„Brüssel finanziert den ganzen Orban-Apparat”

Der ungarische Journalist Peter Magyari über die Autokratisierung Ungarns und was dagegen hilft.

In vielen europäischen Ländern verlieren rechtspopulistische Bewegungen derzeit an Rückhalt. In Ungarn wird im kommenden Jahr gewählt. Steuert Orban auf einen weiteren Wahlsieg zu?

„Korruption? Wo denn?“: Viktor Mihály Orbán, Ministerpräsident Ungarn

Davon ist auszugehen, wenn sich nicht noch etwas grundsätzlich ändert. Das heißt aber nicht, dass die Ungarn geschlossen hinter Orban stehen. Tatsächlich vertritt er lediglich die größte Minderheit im Land. Ungefähr 2 von 8 Millionen Wählerinnen und Wählern stehen hinter seiner Fidesz Partei. Aus den Wahlen kann er nur deshalb siegreich hervorgehen, weil das Wahlrecht in den vergangenen Jahren auf Orban zugeschnitten wurde. Statt zwei gibt es jetzt nur noch einen Wahlgang, deshalb sollten die kleineren Parteien vor den Wahlen eine Wahlallianz bilden, wenn sie reale Chancen gegen die Fidesz haben wollen. Ausserdem wurde das Wahlsystem auch so verändert, dass Direktmandate in dem neuen, kleineren Parlament stärker gewichtet werden und die Anzahl der Listenmandate stark zurückging, was vor allem auch den kleineren Linksparteien schadet. Darüber hinaus wurden Wahlkreise  in ihrem Zuschnitt so verändert, dass ein Orban-Kandidat stets im Vorteil ist. Das ist ein Fall von klassischem gerrymandering, der in Europa so wohl einzigartig ist. Orban und sein Umfeld wissen nur zu genau, dass sie die Wahlen auf keinen Fall verlieren dürfen. Denn angesichts der kriminellen Machenschaften der Regierung würden sie sich sämtlich vor Gericht wiederfinden.

Schaden die Korruptionsvorwürfe auf lange Sicht nicht auch Orban selbst?

Im Prinzip schon, doch faktisch ist das Vertrauen der ungarischen Bevölkerung in die Politik an sich so zusammengebrochen, dass selbst schlimmste Korruptionsskandale kaum noch öffentlichen Widerhall finden. Pew Research hat dazu kürzlich ziemlich beunruhigende Zahlen vorgelegt. Das Vertrauen in die Demokratie und das Mehrparteiensystem ist in Ungarn seit der Wende sogar stärker gesunken als in der Ukraine… Viele Ungarn gehen mittlerweile einfach davon aus, dass Korruption in der Politik der normale Lauf der Dinge ist. Was Käuflichkeit angeht, sind sie einfach abgestumpft. Ein aufgedeckter Korruptionsskandal wird im Land sicher nicht die Wende bringen – egal wie groß er sein mag.

Rechtspopulisten in Westeuropa haben sich in den vergangenen Jahren zu Anwälten der kleinen Leute erklärt. Ist das Phänomen Orban ähnlich zu erklären?

Teilweise. Die ungarischen Orban-Anhänger entstammen aber traditionell eher der oberen Mittelklasse oder der Mittelklasse in ländlichen Gebieten – das sind die, die von dem Regime derzeit profitieren. Es geht also nicht in erster Linie um die wirtschaftlich Abgehängten, auch wenn der Anteil von sozial schwächeren Wählerinnen und Wählern bei Fidesz sicher wächst. Das übrigens nicht zuletzt weil Orban diese Wählerklientel gezielt mit Vergünstigungen anspricht. Im Fall Ungarn spielt aber ein anderer Aspekt eine bedeutendere Rolle: die Instrumentalisierung der Geschichte und der ungarischen Identität. Dabei geht es vor allem auch um den ungarischen Opfermythos, der ja durchaus historisch nachvollziehbar ist – denken Sie nur an die wiederholten Phasen der militärischen Besatzung.

Das Vertrauen in die Demokratie und das Mehrparteiensystem ist in Ungarn seit der Wende sogar stärker gesunken als in der Ukraine.

Das hat Spuren hinterlassen. In der Nationalhymne heißt es „Dieses Volk hat schon für Vergangenheit und Zukunft genug verbüßt” – und das ist erst die erste Strophe… Dieses Gefühl des Eingekreistseins von Feinden versteht Orban geschickt zu bedienen. Es ist so, als trete er direkt aus der ungarischen Geschichte in die Politik unseres Landes und des christlichen Ungarns, um letztlich das Abendland insgesamt vor dem Untergang zu bewahren. Dabei ist auch bezeichnend, dass Orban ideologisch über diese historische Aufladung hinaus fast überhaupt nicht zu greifen ist. So bin ich mir ziemlich sicher, dass er eben gerade keinen ideologischen Masterplan hat, nach dem er das Land umkrempeln will. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich sicherlich von Autokraten wie Erdogan oder Putin. Das Ziel ist eher eine Art halbseidener Familienbetrieb, in dem Demokratie, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit nur stören.

Welche Rolle spielt die Migrationskrise in diesem Zusammenhang?

Eine Doppelrolle. Einerseits symbolisiert sie die Bedrohung des  Landes durch muslimische Migranten, andererseits bietet sie die Möglichkeit, das Land vor EU-Bürokraten und -Institutionen zu schützen. Orban konnte damit die Brüsseler Kritik an der Rechtsstaatlichkeit Ungarns mit den „progressiven” Maßnahmen Ungarns zur Migration verbinden und damit die Vorwürfe ablenken. Man habe Ungarn angegriffen, weil es aufrichtig gesagt habe, dass es das Abendland schützen wolle, behauptet etwa Orban.

Auf der Gegenseite steht der blinde Westen in Person von Angela Merkel, die zwar nicht direkt bloßgestellt, aber in den ungarischen Staatsmedien doch regelmäßig als verblendete Ideologin dargestellt wird, die rationalen Argumenten nicht zugänglich sei.

Inwiefern ist Druck aus der EU vor dem Hintergrund der historischen Aufladung der Debatte hilfreich? Oder spielt das Orban lediglich in die Hände?

Nein, Druck aus Brüssel und anderen EU-Staaten ist enorm wichtig. Kritik aus dem Ausland stärkt das Selbstbewusstsein und ermutigt kritische Bürger, den Kampf gegen autoritäre Tendenzen nicht aufzugeben. Sicher, Ungarn ist nicht Nordkorea. Wenn Sie sich an eine Straßenecke stellen und lautstark den Premierminister kritisieren, wird Sie niemand behelligen. Zumindest noch nicht. Vielleicht kann man die Situation ein Stück weit mit der Lage in der Türkei vor einigen Jahren vergleichen. Aber die Tendenzen, etwa die Pressefreiheit einzuschränken, sind offensichtlich. Das erfolgt allerdings nicht durch klare Zensur sondern eher durch indirekte Richtungsvorgaben über den Entzug von Werbeanzeigen. Das aber ist eine ökonomische Waffe, die für eine Presse in der Krise eine echte Bedrohung darstellt.

Wie kann denn Druck aus der EU konkret Wirkung entfalten?

Ganz einfach: Das einzige, um das es Orban und der politischen Elite des Landes geht, sind die EU-Gelder. Faktisch finanziert Brüssel doch den ganzen Orban-Apparat. Wenn Sie wissen wollen, wer derzeit in der Gunst des Premierministers ganz oben steht, dann schauen Sie einfach in das Register der gerade zu vergebenden EU-Ausschreibungen. Je weiter oben auf der Liste und je größer das Volumen, desto höher das derzeitige Ansehen des Firmenchefs. Jeder Schritt, der am Geldfluss Richtung Budapest etwas ändert, wird Wirkung entfalten.

Die Fragen stellte Michael Bröning.

Péter Magyari ist seit 2013 als Online-Journalist für 444.hu tätig, wo er sich hauptsächlich mit der EU und Ungarn beschäftigt. Er ist spezialisiert auf investigative Artikel zum Thema Korruption und Energiehandel.

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