Mohammad Rasoulofs Film „Doch das Böse gibt es nicht“ erzählt von Menschen in Iran, die sich entscheiden müssen, ob sie dem Regime als Henker dienen oder nicht. Der Film fällt kein Urteil über sie. Darin liegt seine künstlerische und moralische Größe.

Heshmat (Ehsan Mirhosseini) ist ein vorbildlicher Ehemann und Vater, jeden Morgen bricht er sehr früh zur Arbeit auf. Wohin fährt er? Pouya (Kaveh Ahangar) kann sich nicht vorstellen, einen anderen Menschen zu töten, trotzdem bekommt er den Befehl. Kann es einen Ausweg für ihn geben? Javad (Mohammad Valizadegan) besucht seine Freundin Na’na (Mahtab Servati), um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Doch dieser Tag hält für beide noch eine andere Überraschung bereit. Bahram (Mohammad Seddighimehr) ist Arzt, darf aber nicht praktizieren. Als ihn seine Nichte Darya (Baran Rasoulof) aus Deutschland besucht, beschließt er, ihr den Grund für sein Außenseiterdasein zu offenbaren…

In dem episodischen Filmdrama ‘Doch das Böse gibt es nicht’ alias ‘There Is No Evil’ (2020) vom iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof, das nach seiner Weltpremiere auf der Berlinale am 28. Februar 2020 mit dem ‘Goldenen Bären’ ausgezeichnet wurde. Hier erzählt Rasoulof vier Geschichten über Menschen, deren Leben vor existenziellen Herausforderungen stehen. Sie werfen die Fragen auf, wie integer ein Mensch in einem absoluten Regime bleiben, welche moralische Schuld er ertragen kann, ohne zu zerbrechen, und zu welchem Preis es gelingt, die individuelle Freiheit zu bewahren.

1. There Is No Evil (dt.: „Es gib kein Böses“)

Der 40-jährige Heshmat ist ein liebevoller und pflichtbewusster Familienvater. Am Nachmittag holt er seine nicht streng religiöse Ehefrau Razieh mit dem Auto von ihrem Arbeitsplatz an einer Schule ab. Beide kümmern sich um alltägliche Erledigungen. Es müssen noch Vorbereitungen für eine Hochzeit getroffen werden, auf die Heshmat und Razieh eingeladen sind. Sie holen ihre kleine Tochter von der Schule ab und gemeinsam geht die Familie einkaufen. Heshmat besucht seine gebrechliche Mutter und abends isst er gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter in einem Restaurant Pizza. Vor dem Schlafengehen hilft er Razieh beim Färben ihrer Haare und nimmt Medizin zu sich.

Copyright Pouyan Behagh / Pyramide Distribution

Gegen 3:00 Uhr morgens steht er auf, um zur Arbeit zu gelangen. Während er sich in einem kleinen Büro Frühstück macht, leuchten an der Wand kleine rote Lampen. Als sich deren Farbe in grün ändert, betätigt er einen Knopf, woraufhin sich im Nachbarraum die Falltür unter vier Delinquenten öffnet. Die zum Tode verurteilten Männer sterben durch Erhängen in einem Gefängnis.

2. She Said, “You Can Do It” (dt.: „Sie sagte, ‚Du kannst es‘“)

Der junge Pouya hat gerade den obligatorischen zweijährigen Wehrdienst in einem Gefängnis angetreten, wo er sich das Zimmer mit weiteren Kollegen teilen muss. Eine erfolgreiche Absolvierung würde ihn dem Ziel näherbringen, an einen Pass zu gelangen und den Iran gemeinsam mit seiner Freundin Tahmineh zu verlassen. Er fürchtet sich aber davor, eines Tages einen zum Tode verurteilten Häftling auf seinem letzten Gang zu begleiten und zu töten.

Als er tatsächlich dafür ausgewählt wird, versucht Pouya alles in seiner Macht stehende zu tun, um den Befehl nicht ausführen zu müssen. Er hofft auf die Versetzung durch seinen Bruder, bietet des Nachts einem Kollegen Geld an, der eine kranke Schwester hat. Einige Männer regen sich darüber auf, dass im Iran keine Gesetze herrschen, stattdessen regierten Geld und Vetternwirtschaft das Land.

Als Pouya tatsächlich dazu abkommandiert wird, einen Sträfling auf dem Weg zur Vollstreckung der Todesstrafe zu begleiten, bricht er beinahe zusammen. Dann fasst er Mut und überwältigt in der Toilette einen bewaffneten Aufseher und fesselt ihn. Mit dessen Waffe nimmt er zwei weitere Bedienstete in einem Büro als Geiseln. Schließlich gelingt ihm die Flucht aus dem Gefängnis, wo ihn etwas entfernt Tahmineh mit einem Auto erwartet. Während ihrer Flucht ertönt aus dem Autoradio das italienische Lied Bella ciao.

3. Birthday (dt. „Geburtstag“)

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Der junge Soldat Javad hat drei Tage Urlaub von seinem Wehrdienst erhalten. Er reist in ein kleines Dorf in der Nähe des Kaspischen Meeres, um seine Verlobte Nana an ihrem Geburtstag zu treffen. Javad hat einen Ring gekauft, da er um ihre Hand anhalten möchte. Er plant, den Iran mit Nana zu verlassen, während seine Verlobte lieber bleiben und das Haus der verstorbenen Großmutter als neues gemeinsames Heim renovieren würde.

Die Geburtstagsfeierlichkeiten werden vom Tod eines engen Freundes von Nanas Familie überschattet, der einst auch ihr Mentor war. Sie wollen den Toten im engsten Familienkreis bestatten. Als Javad eine Fotografie des Verstorbenen sieht, flüchtet er in den Wald und versucht sich zu ertränken. Er wird von Nana gefunden, der er beichtet, dass er für den Tod des Bekannten verantwortlich ist. Er hatte dem Delinquenten und politischen Aktivisten den Stuhl unter den Füßen weggezogen und damit den Tod durch Erhängen eingeleitet. Dafür hatte er Urlaub bekommen und seine Verlobte besuchen können.

Nana will die heikle Information vor ihrer Familie verheimlichen. Beim Abendessen macht ihr Javad den geplanten Hochzeitsantrag. Am nächsten Morgen sucht er Nana an einem nahegelegenen See auf, wo er seine Militäruniform zum Trocknen zurückgelassen hatte. Nana beendet die Beziehung und sagt, dass sie Javad vermissen werde.

4. Kiss Me (dt. „Küss mich“)

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Bahram lebt mit seiner Frau Zaman seit 20 Jahren zurückgezogen im Hochland, wo sie weder einen Telefon- noch Internetanschluss besitzen. Beide betreiben etwas Landwirtschaft und züchten Honigbienen. Eines Tages erhält Bahram Besuch von seiner Nichte Darya, die im deutschsprachigen Raum aufwächst und auf Wunsch ihres Vaters Mansour Medizin studieren soll. Sie ist sich aber noch unschlüssig über ihre berufliche Zukunft. Durch Zufall erfährt Darya, dass Bahram wie seine Frau Zaman auch Medizin studiert hat, aber dem Beruf nicht nachgeht. Obwohl er über keinen Führerschein verfügt, fährt er seine Nichte in die Nähe einer Kleinstadt, wo sie mit ihrem Handy telefonischen Kontakt zu ihrem Vater in Europa herstellen kann.

Darya bemerkt, dass ihr Onkel schwer krank ist und unter blutigem Husten leidet. Bei einem Jagdausflug versucht Bahram ihr das Schießen beizubringen und sie später dazu zu zwingen, einen Fuchs zu töten. Darya kann sich aber nicht dazu durchringen, ein Lebewesen zu erschießen und flüchtet erschüttert zu ihrer Tante. Zaman erzählt ihr die Wahrheit, dass Bahram ihr leiblicher Vater ist. Vor seinem Tod wollte er Darya darüber informieren. Bahram hatte während seines Wehrdienstes als junger Mann einen Wächter mit einer Waffe bedroht und war geflohen. Darya war nach ihrer Geburt zum Onkel nach Europa gebracht worden. Als ihre Mutter mit der Hilfe von Schleppern nachkommen wollte, kam diese ums Leben. Bahram weigerte sich, die mutmaßlichen Mörder seiner Frau hinrichten zu lassen. Die konsternierte Darya will nichts mit ihrem leiblichen Vater zu tun haben und besteht auf ihre sofortige Abreise. Inmitten des Hochlands bleibt der Wagen mit Bahram, Zaman und Darya plötzlich stehen, nachdem Darya zuvor einen Fuchs bemerkt hatte und ausgestiegen war.

 
Erscheinungsdatum: 19. August 2021 (Deutschland)
Direktor: Mohammad Rasoulof
Deutscher Titel: Doch das Böse gibt es nicht (dt. Verleihtitel); (alt. dt. Festivaltitel: Es gibt kein Böses)
Produktion: Mohammad Rasulof, Kaveh Farnam, Farzad Pak
Produktionsland: Deutschland, Tschechische Republik, Iran

 

 

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