von Günter Müchler

Der Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern ©pixabay.com

Halbwahrheiten sind die schlimmsten Lügen. Das wussten schon die alten Griechen. Im Prime-Segment der Halbwahrheiten nimmt der sogenannte Gender-Pay-Gap eine herausgehobene Stellung ein. Skandal: Frau bekommt weniger Lohn als Mann, weil Frau Frau ist! Die Mär von der geschlechtsbedingten Ungleichbehandlung ist ein Renner der feministischen Agitation, auch deshalb, weil staatliche Institutionen helfen, die Leimrute auszulegen.

Jedes Jahr wird in Deutschland am 7. März der „Equal-Pay- Day“ begangen. Schon der Aufgalopp verdient Beachtung. Denn so wie dem Weihnachtsfest der Advent vorausgeht, führt auf den „Equal-Pay-Day“ eine Kampagne hin, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend regelmäßig ein paar Monate vor dem Festtermin lanciert. Diesmal fiel der Startschuss am 13. Oktober. „Höchste Zeit für equal pay“ lautet das Motto der aktuellen Kampagne, mit der das Ministerium nach Selbstauskunft „auf die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern aufmerksam machen“ will.

Den Stoff für den „Equal-Pay-Day“ liefert wie immer das Statistische Bundesamt. Das Amt verlautbarte am 13. Februar: „Der Gender-Pay-Gap, also der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen, betrug im Jahr 2024 16 Prozent des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes der Männer, d.h. der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen war um 16 Prozent niedriger als der von Männern. Frauen verdienten demnach 4,10 Euro brutto weniger in der Stunde als Männer.“

Eigentlich vermeldete das Bundesamt einen Erfolg. Im Vorjahr nämlich hatte die „Lohnlücke“ nach seinen Angaben noch 18 Prozent betragen. Der Fortschritt ist für die vielen hundert Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsbeauftragen im Lande (die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros umfasst ca. 1900 Mitglieder) jedoch kein Grund, im Kampf gegen ddas große Unrecht nachzulassen. „Der Equal-Pay-Day 2025 muss ein Weckruf sein! Wir können und müssen uns für eine gerechte Bezahlung von Frauen einsetzen“, erklärte Maria Koch, Gleichstellungsbeauftragte von Treptow-Köpenick, stellvertretend für andere. In Köpenick soll der Kampftag 7. März um 11 Uhr mit einer Flaggenhissung vor dem Bezirksrathaus beginnen.

Man sollte nicht unterstellen, das Statistische Bundesamt arbeitete mit falschen Zahlen. Ihre Arbeitsmethode beschreibt die in Wiesbaden angesiedelte Behörde so: Berechnet werde „das geschlechterspezifische Lohngefälle zwischen Männern und Frauen. Er ergibt sich aus der Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes der Männer und Frauen im Verhältnis zum Bruttostundenverdienst der Männer.“

Die Zahlen lügen nicht. Stellt man eine weibliche Quantität X einer gleich großen männlichen Y gegenüber, schneidet Y tatsächlich besser ab. Allerdings werden bei dieser Methode Äpfel mit Birnen verglichen. Denn die Berufsbiographien von Frauen unterscheiden sich deutlich von denen der Männer. Eine erhebliche Schlagseite weist beispielsweise die Inanspruchnahme von Teilzeit aus. Frauen buchen durch die Bank mehr Teilzeit als Männer. Besonders krass ist die Differenz im Schulbereich. Mehr als jede zweite Lehrerin (53,5 Prozent) an den allgemeinbildenden Schulen Nordrhein-Westfalens stand 2024 in einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis. Dagegen arbeiteten drei Viertel ihrer männlichen Kollegen (75,2 Prozent) Vollzeit. Und siehe da: Die Lehrer verdienten mehr als die Lehrerinnen, nicht weil sie Männer sind, sondern weil es für mehr Arbeit mehr Geld gibt. Überraschung?

Auch andere Faktoren tragen zum Gender-Gap bei. So sind Frauen häufiger in weniger gut bezahlten Berufen tätig als Männer und sie besetzen seltener Führungspositionen. Das räumen übrigens auch die Wiesbadener Statistiker ein. Der Hinweis findet sich in den Verlautbarungen des Amtes jedoch nur unter ferner liefen. Da heißt es dann beschwichtigend, dass die schlichte Summierung der durchschnittlichen Bruttoverdienste Mann/Frau zu Ergebnissen führe, „ohne die ursächlichen Faktoren für den Gender-Gap zu berücksichtigen.“ Unter Berücksichtigung der „ursächlichen Faktoren“ schrumpfte der für 2023 errechnete „Pay-Gap“ schon einmal von 18 um 12 auf 6 Prozent. Auch diese Restgröße löst sich in Luft auf, denn, hier spricht noch einmal die Behörde: „Es ist (jedoch) davon auszugehen, dass die Unterschiede geringer sein würden, wenn weitere Informationen über lohnrelevante Einflussfaktoren (zum Beispiel Angaben zu Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Schwangerschaft, Geburt von Kindern oder Pflege von Angehörigen)“ mit einbezogen würden Leider hätten diese Informationen nicht vorgelegen.

Der vermeintliche Skandal entpuppt sich folglich als Trompe l’oeil, als Täuschung. In Deutschland verdienen Frauen nicht weniger, weil sie Frauen sind oder weil man sie im Widerspruch zum Gleichheitsgebot des Grundgesetzes böse diskriminiert. Die unterschiedlichen Einkünfte ergeben sich vielmehr durch unterschiedliche Erwerbsbiographien, die ihren Grund wiederum in privaten Vorgaben und Entscheidungen haben und außerhalb staatlicher oder tarifvertraglicher Verantwortung liegen.

Noch einmal: Das Zahlenwerk des Statistischen Bundesamtes ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist die Präsentation der Ergebnisse. Die Überschrift „Frauen verdienten (demnach) 4,10 Euro brutto weniger in der Stunde als Männer“ ist eine Halbwahrheit, die Verschwörungstheorien bedient. Überschriften wie „Kinderlose Frauen verdienen mehr als Frauen mit Kindern“ oder „Teilzeitlehrerinnen bekommen weniger Geld als Vollzeitlehrer“ würden den Sachverhalt besser erklären. Sie eignen sich allerdings nicht für den Geschlechterkampf.

Der Geschlechterkampf verlangt nach Skandalisierung. Konsequent leugnen feministische Aktivistinnen deshalb die „ursächlichen Faktoren“ des Gender-Gap. Sie könnten dem Kreuzzug gegen die Geschlechter-Ungerechtigkeit den Boden entziehen. Starke Waffe im Kreuzzug ist ein kultureller Mainstream, dem die Wertbegriffe durcheinandergeraten und mitunter die Verstandeskräfte abhandengekommen sind. Ein gutes bzw. schlechtes Beispiel liefert der soeben abgewählte Bundeskanzler Olaf Scholz. Er verlangte während der letzten Europameisterschaften öffentlich „equal-pay“ für die deutschen Fußballfrauen. Eigentlich hätte Scholz wissen müssen, wie im Sport der Hase läuft. Es regieren die Gesetze des Marktes. Maßstab sind Leistung und Attraktivität der Sportart. Und eben die Attraktivität ist (noch) das Problem des Frauenfußballs. Zu Spitzenpartien der Bundesliga kommen mühsam und zu verbilligtem Eintritt höchstens ein paar tausend Schlachtenbummler. Beim kürzlichen Viertliga-Duell der Männer von Duisburg und Oberhausen wurden dagegen 27 000 Zuschauer gezählt.

Equal-pay? Gerechtigkeitslücke? Diskriminierung? Die Sache ist weitaus komplizierter als dauerempörte Kämpfer für Frauenrechte vorgeben. Der Umstand, dass es trotz aller Bemühungen keine Geschlechterparität in den Parlamenten gibt, liegt nicht daran, dass herrschsüchtige Männer sich ehrgeizigen Frauen in den Weg stellten. Das Gegenteil ist der Fall. Mit Handkuss würden Parteimanager geeignete Kandidatinnen empfangen. Allein, wie Soziologen berichten winken viele Frauen dankend ab, weil sie keine Lust auf die Härten des Karrierekampfes haben. Von einer interessanten Erfahrung berichteten kürzlich in der FAZ zwei Personalmanagerinnen von Vodafone. Externe Bewerberinnen um eine Unternehmensposition stellen oft unterdurchschnittliche Gehaltsforderungen. „Wir bieten ihnen dann mehr an, als sie ursprünglich gefordert haben. Wenn bei gleichem Lebenslauf der Mann 55 000 Euro haben möchten, die Frau 45 000 und wir sind bereit, 50 000 Euro für die Stelle zu investieren, dann geben wir der Frau mehr und dem Mann weniger. Das überrascht die Kandidatin manchmal“.

Offenbar verhalten sich Frauen im Wirtschaftsleben nach anderen Regeln als Männer. In einer Wertewelt, in der Vielfalt als die erste Tugend gepriesen wird, sollte man die unterschiedliche Einstellungen einfach akzeptieren, statt sie unter Ideologieverdacht zu stellen. Das gilt auch für die Teilzeit. Es ist ein Irrtum anzunehmen, Frauen bevorzugten die Teilzeittätigkeit nur deshalb, weil sie wegen der Umstände (Kindererziehung, Pflege, eingeübte Rollenverteilung) nicht anders können. Untersuchungen ergeben vielmehr, dass bei vielen Frauen, die sich für die Reduzierung ihrer Stundenpensen entscheiden, schlicht der Wunsch nach mehr Freizeit (Selbstverwirklichung) im Vordergrund steht. So problematisch diese Einstellung gesamtgesellschaftlich ist, da sie den Arbeitskräftemangel weiter in die Höhe treibt – diese Frauen tun, was sie wollen und was sie auch dürfen sollen. Nur, den Feministinnen gefällt das überhaupt nicht. Sie verstehen Gleichberechtigung als Uniformität und stellen Frauen, die auf ihre individuelle Entscheidungsfreiheit pochen, auf eine Verächtlichkeitsstufe mit alten weißen Männern.

Dr. Günter Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk. 

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