Desinformation und Polarisierung ist ein vom Markt und von politischen Einflüssen unabhängiger Nachrichten- und Informationsdienstleister von unschätzbarem Wert.
Unbestritten ist auch, dass der Fall Bashir ein Schlaglicht auf die Heuchelei der Presse wirft, die hart mit dem „arglistigen Reporter“ ins Gericht geht und dabei geflissentlich übersieht, welche Rolle sie selbst gespielt hat, als Reporter Telefone abhörten und sich aufdringlicher, unethischer und bisweilen illegaler Methoden bedienten. Zeitungsgruppen wie Reach (Herausgeber des Daily Mirror) und News UK (Herausgeber der Sun, der Times und bis zu ihrer Einstellung auch der News of the World) mussten in der Vergangenheit Millionen von Pfund Schadenersatz an Opfer genau des Gebarens entrichten, das Bashir an den Tag legte. Die Ironie des Interview-Skandals liegt ja darin, dass die BBC, die sich verpflichtet hatte, in ihrer Berichterstattung den höchsten Standards zu genügen, die schlimmsten Methoden des Boulevardjournalismus übernahm.
Unbestritten ist auch, dass der Fall Bashir ein Schlaglicht auf die Heuchelei der Presse wirft.
Dass die BBC von opportunistischen Konkurrenten und langjährigen Gegnern kritisiert wird, rechtfertigt nicht die Vertuschung, die der Dyson-Bericht so eindrücklich offenlegt. Die gesamte Episode illustriert eine fehlende Rechenschaftspflicht auf der Ebene der Entscheidungsträger und der Senderleitung: Sie ermöglichte erst das Fehlverhalten, mit dem das ursprüngliche Interview herbeigeführt wurde, und die Weigerung, die sich anschließende Untersuchung öffentlich zu machen. In einem Taumel der Selbstgeißelung hat sich der Sender nun umfänglich entschuldigt und eine Revision der Redaktionsabläufe und Leitungsprozesse eingeleitet, um drastischere staatliche Eingriffe abzuwenden.

Einerseits sind die Befürchtungen, Boris Johnsons Regierung könnte einen wahren „Krieg gegen die BBC“ entfesseln, wohl übertrieben. Die vielen Jahre, in denen die Regierung die Mittel gekürzt und den Druck auf die Anstalt verstärkt hat, haben den Sender der Lust und der Möglichkeit beraubt, noch harten Journalismus zu betreiben, der die Konservativen in Verlegenheit bringen könnte. Derzeit steht die BBC unter der Leitung eines Vorsitzenden, der Großspender der Konservativen ist, und eines Generaldirektors mit langjähriger Erfahrung im privaten Sektor.
Einem früheren Korrespondenten zufolge „weist vieles darauf hin, dass die BBC in ihren internationalen wie auch nationalen Ausgaben den Beinamen ‚Staatssender‘ verdient“. Tatsächlich erklärte der für den staatlichen Rundfunk zuständige Minister kurz nach der Veröffentlichung des Dyson-Berichts vor dem Parlament, es bestehe „keine Notwendigkeit für eilige Reformen“ und die BBC solle wie in der Vergangenheit „Standards setzen“ und anderen als „Leuchtturm“ dienen.
Um sich die Wölfe vom Hals zu halten und ihr Ansehen wiederherzustellen, sollte die BBC vor allem die Regierung mit furchtlosem und unabhängigem Journalismus zur Rechenschaft ziehen. Dafür muss sie jedoch zunächst durch eine Reihe von Maßnahmen aus ihren engen Verbindungen mit dem Staat herausgelöst werden: etwa durch einen von der Regierung unabhängigen Ernennungsprozess, eine Dezentralisierung der Entscheidungsfindung und ein progressiveres und transparenteres Finanzierungssystem. Nur so können sowohl ihre Leitungsstruktur als auch die redaktionellen Abläufe demokratisiert werden. Das ist natürlich nicht nach dem Geschmack der Regierung. Doch wenn die BBC die Bevölkerung, die für ihre Dienste zahlt, angemessen vertreten soll, muss sie im öffentlichen Interesse dringend radikale Reformen durchführen.
Aus dem Englischen von Anne Emmert
Des Freedman ist Professor für Medien und Kommunikation an der Goldsmiths University of London und war Gründungsmitglied sowie Vorsitzender der Media Reform Coalition. Er befasst sich insbesondere mit Medienpolitik, -regulierung und -reform. Zuletzt war er unter anderem als Co-Autor an der Publikation „The Media Manifesto“ (Policy Press 2020) beteiligt.
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