Zum Glück gibt´s Merkel
Von Gisbert Kuhn
Blitzableiter sind höchst nützliche Einrichtungen. Auf den jeweils höchsten Spitzen montiert, ziehen sie die geballten, von außen kommenden elektrischen Ladungen an und leiten sie – in aller Regel ohne selbst Schaden zu nehmen – in neutrales Gelände ab. Na gut, mitunter sind hinterher schon einige Blessuren erkennbar. Aber die ihnen an sich innewohnenden, wirklich zerstörerischen Kräfte konnten die Blitze nicht entwickeln.
Trump, der Donnergott
Als Erfinder dieser sinnvollen Gerätschaft gilt der spätere Gründungsvater und Mitautor der berühmten amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, Benjamin Franklin. Das kann man durchaus als symbolhaft deuten. Denn einerseits ist mit Donald Trump heute ausgerechnet einer von Franklins politischen Erben in der Luft, zu Lande und (vor allem) elektronisch zwitschernd unterwegs, um wie Thor, der Wettergott, permanent rund um diese Erde mit Blitz und Donner seine „Botschaften“ zu schleudern. Und, andererseits, stehen in ihrer Funktion als Präsidenten oder Kanzler nun halt ebenfalls Politiker ganz oben an der Spitze und bekommen, naturgemäß, die Ergüsse aus den Trump´schen Gewitterwolken ab.
Wenn „Thor“ Trump zurzeit mit seinem Hammer auf den Amboss der (vorgeblichen oder tatsächlichen?) Empörung drischt, dann fliegen die Funken dieses Zorns zuvorderst in eine Richtung – die Heimat seiner Vorfahren, Deutschland. Und dort muss als Blitzableiter Angela Merkel fungieren, die Bundeskanzlerin. Das Verblüffende: Das ganze Theater mit verbalem Blitz und Donner scheint die Chefin des Berliner Kanzleramts überhaupt nicht zu berühren. Es perlt, sprichwörtlich, einfach von ihr ab.
Zwischen Recht und Lächerlich
Dabei hätte der Ober-Ami mit manchem Ärgernis gar nicht mal Unrecht. Natürlich hat (nicht nur, aber auch) Deutschland mittlerweile viele Jahre lang gern die Schlafdroge „Friedensdividende“ geschluckt und seine Verteidigungsfähigkeit in fast schon unverantwortlicher Weise lädiert. Der gegenwärtige Zustand der Bundeswehr und deren Ausrüstung ist geradezu erbarmungswürdig und eine Zumutung für die Soldaten. Auch Trumps Vorwürfe an die EU-Handelspolitik sind begründet. Zehn Prozent Zoll auf US-Autos erheben, aber selbst nur fünf Prozent jenseits des Atlantiks zu berappen – wo bleibt da die Ausgeglichenheit? Aber es ist eben immer der Ton, der die Musik macht. Und wie das Beispiel zeigt: Zwischen einem – wenn es sein muss, durchaus auch harten – Verhandeln unter zivilisierten Menschen und lächerlich-krakeelenden Ausfällen liegen mitunter leider keine Welten.
Ist es, darum, nicht prima – zum Glück gibt es Angela Merkel. Und zwar nicht bloß wegen ihres souveränen Umgangs mit dem Poltergeist aus dem Weißen Haus am Potomac. Man stelle sich nur mal vor, wie hilf- und ratlos ohne diesen Prellbock aus der Uckermark, diesen unerschütterlichen und zugleich absolut uneitlen weiblichen Blitzableiter, die riesige Schar all jener Zeitgenossen hierzulande dastünde, die sich Tag für Tag verzweifelt an der Kanzlerin abzuarbeiten versucht – die notorischen Querulanten, die ewigen Nörgler, die mit allem Unzufriedenen, die an jeder tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Ungerechtigkeit in der Welt Verzweifelnden, die sogar für die schwierigsten Probleme stets einfache Lösungen wissenden Universalgenies, die Weltverbesserer und Untergangsprediger, die angeblich von Merkel „Weggebissenen“ oder bloß auch nur diejenigen, die „diesen Typ“ ganz einfach nicht leiden können.
Stur oder standhaft?
Sie alle kommen in ihren Denk- und Verhaltensweisen aus ganz, ganz vielen verschiedenen Richtungen und treffen sich nur in „Einem“: In einer erbitterten Gegnerschaft zu Angela Merkel. Nun wird der beobachtende Zeitgenosse möglicherweise den – dann ohne Zweifel richtigen – Einwurf haben, dass man ihr doch zahlreiche, auch gravierende, Fehler während der bereits 13 Jahre währenden Regierungszeit nachweisen könne. Na, und ob! Nur geht es bei den hauptsächlich ja in den so genannten Sozialen Medien gegen die Kanzlerin gefahrenen Attacken zu allermeist überhaupt nicht um konkrete Kritikpunkte. Sondern sofort und mit aller Brutalität um direkte Verletzlichkeiten und auch Verletzungen. Das reicht von der Verballhornung des Namens, geht weiter über ihr Leben in der DDR (nicht selten verbunden mit der Unterstellung von Stasi-Mitarbeit) und geht dann meist in simple Äußerlichkeiten über. Die Steigerungsformen sind nach oben offen.
Kurzum, die berühmten „3 H“ machen vor Merkel nicht nur nicht halt, sondern prasseln tagtäglich geradezu sturzflutartig auf sie herab: Hass, Hetze, Häme. Merkel ist für ihre Gegnerschar schlichtweg an allem schuld – an den Problemen mit Flüchtlingen, den Zerreißproblemen innerhalb der klapprigen Berliner Koalition, den beängstigenden nationalistischen Tendenzen in diversen EU-Mitgliedstaaten, Pannen im Bereich der Inneren Sicherheit, dem blamablen Auftreten der deutschen Fuballer bei der Weltmeisterschaft in Russland und womöglich nun auch noch an den durch die Trockenheit verursachten Missernten in Bereichen der Landwirtschaft. Doch an ihr scheint das alles abzuprallen. Sturheit oder Standfestigkeit?
Nicht nur „Verlierer“
Es ist, weiß Gott, kein schönes Spiel, das hier betrieben wird. Zumal die Heerführer der zumeist digitalen Anti-Merkel-Truppen durchweg nicht aus dem Bereich der „Zukurzgekommenen“, „Globalisierungsverlierer“ usw. kommen, sondern sehr viel mehr als dem so genannten Bildungsbürgertum, früher „bessere Kreise“ genannt. Darum stößt auch besonders dort die von der Kanzlerin zur Schau gestellte Unerschütterlichkeit auf so großen Ärger. Ist diese Person denn durch gar keinen Verbalangriff vom Sockel zu stürzen, ja nicht einmal ins Wanken zu bringen? Dieser Text ist, bei Gott, kein Hymnus auf Angela Merkel. Sondern einfach einmal ein Stück Anerkennung: Chapeau für solche Standfestigkeit in Zeiten von Stürmen. Eigentlich gut, dass es so etwas auch noch gibt. Nicht nur Meckern und Mosern.
p.s.: Protest und Widerspruch sind natürlich eingeplant. Aber, wenn es geht, in einer zivilisierten Sprache…