Dieter Weirich ©seppspiegl

Wir wollten es nicht sehen“ kommentierte Wolfgang Schäuble kurz vor seinem Ableben die illusionäre Putin-Politik der eigenen Regierung, die sich inzwischen in einem hybriden , vom Kreml gesteuerten Schattenkrieg mit Drohnenüberflügen, Sabotageaktionen und dem Ausspähen von Rüstungstransporten befindet. Dass der Diktator in Moskau das Völkerrecht seit Jahren missachtet, junge Soldaten auf dem Altar des Imperialismus opfert und brutal auf dem Recht des Stärkeren besteht, verpflichtet uns in Europa , die Augen für eine umfassende europäische Mobilisierung in der Zeitenwende öffnen.

Die Fundamente transatlantischer Festigkeit werden brüchiger. Die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA ist mehr als ein schrilles Alarmsignal. Die EU wird als Bedrohung amerikanischer Interessen etikettiert, der wirtschaftliche Niedergang Europas werde von der Gefahr einer „zivilisatorischen Auslöschung“ überlagert. In Europa gebe es Zensur, die Opposition werde unterdrückt, heißt es in kulturkämpferischem Stil.

Dass die US-Administration Europa gezielt an den Katzentisch der Ukraine-Verhandlungen gesetzt haben, ist unübersehbar. Die innenpolitisch angeschlagenen Führer Europas beobachten die Treffen von Trumps Emissären mit Immobilien-Kompetenz mit Argwohn, Frankreichs Staatspräsident Macron warnt vor „Verrat“ ,Kanzler Merz unterstellt Washington, es spiele „Spielchen“.

Will Europa – so der einstige grüne Außenminister Joschka Fischer -der „letzte Zufluchtsort der liberalen Weltordnung“ sein, dann darf es keine Zustimmung zu einem sogenannten „Friedensplan“ geben, der eine Veränderung von Grenzen mit militärischer Macht hinnimmt. Diese richtige Analyse übersieht, dass die Ukraine ohne die USA den Konflikt nicht überstehen kann, was Folgen für ihre Verhandlungsstrategie haben könnte.

Dieses Europa mit seinen 450 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von fast 18 Billionen Euro muss seine Rolle in der multipolaren Weltordnung neu definieren, selbst eine auf glaubwürdige Abschreckung angelegte europäische Sicherheitsarchitektur schaffen.Die Europäer stehen unter Zugzwang .Die CSU fordert auf ihrem Parteitag am Wochenende in München richtigerweise eine europäische Armee, eingebettet in NATO-Strukturen.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als „liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.