Von Günter Müchler

Autor Günter Müchler

Win-win-Situationen kommen in der Politik wie im normalen Leben leider selten vor. Häufiger anzutreffen ist das Gegenteil, nämlich die Qual der Wahl zwischen zwei Zielen, von denen jedes nur durch Schädigung des andern erreicht werden kann. Die mulmige Gefühlslage, die sich dabei einstellt und die in der Sozialpsychologie als „kognitive Dissonanz“ bekannt ist, begleitet Ampel-Wirtschaftsminister Robert Habeck auf Schritt und Tritt. Momentan reist er als Vertreter für Windräder durch die Lande, wohl wissend, dass mehr Rotoren mehr Landschaftszerstörung bedeuten.

Wer mit dem Auto oder mit der Bahn unterwegs ist, weiß, dass Windräder schon jetzt allgegenwärtig sind. Sie haben das Landschaftsbild stärker verändert als jeder andere menschliche Eingriff in der Geschichte. Denn Windräder sind nicht nur hoch (in der Regel 200 Meter), sie stehen auch zwangsläufig dort, wo sie von weitem sichtbar sind, weil über die Höhen der Wind nun einmal stärker bläst als im Tal.

Im Augenblick gibt es 30 000 Windräder in der Bundesrepublik. Viel zu wenig nach Berechnungen der Bundesregierung. Um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen (Klimaneutralität bis 2045), müsse die windgenerierte Energieleistung von 56 auf 80 Gigawatt erhöht werden, heißt es in Berlin. Das erfordert bis 2030 einen Zubau von jährlich 1 500 Windrädern.

Es ist eine Giga-Anstrengung, die sich die Ampel da vorgenommen hat. Denn in den letzten Jahren wurden nicht mehr, sondern immer weniger Windkraftanlagen errichtet. Das hat allgemeine und lokale Gründe. Beliebt sind die Spargelmonster bloß dort, wo man sicher sein kann, dass sie nicht errichtet werden: In den Städten, also dort, wo der grüne Anhang in den feinen Wohnvierteln praxisfrei über seine Visionen einer schöneren Welt diskutieren kann.

Dagegen wächst der Widerstand auf dem Land. Er schlägt sich nieder in komplizierten Verfahren, die häufig von lokalen Bürgerinitiativen in die Länge filibustert werden. In Baden-Württemberg, dem homeland der Öko-Bewegung, liegt die Verfahrensdauer derzeit bei rund 18 Monaten. Sie soll nach dem Willen der Landesregierung auf acht Monate heruntergedrückt werden – ein heikles Vorhaben. Es erfordert nämlich die Einschränkung der Bürgermitsprache. Also von Rechten, für welche vor allem die Mütter und Väter der heutigen Grünen mit Vehemenz stritten, als es um Fischtreppen und um die körperliche Unversehrtheit wandernder Kröten ging.

Die Erinnerung an Krötenkämpfe lenkt den Blick auf eine weitere kognitive Dissonanz, die Habecks Parforceritt für die Windkraft im grünen Lager Bauchschmerzen auslöst. Für Klimaschutz sind alle, nur darf dabei der Artenschutz, der in der Schöpfungsgeschichte der Grünen einen wichtigen Platz einnimmt, dabei nicht unter, beziehungsweise in die Räder kommen. Nun sind aber Windräder der unnatürliche, menschengemachte Feind der Greifvögel. Die genaue Zahl der Rotmilane und Störche, die Jahr für Jahr von Rotorblättern tranchiert werden, ist unbekannt. Sie soll, indes, beträchtlich sein.

Habeck hat seine Werbetour nicht von ungefähr in Bayern begonnen. Der Freistaat war 2021 mit lediglich acht (!) installierten Windrädern Bundesschlusslicht. Nirgends gelten für die Errichtung so üppige Abstandsregeln von Wohngebieten wie im Alpen-Freistaat. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) setzt bei den Erneuerbaren auf großflächige Solarparks. Sie sind weniger sichtbar als Windräder. Und das ist in Bayern, wo der Schutz der schönen Landschaft von alters her Verfassungsrang besitzt (Art. 141), ein gewichtiges Argument.

Söder wird sich der Berliner Klimapolitik nicht in den Weg stellen, wohl aber eigene Akzente setzen. Habeck und er haben auffällige Gemeinsamkeiten. Beide sind beweglich, beide hantieren gern mit selbst gebastelten Signalwörter. Habeck trat jetzt in München mit der Forderung nach einem deutschen „Öko-Patriotismus“ hervor. Ein Schurke, wer Böses dabei denkt! Tatsache ist, dass sich der teutonische Umwelt-Ehrgeiz bisher vor allem in dem Bestreben manifestierte, möglichst viele Quellen der Energiegewinnung gleichzeitig zu verstopfen.

Energiepolitisch fährt Deutschland, seit Merkel überstürzt aus der Atomkraft ausstieg, einen Sonderweg, dem niemand in Europa folgen will. Aus ideologischen Gründen wurde und wird der Energiemix immer weiter verengt und die Versorgungssicherheit in Frage gestellt. Ende des Jahres sollen die letzten AKW´s vom Netz genommen werden. Erdgas gilt vielen Grünen weiterhin als Trojanisches Pferd. Dabei ist die Co2-Bilanz beider Ressourcen günstig. Wie aber soll der künftige Strombedarf in Deutschland, der durch die Elektrifizierung des Straßenverkehrs und die beschleunigte Digitalisierung dramatisch wachsen wird, gedeckt werden?

Die Windkraft soll’s bringen, koste es was es wolle. Zwei Prozent der Bundesfläche sieht die Bundesregierung dafür vor. Zieht man vom Flächenbestand die Wälder und andere unbebaubare Teilmengen ab, ist die „Verspargelung“ der Republik kaum noch aufzuhalten. Der niedersächsische Umweltminister Olaf Ries verstieg sich dieser Tage zu der Behauptung, Windräder seien inzwischen „Teil der Kulturlandschaft“. Der Witz zeigt, wie groß die Not ist. Sollten die Pläne der Bundesregierung aufgehen, wird man überhaupt nicht mehr von Landschaft sprechen können, nur noch von Gegend.

Niedersachsen wäre dann überall.     

 Dr. Günther Müchler ist Journalist, Politik- und Zeitungswissenschaftler, war viele Jahre Korrespondent in Bonn und zum Schluss Programmdirektor beim Deutschlandfunk.

 

  

       

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