Der renommierte Orthopädie-Professor Joachim Grifka warnt vor einem neuen Trend beim Gelenkaustausch: dem Wechsel von gleich zwei Hüft- oder Kniegelenken während einer einzigen Operation.

Regensburg/München (obx) – Beim Einsatz künstlicher Hüft- und Kniegelenke ist Deutschland zusammen mit der Schweiz Europameister: Weit über 300.000 Hüft- und Kniegelenke werden in der Bundesrepublik jedes Jahr eingesetzt. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl sind das nahezu doppelt so viele wie in anderen OECD-Ländern, zeigte eine aktuelle Studie. Gelenkaustausch ist für Kliniken ein gutes Geschäft. Neue, fragwürdige Operationsmethoden lassen jetzt einen weiteren Anstieg der Eingriffe erwarten.

Prof. Dr. Dr. Joachim Grifka, Professor für Orthopädie und laut Magazin Newsweek einer der weltweit besten Orthopäden. Foto: obx-news

„In Deutschlands Kliniken wird zu schnell und zu oft ein Gelenkersatz durchgeführt“, kritisiert Professor Dr. Dr. Joachim Grifka seit Jahren. Der frühere Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Regensburg forscht heute an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg und praktiziert im Orthopädie-Zentrum SpectrumMED in München. Er warnt aktuell vor einer ganz neuen „Effizienzentwicklung“ in Sachen Gelenkersatz: dem Austausch von gleich zwei Gelenken bei einer Operation.

„Das bringt für den Patienten nur Nachteile“, sagt der Orthopäde. Wichtig sei, dass Operierte zwei bis drei Stunden nach dem Eingriff wieder aufstehen und laufen könnten. Das funktioniere aber nur, wenn das zweite Bein nicht ebenfalls durch eine Operation beeinträchtigt ist.
Bei beidseitigem Gelenkersatz ist nach Einschätzung Grifkas auch der Heilungsprozess wesentlich komplexer. Eine solche Paralleloperation von zwei Hüft- oder Knieprothesen könne deshalb letztendlich statt zur schnellen Gehfähigkeit direkt zu einem Sitzplatz im Rollstuhl führen.
Professor Grifka, der laut dem amerikanischen Magazin Newsweek zu den besten Orthopäden der Welt zählt,  kritisiert grundsätzlich die oft übereilten chirurgischen Eingriffe. „An erster Stelle muss geprüft werden, ob eine Prothese überhaupt erforderlich ist“, sagt der Mediziner. Neueste gelenkerhaltende Behandlungsmethoden könnten Operationen überdies deutlich hinauszögern oder sogar überflüssig machen. Der renommierte Mediziner verweist dabei unter anderem auf die neuen Möglichkeiten von Fettstammzellen-Transplantationen. Dieses Therapieverfahren sei in den letzten Jahren deutlich verbessert worden. „Viele Patienten kommen damit auch ohne Prothese oft über viele Jahre gut zurecht“, so der Professor.
Wird der sanfte Gelenkaustausch dann doch unausweichlich, setzt Grifka auf minimalinvasive, schmerzarme Eingriffe. Der Gelenkspezialist war auch der erste in Deutschland, der neue Knie- und Hüftgelenke mit einem speziellen Konzept ambulant eingesetzt hat. „Das geht nur bei einer ganz schonenden Operationstechnik und einer gezielten Vorbereitung gemeinsam mit der Physiotherapie“, erklärt Grifka.
Sein Rat an Patienten: „Ein neues Gelenk ist kein Reifenwechsel. Eine leichtfertige, vorschnelle Indikationsstellung zum Gelenkersatz ist unverantwortlich. Lassen Sie jede Empfehlung zum Gelenkersatz von einem weiteren Experten überprüfen, der auch die konservative Behandlung beherrscht“, so Professor Grifka.
- ANZEIGE -