Saison der politischen Chamäleons
Wenn Politiker ihren Farben untreu werden.

Jim Justice, Gouverneur West Virginias, wettet gerne gegen die Geschichte. Mit Kohleabbau in Zeiten der erneuerbaren Energien wurde er Milliardär. Nun setzt er als Demokrat auf den im Umfragetief befindlichen US-Präsidenten Donald Trump und dessen Republikanische Partei. Vor wenigen Tagen kündigte Justice Seite an Seite mit Trump an, in die Grand Old Party (GOP) der Republikaner zu wechseln. Der Wechsel von Blau zu Rot ist jedoch nicht sein erster. Es ist vielmehr ein Farbebekennen zu seinen politischen Wurzeln. Der Gouverneur war bis 2015 bereits Mitglied der GOP, bevor er kurz vor den Wahlen entschied, für die Demokraten zu kandidieren. Eine erfolgreiche Tarnung eines ganz speziellen political animals?
Nein. Wer jetzt denkt, so etwas gäbe es nur im wilden West Virginia, der irrt. Auch in der Fauna Norddeutschlands wurde jetzt ein politisches Chamäleon gesichtet. Ebenfalls unlängst gab die Landtagsabgeordnete Elke Twesten bekannt, die niedersächsische Landtagsfraktion der Grünen zu verlassen und der CDU-Fraktion beizutreten. Die rot-grüne Koalition hat damit ihre knappe Mehrheit im Landtag verloren, im Oktober werden Neuwahlen stattfinden. Aber auch schon früher gab es in Deutschland politische Farbenwechsel. Ein spektakuläres Beispiel ist der Oberschwabe Oswald Metzger, der von der SPD zu den Grünen wechselte, und dann weiter zur CDU.
Kein Politiker misst sich jedoch mit dem Alpha-Chamäleon Kulibay Uygun. In der Türkei hält der ehemalige Parlamentarier den Rekord für die meisten Parteiwechsel. Im Juli 1996 wechselte er von der Demokratischen Linkspartei (DSP) zur konservativen Demokratischen Partei (DYP), dann zurück zur DSP, dann zum Monatsende noch einmal zu den Konservativen. In seiner vierjährigen Amtszeit als Parlamentarier zwischen 1995 und 1999 hatte Uygun vier verschieden Parteien angehört, darunter auch der nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), und endete seine Laufbahn dann sogar farblos, ganz ohne Parteizugehörigkeit. Nicht alle Beobachter waren von diesem Farbenspiel begeistert. Uygun handelte sich eine Anzeige wegen „Beleidigung und Verspottung des Parlaments” ein.
Und schließlich: Chamäleons sind zwar in der neuseeländischen Natur nicht zu finden, im Parlament Wellingtons jedoch schon. Als Neuseeland in den 1990 Jahren auf ein Mischwahlsystem mit Erst-und Zweitstimme umstieg, bröckelte das altbekannte Zweiparteiensystem. Und die Politiker tauschten zwischen den neuen Parteien hin und her. Seit der Wahlreform haben 14 Parlamentarier zum Teil mehrfach ihre Partei gewechselt – der Politiker-Sport bekam sogar einen eigenen Namen. Vom englischen Ausdruck „jumping ship” abgeleitet, erfanden die Neuseeländer den Begriff: Waka (Kanu) Jumping. Im Jahre 2001 wurde der Sport vorübergehend durch den Electoral Integrity Act beschränkt, der die Parlamentarier im Falle eines Parteiwechsels zum Amtsabtritt zwang. Aber nach vier Jahren war es mit der farblichen Treue wieder vorbei. Und wenn sie nicht abgewählt werden, dann springen sie von Waka zu Waka, noch heute.
Karl Gärber arbeitet im Sommer 2017 in der Internationalen Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Er studiert Politikwissenschaft und Geschichte in Bremen.
Hannes Alpen ist Referent in der Internationalen Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung und leitet die Redaktion des Online-Journals Internationale Politik und Gesellschaft (IPG). Zuvor arbeitete er unter anderem als leitender Redakteur bei der Orientzeitschrift zenith. Er hat Geschichte, Medienkultur und Französisch in Hamburg und Haifa studiert.