Politik: Nur noch Nebendarsteller
Trump ordnet Europas Nachbarschaft neu. Ohne Mut und eigene Strategie droht Europa die geopolitische Bedeutungslosigkeit.

Der kritische Blick vieler Beobachter lag in dieser Woche auf Steve Witkoffs Besuch bei Wladimir Putin in Moskau. Doch ausgerechnet ein Treffen, das gar nicht stattfand, sagt noch mehr über Europas derzeit schwache internationale Position aus: das geplante Trump-Putin-Gespräch in Budapest. Schon die Tatsache, dass ein solches Treffen überhaupt erwogen wurde – auf EU-Gebiet, aber ohne jede Einbindung der EU – war für sich genommen eine Demütigung für Europa. Das gleiche Muster zeigte sich, als die USA ihren 28-Punkte-Friedensplan für die Ukraine präsentierten: Europa sollte Pflichten übernehmen, ohne in irgendeiner Phase in die Verhandlungen eingebunden gewesen zu sein.
Zwar formulierten die Europäer zu Beginn des Jahres 2025 klar ihre Position, als Trump erstmals die Initiative ergriff: Die EU werde den Beitrittsprozess fortsetzen, die Ukraine weiter bewaffnen und die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten. Doch Europa bleibt reaktiv – und das nicht nur in der Ukraine-Frage. Ob auf Ebene der EU, der europäischen NATO-Verbündeten oder der „Koalition der Willigen“: Es fehlt an jeglicher proaktiver Strategie. Die europäische Diplomatie hechelt den Initiativen anderer hinterher. Sie ist ständig im Modus des Hinterherlaufens.
Der Hauptgrund: Viele europäische Entscheidungsträger scheinen nicht zu begreifen, dass die Rolle, die Europa auf der internationalen Bühne jahrzehntelang gespielt hat, aus dem Drehbuch gestrichen wurde. Europa hält weiter an seiner alten Position als treuester Verbündeter der USA fest. In dieser Logik müsse Europa eben Zugeständnisse machen, um unter einer zweiten Trump-Administration wieder ein stabiles Verhältnis zu erreichen. Doch Trumps Umgang mit Europa hat inzwischen deutlich gemacht, dass er keine Verbündeten will, sondern Vasallen.
Trump und seinesgleichen kümmert die NATO wenig; für sie ist diese ein Instrument, mit dem sich die europäischen „Trittbrettfahrer“ von den USA verteidigen lassen. Und sollte Trump – wie er es offensichtlich anstrebt – die Beziehungen zu Putins Russland normalisieren, wird die NATO weiter an Bedeutung verlieren. Das traditionelle sicherheitspolitische Establishment in Washington schätzt die NATO zwar weiterhin, aber Trump trifft nun mal die Entscheidungen, nicht die Generäle und Admiräle. Zur EU hat Trump hingegen eine starke Meinung: Er lehnt sie grundsätzlich ab. Trump sucht kein neues Verhältnis zur EU, er will sie loswerden.
Wenn Europa nicht rasch beginnt, strategisch zu denken, wird es gegenüber den USA nie aus der reaktiven Position herauskommen.
Jede Art von Zugeständnis, sei es die Fünf-Prozent-Quote in der NATO oder ein 15-Prozent-Zoll auf EU-Waren, wird nur zu weiteren Forderungen führen. Denn Trumps Ansatz ist nicht „transaktional“, wie ständig behauptet wird: Eine Transaktion setzt Geben und Nehmen voraus. Trump will jedoch nur nehmen. Es ist ein reines Machtspiel. Und das funktioniert für ihn umso besser, je eher die USA mit einzelnen europäischen Staaten verhandeln können. Die EU ist für ihn in diesem Sinn ein Hindernis.
Wenn Europa nicht rasch beginnt, strategisch zu denken, wird es gegenüber den USA nie aus der reaktiven Position herauskommen – und gleichzeitig auch seine Stellung gegenüber allen anderen Akteuren untergraben. Die Rolle des loyalen Verbündeten bringt nämlich mit sich, keine größeren Schritte ohne US-Zustimmung zu unternehmen. Noch schwerer wiegt die psychologische Wirkung auf viele europäische Führungskräfte: Die Gewohnheit, nie ohne aktive US-Unterstützung zu handeln, hat sie vollständig risikoscheu gemacht. Damit entsteht eine neue, ernste Gefahr: Europa könnte in den Augen anderer Mächte als vernachlässigbar wahrgenommen werden.
Diese Gefahr ist keineswegs theoretisch. Sie zeigt sich darin, wie große Mächte Europa als Nebenakteur behandeln. Und das bei Entscheidungen, die Europas Sicherheit direkt betreffen. Der 28-Punkte-Plan der USA wurde über die Köpfe der Ukraine und Europas hinweg verhandelt: ein Plan, der starke wirtschaftliche Vorteile für die USA hervorhebt. Seit seiner Rückkehr ins Amt versucht Trump, mit Putin zu verhandeln. Dass er damit fortfahren würde, lag auf der Hand. Umso unverständlicher ist es, dass Europa nicht einmal eine eigene Verhandlungsposition vorbereitet hat, geschweige denn selbst die Initiative ergriff. Und so muss Europa wieder einmal einem US-Vorstoß hinterherhecheln.
All dies zeigt: Die Trump-Administration mag zwar weniger bereit sein, Verantwortung für Europas Verteidigung mitzutragen, aber sie zieht sich keineswegs aus Europas Nachbarschaft zurück. Im Gegenteil: Sie formt diese Nachbarschaft rasant im Sinne amerikanischer Interessen um, ohne Rücksicht auf die Folgen für Europa und ohne jede Koordination mit den europäischen Staaten. Amerikanische und europäische Interessen überschneiden sich zwar oft, doch Europa kann nicht einfach abwarten. Es muss aktiv dafür sorgen, dass seine Interessen berücksichtigt werden.
Haben wir unsere geopolitische Lage wirklich verstanden? Europa strebt zwar keine exklusive Einflusssphäre an, hat aber sehr wohl eine Interessensphäre: den Raum um Europa, den es stabil halten muss und in dem es daher präsent sein sollte: wegen der Märkte und Rohstoffe, wegen der Verkehrswege zu weiter entfernten Absatzmärkten und Ressourcen und weil die Instabilität in der Nachbarschaft unmittelbar auf Europa übergreifen kann. Diese Zone umfasst den Nordatlantik und die Arktis; den ganzen europäischen Kontinent; den Kaukasus, den Nahen Osten und den Golf; außerdem Nordafrika, einschließlich des Horns von Afrika und der Sahelzone.
Europa muss entscheiden, welche Art von Beziehung es welchen Staaten in dieser Region anbieten will.
Europa muss entscheiden, welche Art von Beziehung es welchen Staaten in dieser Region anbieten will; im Bewusstsein, dass Konkurrenz zwischen Großmächten bedeutet, dass andere Akteure Gegenangebote machen und feindliche Mächte jene bestrafen werden, die sich Europa zuwenden. Das erfordert eine proaktive Diplomatie, damit die Staaten in Europas Interessensphäre sich nicht abwenden – oder gar gegen Europa stellen. In einigen Regionen, besonders im Sahel, ist genau das bereits passiert. Diese einmal eingeschlagene Entwicklung umzukehren, ist äußerst schwierig.
In anderen Regionen, etwa im Kaukasus und in Zentralasien, besteht weiterhin großes Interesse an europäischer Präsenz. Doch Europa muss auch bereit und in der Lage sein, jene zu unterstützen – gegen hybride Angriffe oder sogar militärische Bedrohung –, die sich für eine Partnerschaft mit Europa entscheiden. Wenn Europa nicht den Mut hat, für seine Partner einzustehen, sollte es keine Partnerschaft anbieten. Doch all diese Herausforderungen und Chancen verlangen ein konzentriertes politisches Handeln.
Selbst wenn Europa strategischer und entschlossener handeln würde, bleibt ein zentraler Punkt häufig ausgeblendet: Macht ist unteilbar. Wie jede andere Großmacht – oder eine, die es werden will – kann Europa seine politische und wirtschaftliche Macht nur dann voll entfalten, wenn es auch militärische Macht besitzt. Einer der Gründe, warum das Wort der USA etwa im Nahen Osten Gewicht hat, ist, dass die USA (und nur sie) zu jeder Zeit einen Flugzeugträgerverband entsenden können.
So wichtig die Unabhängigkeit der Ukraine für Europas Sicherheit geworden ist, sollten die Europäer dennoch nicht ausschließlich nach Osten blicken. Europa muss in der Lage sein, militärische Macht an allen seinen Flanken zu projizieren: ein seit Langem formuliertes, aber weiterhin unerreichtes Ziel der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Mitunter entsteht der – recht beängstigende – Eindruck, Europas Spitzenpolitiker seien der Überzeugung, international ganz gut dazustehen. Wer jedoch außerhalb Europas unterwegs ist, merkt schnell: Viele Akteure schenken Europa kaum noch Beachtung. Es sei denn, Worte werden von Taten begleitet. Europa als vernachlässigbar zu behandeln, ist mittlerweile eine bewusste Strategie – und sie funktioniert leider oft. Man geht schlicht davon aus, dass europäischer Handel, Investitionen und Entwicklungshilfe ohnehin weiterfließen – oder dass Europa am Ende doch der Linie der USA folgt. Warum also ernsthaft mit einem Akteur verhandeln, der sehr selten wie eine echte Macht auftritt?

Prof. Dr. Sven Biscop lehrt an der Universität Gent und leitet das Programm Europe in the World am Egmont – Royal Institute for International Relations in Brüssel. Er ist der Autor von This Is Not a New World Order.



