Juliette Binoche © Neue Visionen Filmverleih

Die renommierte Schriftstellerin Marianne (Juliette Binoche) arbeitet an einem neuen Buch über die wenig beachtete Arbeiterschicht, die Menschen, die gerade genug zum Überleben verdienen und dennoch die Welt am Laufen halten. Also reist sie in die raue nordfranzösische Hafenstadt Caen und gibt sich im Jobcenter als arbeitslose, geschiedene Frau aus, die verzweifelt auf der Suche nach einem Job ist. Und so landet sie bei einer Reihe von Putzjobs, einer anstrengender und undankbarer als der andere. Gleichzeitig findet sie dort viel Solidarität und irgendwann auch Freundschaft: Christèle (Hélène Lambert), Marilou (Léa Carne) und Justine (Léa Carne) werden zu engen Bezugspersonen, mit denen sie auch privat Zeit verbringt. Dabei dürfen sie nicht wissen, dass Marianne letztendlich keine von ihnen ist.

Juliette Binoche © Christine Tamalet

Inspiration für den Film war dabei ein Buch der französischen Journalistin Florence Aubenas. Diese hatte 2010 in Le Quai de Ouistreham von ihren eigenen Undercover-Erfahrungen berichtet und damit der Welt da draußen gezeigt, was es bedeutet, am unteren Ende zu leben, schwere Arbeit für wenig Geld zu machen. Und eben den Dreck anderer wegräumen zu müssen, die nicht einmal wissen, dass es dich gibt. Denen es vielleicht auch völlig egal ist. In Frankreich sorgten diese Erzählungen für Bestürzung, auch wenn konkrete Verbesserungen ausblieben. Inzwischen ist das Werk aus dem Bewusstsein entschwunden, auch wenn es heute kein Stück weniger aktuell ist als damals. Das zeigt Wie im echten Leben. Zwar handelt es sich hierbei nicht um eine direkte Adaption der Vorlage. Regisseur und Co-Autor Emmanuel Carrère begibt sich in den fiktionalen Bereich. Und doch wirkt das alles erschreckend authentisch.

Tatsächlich ist der Film bewusst dokumentarisch angelegt. Wäre da nicht der international bekannte Star Juliette Binoche, die eine treibende Kraft hinter der Entstehung des Dramas war, könnte man meinen, dass da jemand einfach mit seiner Kamera mitgelaufen ist und echten Putzfrauen bei der Arbeit zusieht. Zum Teil stimmt das sogar: Carrère, der eigentlich überwiegend als Autor arbeitet und nur recht selten in die Welt des Films einsteigt, verpflichtete für Wie im echten Leben überwiegend Laiendarstellerinnen. Diese arbeiten tatsächlich in diesem Bereich und waren dadurch in der Lage, dem Regisseur und dem Filmteam zu zeigen, wie ihre Arbeit aussieht. Vergleichbar zu dem Buch wird dadurch ein Teil der Gesellschaft sichtbar, der immer dann schafft, wenn niemand hinsieht. Ein größerer Abschnitt erzählt von einer Putzkolonne, die unter enormem Zeitdruck die Kabinen einer Fähre wieder in Ordnung bringen muss. Bei manchen geht das schnell. Andere demonstrieren die Achtlosigkeit derjenigen, die darin schliefen und alles versauten.

Die poetische Romantik, die die Schriftstellerin der Arbeiterin vermitteln will, lässt Christèle völlig kalt. Emmanuel Carrères dritter Spielfilm „Wie im echten Leben“ ist vor allem auch eine spannende Studie der modernen Klassengesellschaft, in der sich schon die Vorstellungen von sinnvoll verbrachter Zeit kolossal voneinander unterscheiden. Mit den vielen albernen „Feelgood Movies“, die in letzter Zeit aus Frankeich gekommen sind, hat dieser Film überhaupt nichts zu tun. Hier wird kaum etwas beschönigt und auch kein Happy End angestrebt. Im Gegenteil: Am Ende muss man sich unweigerlich die Frage stellen, wem diese Art von „verdeckter Recherche“ wirklich nützt: Den ausgebeuteten Arbeitern oder doch eher der investigativen Autorin, die damit ihren Ruhm vermehrt?

 

Wie im echten Leben

Darsteller: Juliette Binoche
Regie: Emmanuel Carrère
im Kino ab: 30.06.2022
Produktion: Frankreich

 

 

- ANZEIGE -