Von Gisbert Kuhn:

„Albernheit und Enthusiasmus“ in der Bonner Ausstellungshalle

 

Eines der am häufigsten zu hörenden Zitate im Bereich musealer Sphären lautet: „Ist das schon Kunst oder kann es weg?“ Die Suche nach seinem Ursprung endet in aller Regel irgendwo im Nirgendwo. Will heißen: Man weiß nicht, vom wem stammt ist und bei welcher Gelegenheit es entstand. Eine Lesart deutet auf den Ausspruch einer Putzfrau angesichts eines aus einer Badewanne und ranziger Butter bestehenden Oeuvre des Düsseldorfer Aktionskünstlers, Bildhauers, Zeichners und Direktors der Kunstakademie, Joseph Beuys. Tatsächlich sind aus Unkenntnis oder versehentlich zweimal „Fettecken“ von Beuys beim Saubermachen entfernt worden.

Gabriel Lester, The Perception Paradox, 2022. ©seppspiegl

Ein drolliger Gegenentwurf

Nun hat sich die in sehr gutem Ruf stehende Bonner Bundeskunst- und Ausstellungshalle ganz seriös des spaßigen Themas angenommen. „Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst“ – so lautet der Titel der mit dem Karneval (11. 11.) beginnenden und bis zum 10. April 2023 laufenden neuen Präsentation. Eine Schau voller Quatsch, Blödsinn, Kitsch – und trotzdem mitunter zur Nachdenklichkeit geradezu provozierend. Ein Gegenentwurf vielleicht zur „ehrwürdigen“ Kunst und deren Verständnis? Tatsächlich präsentiert die Bonner Show Werke von rund 100 beachtenswerten bis berühmten Schöpfern. Angefangen von der frühen Neuzeit mit Pieter Bruegel d. Ä. über Alfred Jarry und Elsa von Freytag-Loringhoven, Marcel Duchamp und René Magritte, Giorgio de Chirico, Sigmar Polke. Nicht zu vergessen aber auch George Grosz, den grandiosen Karikaturisten der 20. Jahre, mit seiner Zeichnung des „Braven Soldat Schweijk“ und dessen Spruch „Melde gehorsamst, dass ich blöd bin“.

„Labyrinth“ von Jim Shaw ©seppspiegl

Die Kuratoren der Ausstellung – Jörg Heiser und Cristina Ricupero – möchten bei den Besuchern, nach eigenen Worten, durchaus Lachen und Fröhlichkeit auslösen. Und vergessen gleichzeitig nicht daran zu erinnern, dass die spaßigen Werke bei ihren Schöpfern nicht selten das Verarbeiten schlimmer Erlebnisse bedeuteten. So, zum Beispiel der Dadaismus als „Gegengift“ zu den Schrecknissen des 1. Weltkriegs. Und der gigantische Neutronen-Staubsauger, der die Menschheit angeblich von allen Bürokraten reinigt, ist gewiss auch nicht sehr weit von den aktuellen Ängsten der Zeitgenossen vor einer nuklearen Katastrophe entfernt. Bemerkenswerterweise haben sich die Kuratoren auch keineswegs allein auf die „klassisch weiße“ Künstlerszene beschränkt. Dafür spricht auf überzeugende Weise die Fotoserie von Kilanji Kia Henda über die letzten Tage des afrikanischen Diktators Mussunda N´zbombo, in der das böse Ende des mit Antilopen posierenden Herrschers dargestellt ist. Eines Despoten, der einfach die Exzesse der Kolonialzeit fortsetzte.

Von Kristallpalästen und Spukhäusern

Ashley Hans Scheirl, Goldfinger, 2019 ©seppspiegl

Die neue Show in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle ist in sieben Kapital gegliedert. Und schon im ersten wird der Besucher darauf hingewiesen, dass er sich nicht auf eine bloße bierhafte Ernsthaftigkeit, sondern auch auf spaßige Überraschungen gefasst machen soll. Denn dieser, mit „Coney Island“ betitelte, Bereich erinnert auf den (1903 eröffneten und später oft kopierten) ersten Luna-Vergnügungspark, der seinerzeit mit seinen Kristallpalästen und Spukhäusern weltweit für Aufsehen sorgte. In einem Spiegelkabinett, umgeben von hölzernen Giraffen und gestreiften Wänden, wird man auf das Kommende eingestellt. Oder abgeschreckt. Ganz nach persönlicher Einstellung.

Bjarne Melgaard, Dog with three lines of Cocaine, 1999 ©seppspiegl

Und die Auswahl ist wirklich groß. Denn die hier präsentierte Kunst der Peinlichkeit beschränkt sich nicht auf Malerei und Gestaltung. So ist etwa ein ganzes Kapitel den filmischen Werken des als so ziemlich schlechtesten Regisseur aller Zeiten bewerteten Science-fiction- und Horror-Streifen von Ed Wood gewidmet – inzwischen indessen genießt der 1978 gestorbene Exzentriker in der Fan-Szene jedoch Kultstatus genießt. Im Kapitel III wird vermutlich kaum jemand versäumen, an René Magrittes Porno-Pfeife zu verweilen. Aber spricht nicht bereits der Name Magritte und der des bizarren James Ensor dafür, dass – bei allem Klamauk – hier auch ernsthafte Absicht präsentiert wird? Wobei der Besucher ohnehin mehr als einmal erkennen kann, wie „Geschichte“ mit einem Mal wieder sehr aktuell geworden ist. Zum Beispiel wenn der einstige amerikanische Skandalpräsident Richard Nixon (Watergate) karikaturesk zusammenrückt mit seinem nicht minder skandalbehafteten Nachfolger Donald Trump. Oder wenn man schmunzelnd die außerordentlich geistreiche Zeichnung in dem britischen Boulevardblatt „Daily Mail“ betrachtet, in der jüngst die absolute Kurzzeit-Premierministern, Liz Truss, den Haltbarkeits-Wettbewerb gegen einen Eisbergsalat verlor.

Feuerstein und Honecker

So furios die Ausstellung mit dem Spiegelsalon beginnt, so überraschend (und einen Moment des Nachdenkens auslösend) endet sie auch. Nämlich mit der Nachbildung eines Schuhgeschäfts in der DDR. Schein und Wirklichkeit in Pistazie und Flieder. Nicht erfüllte Produktionspropaganda und gähnende Leere. Das Ganze „verziert“ mit Mitschnittkollagen von Auftritten Fred Feuersteins und Erich Honeckers. Die neue Bonner Ausstellung vermittelt überzeugend, dass Unsinn durchaus sehr viel Sinn enthalten und vermitteln kann.

 

HIER GEHTS ZUR FOTOGALERIE AUSSTELLUNG:

 

Bundeskunst- und Ausstellungshalle

Helmut-Kohl-Allee 4

53113 Bonn

Tel.: 0228 9710

wwwbundekunsthalle.de

Titel: Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasmus in der Kunst

  1. November 2022 – 10. April 2023

Eintritts-, Gruppen- und Sonderpreise sowie Einzelheiten zu Führungen an der Kasse sowie telefonisch bzw. per e-mail erfragen.

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