Das Problem mit dem Regenbogen

Wer die Regenbogenflagge als Symbol für eine Ost-West-Spaltung in Europa benutzt, läuft Gefahr, autoritären Führungsfiguren in die Hände zu spielen.

 
Das Symbol der LGBTI-Community, die Regenbogenflagge © Sasel13 auf Pixabay.com

In der vergangenen Woche rückte das internationale Symbol der LGBTI-Community, die Regenbogenflagge, in den Fokus der europäischen Politik- und Medienwelt. Die Union der Europäischen Fußballverbände (UEFA) löste einen Sturm der Kritik aus, weil sie die Bitte des Münchner Bürgermeisters ablehnte, das Stadion von Bayern München während des Europameisterschaftsspiels Deutschland gegen Ungarn in den Regenbogenfarben leuchten zu lassen.

Die Regenbogenbeleuchtung war als Protest gegen ein kürzlich in Ungarn verabschiedetes Gesetz gedacht, nach dem LGBTI-Personen in Unterrichtsmaterialien oder Medien für unter 18-Jährige künftig nicht mehr vorkommen dürfen. Fußballspieler, Politiker, Unternehmen – alle schwenkten auf einmal Regenbogenflaggen, pochten auf die Menschenrechte von LGBTI-Personen und stimmten in die Ungarn-Schelte ein.

In der Europäischen Union setzte hektische politische Betriebsamkeit ein. Bevor die Woche um war, prangerte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das ungarische Gesetz an und versprach, alle Befugnisse der Kommission zu nutzen, um die Rechte aller EU-Bürgerinnen und -Bürger zu sichern. 16 Länder forderten die EU-Kommission zudem in einer Erklärung auf, Maßnahmen gegen das ungarische Gesetz einzuleiten, und das Thema LGBTI-Rechte rückte auf der politischen Agenda so weit nach oben, dass die Situation in Ungarn beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU für Diskussionsstoff sorgte. Die breite Welle der Solidaritätsbekundungen und politischen Bekenntnisse ist ebenso begrüßenswert wie überfällig. Dennoch sind große Vorbehalte angebracht.

Einige Geschehnisse der vergangenen Woche haben gezeigt: Es besteht die reale Gefahr, dass die Regenbogenflagge am Ende mehr polarisiert als zusammenführt. So benutzten viele Medien den Regenbogen als Symbol einer scheinbaren Ost-West-Spaltung in Europa beim Thema LGBTI-Rechte. Der niederländische Ministerpräsidenten Mark Rutte erklärte vor Journalisten gar, Ungarn habe „keinen Platz mehr in der EU“.

Es besteht die reale Gefahr, dass die Regenbogenflagge am Ende mehr polarisiert als zusammenführt.

Wenn zugelassen wird, dass die Flagge und die LGBTI-Rechte zum Sinnbild einer „Wir gegen die“-Debatte gerät, wird dabei nichts Gutes herauskommen. Am Wochenende gab Polen bekannt, dass es an einem Anti-LGBTI-Gesetz nach ungarischem Zuschnitt arbeite – ein cleverer strategischer Schachzug, der darauf abzielte, die in der vergangenen Woche zugespitzte Lagerbildung in der Regenbogenfrage auszunutzen.

Die politischen Machenschaften in beiden Ländern bewegen sich in altbekannten Bahnen und sind unmissverständlich. Ungarns Premierminister Viktor Orbán und der polnische Präsident Andrzej Duda wollen innere Feindbilder aufbauen, um von ihren eigenen Fehlschlägen abzulenken und an der Macht zu bleiben. Beide haben sich die LGBTI-Community zum Feindbild erkoren und nutzen diese Minderheit jetzt als Instrument, um bei der eigenen Bevölkerung gegen die europäischen Werte Stimmung zu machen, für die der „fortschrittlich denkende“ Teil Europas eintritt. Wenn wir die Regenbogenflagge dazu benutzen, ganze Länder an den Pranger zu stellen, tragen wir vielleicht unabsichtlich zur Isolierung der LGBTI-Personen in Ländern wie Polen und Ungarn bei, statt Menschen zusammenzubringen, die sich für Gleichberechtigung starkmachen.

Der öffentliche Rückhalt für die LGBTI-Communitys wächst inzwischen überall in Europa. Aus Protest gegen Orbáns neueste LGBTI-feindlichen Gesetze gingen die Menschen in Ungarn zu Tausenden auf die Straße. In derselben Woche nahmen in Warschau ebenfalls Tausende an der Pride-Parade teil oder zeigten ihre Unterstützung, indem sie als Zuschauer dabei waren. Wir sollten den weiter wachsenden öffentlichen Rückhalt unterstützen und vor allem mit den LGBTI-Communitys, die von diesem Gesetz und von anderen Grundrechtsverletzungen in ganz Europa unmittelbar betroffen sind, zusammenarbeiten und uns aktiv für ihre Interessen einsetzen.

Was bewirkt ein Regenbogenbild, das wir in unserem Twitter- oder Facebook-Profil posten, für die Community in einem Land wie Ungarn?

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Regenbogenflagge von dieser Arbeit ablenkt. Symbolische Akte wie in Regenbogenfarben beleuchtete Stadien und das Schwenken von Flaggen sind zweifellos wichtig. Sie senden eine Botschaft aus, die den Betroffenen den Rücken stärkt. Sie tragen dazu bei, dass Gespräche in Gang kommen, und bringen politischen Schwung in die Diskussion über LGBTI-Themen.

Zugleich besteht die Gefahr, dass sie die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenken. Abgesehen davon, dass wir uns gut dabei fühlen – was bewirkt ein Regenbogenbild, das wir in unserem Twitter- oder Facebook-Profil posten, für die Community in einem Land wie Ungarn? Welche konkreten Taten lassen EU-Politiker der Erklärung folgen, mit der das Europäische Parlament im März die EU zum „Freiheitsraum für LGBTI-Personen“ ausrief?

Eine Flagge zu schwenken ist viel einfacher, als sich darüber klar zu werden, wie man Verstößen gegen EU-Vorschriften wirksam entgegentreten oder die Finanzregularien so ändern kann, dass LGBTI-Aktivisten in Ländern wie Ungarn, Polen und Bulgarien leichter an die Gelder kommen, die sie brauchen. Es besteht die Gefahr, dass die Regenbogenflagge dazu beiträgt, dass die politisch Handelnden dort, wo sie aktiv werden können und sollten, untätig bleiben – und damit Glaubwürdigkeit und öffentliches Vertrauen verspielen.

Alle EU-Akteure müssen sich sorgfältig überlegen, wie sie über die aktuelle Situation der LGBTI-Menschen in Europa reden. Diese Situation ist weitaus komplexer als die Pauschalaussage von Mark Rutte oder das Schwenken von Regenbogenflaggen, mit dem man zeigen will, dass man zu den „Guten“ gehört. Meinungsmacher und führende Politiker müssen klar ansprechen, was zu tun ist, und die Menschen einbinden, statt die Spaltung voranzutreiben – und sie müssen ihren Worten Taten folgen lassen, wenn sie sich in die Regenbogendiskussion einschalten.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

Evelyne Paradis ist Geschäftsführerin von ILGA-Europe. Einer Interessenvertretung für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intersexuelle (LGBTI) Menschen auf europäischer Ebene.

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