Das falsche Leben.
Rezension von Dr. Aide Rehbaum
H.J.Maaz, Das falsche Leben. Ursachen und Folgen unserer normopathischen Gesellschaft
Was der Klappentext verspricht, hält das Buch des Hallenser Psychiaters ein. Er ringt nach einer Antwort auf die Frage, warum so viele Menschen speziell im Osten Deutschlands das Gefühl haben abgehängt zu sei und sich angesichts der Einwanderung Pegida und AfD anschließen, obwohl der Ausländeranteil unter 3% liegt. Seit dem Nationalsozialismus habe sich hüben wie drüben nur die Fassade verändert, die zwanghaften Strukturen dahinter seien bis heute gleich geblieben.
Der in der DDR sozialisierte Psychiater richtet den Blick auf den gesamtdeutschen Wertekanon, widmet sich kollektivem Fehlverhalten und bezeichnet unsere Gesellschaft als normopathisch und narzisstisch, da sie überangepasste und leistungsorientierte Menschen begünstige. Maaz stellt die Varianten falscher Selbstbilder anhand von Fallbeispielen dar und fordert Beziehungskultur statt Erziehung nach elterlichen Vorstellungen.
Mit Ausländern hat er anscheinend nicht gearbeitet. Er hat wohl Recht mit seiner Aussage, dass die mütterliche Beziehungsqualität für die Prägung des Urvertrauens unverzichtbar ist und durch Bildung in Fremdbetreuung nicht ersetzbar. Er berücksichtigt aber nicht, dass gerade ausländische Kinder bei aller Liebe ihrer Mütter schon am Start im Hintertreffen sind, wenn sie ausschließlich zuhause bleiben. Er widerspricht sich damit auch selber, denn für Immigranten hält er Umerziehung für wichtiger als Sprachunterricht. Einwanderer seien frühkindlich autoritär verzogen und die vorgefundene Freiheit in Europa werde als Schwäche unserer Gesellschaft ausgelegt. Eine pauschale Vorverurteilung sei deshalb kein Verstoß gegen die „political correctness“ sondern Ausdruck von berechtigter Vorsicht. „political correctness“ pervertiert Maaz als Mitläufertum und vernachlässigt gänzlich, dass gedankenlose Ausgrenzung (Fremde, Frauen etc.), die damit (als erstem winzigen Schritt) überwunden werden soll, nun mal bei Sprache beginnt.
Die durch Erziehungsfehler gestörter Mütter Geprägten bilden den Mainstream, wobei je nach Störung die einen mit Ellbogen ihre innere Leere gierig zu füllen versuchen ohne Rücksicht auf Umwelt etc., während andere wie die Lemminge folgen. AfD, Pegida u.a. sieht er zu Unrecht als rassistisch, rechtsextrem oder populistisch verunglimpft. Seiner Meinung nach beleben sie die Demokratie und werden von hysterischen Gutmenschen mundtot gemacht.
Maaz ist nicht der erste Psychiater, der seine Kenntnisse politisch anwenden will. Horst-Eberhard Richter hat sich in den 70er Jahren gesellschaftlich engagiert. Bei der Analyse der Befindlichkeit (der politischen Eliten und des ganzen Volkes!) und ihrer Ursache holt Maaz weit aus und kommt zu dem Schluss, dass eine gestörte Lebenshaltung (er schließt sich selbst ein) nicht heilbar sei und man sich nur lebenslang bemühen könne den Umgang damit zu verbessern. Alles in allem ein deprimierendes Buch, das zur Diskussion anstoßen könnte, aber an einer positiven Entwicklungsmöglichkeit zweifeln lässt.
Verlag C.H. Beck
16,95 € Broschur
ISBN: 978-3-406-70555-7