#deutschland digital# Bonner Haus der Geschichte zeigt eine neue, atemberaubende Sonderausstellung

Von Gisbert Kuhn

Eingang zur Ausstellung über einen digitalen Teppich ©seppspiegl

Nur etwas mehr als 40 Jahre haben die Welt verändert. Nicht nur unsere Gesellschaft, sondern das Leben auf dem gesamten Erdball. Während es vor einem halben Jahrhundert, ungeachtet der auch damals schon vorhandenen, durchaus modernen Kommunikationsmittel doch immer noch eine gewisse Zeit brauchte, bis die Nachricht von einem Zugunglück in China unseren Kontinent erreichte, erleben wir heute praktisch alles was sich irgendwo vollzieht, sofort und sozusagen „in Echtzeit“. Bewirkt hat dies die Digitalisierung mit ihren „Kindern“ Handy, Smartphone, Laptop, Tablet. Kurz: der Computer. Und dennoch hat, trotz dieses Siegeszuges um den Globus, der Computer bereits den Weg ins Museum gefunden.

Geschichte beginnt schon im Jetzt

Geschichte beginnt halt nicht mehr erst im Mittelalter oder gar bei den alten Griechen und  Römern. Im 20. und 21. Jahrhundert vollzieht sich bahnbrechende Wissenschafts-, Wirtschafts-, Industrie- und Gesellschaftsgeschichte in der Jetztzeit. Und dennoch landen  ihre Instrumente morgen schon wieder im Museum. Wie bei der aktuellen Sonderausstellung #deutschland digital# im Bonner Haus der Geschichte. Es ist, knapp zusammengefasst, eine atemberaubende Schau. Wer immer sich vornimmt, mal eben in der Mittagspause oder während eines Klassenausflugs nur einen kurzen Blick auf die etwa 400 Exponate zu werfen und dann zur nahegelegenen Pommesbude zu verschwinden, wird scheitern. Denn er (und natürlich auch sie) wird sich festschauen. Und sei es  an irgendeinem Objekt. Dafür gibt es keine Altersbeschränkung. Egal ob über 60 Jahre oder Angehöriger der heutigen „Generation Z“ –  ein Jeder wird irgendwo ein Stück seines eigenen Lebens wiederfinden.

Seit den 1980er Jahren kommen Computer wie der Commodore PET im Sprachunterricht an Schulen zum Einsatz ©seppspiegl

Der Schlüssel dazu ist eine Chipkarte, die jeder Besucher der Sonderausstellung gleich am Eingang erhält. Was immer ihn – digital – interessiert, der Chip weist den Weg. Die Stärke seiner Passwörter checken? Kein Problem. Noch einmal das alte Donkey Kong spielen oder die Mooshühner schießen? Bitte sehr. Als politisch und gesellschaftlich Interessierter Fake News – also Falschinformationen – erkennen oder gar selber welche produzieren? Aber gerne doch.  Kein Wunder, dass so mancher am Eintritt in das Rentenalter stehende Zeitgenosse feuchte Augen bekommt beim Anblick des alten Commodore PET, beim Nintendo-Spiel „Super Mario“ und anderen einstmals „letzten Schreien“ der frühen digitalen Zeit. Alles einmal Vorreiter im World Wide Web, inzwischen längst gerade mal noch gut fürs Museum.

Nicht nur der Nostalgie gehuldigt   

Das Mobiltelefon nutzt Angela Merkel bis 2005. Bereits in ihrer Zeit als Oppositionsführerin überwacht der US-Geheimdienst NSA ihre Gespräche ©seppspiegl

Den Machern der Bonner Ausstellung geht es freilich nicht bloß darum, die Besucher in Nostalgien baden zu lassen.  An zahlreichen Beispielen wird nachgezeichnet, wie zum Beispiel Spionage funktioniert – militärische, wirtschaftliche und auch politische. Beispielgebend ist ein kleines Exponat. Es ist unscheinbar und hat zu seiner Zeit doch hohe Wellen geschlagen: Das bis 2005 von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel benutzte Siemens-S-55-Handy – eigentlich als „abhörsicher“ deklariert, aber dennoch vom US-Geheidienst NSA kontrolliert. Fast hätte es damals einen schweren diplomatischen Eklat gegeben. Denn: „Abhören unter Freunden, das geht gar nicht“, hatte Merkel empört geschimpft. Überall in Europa und in den USA stehen in der nächsten Zeit Wahlen vor der Tür. Wird es gelingen, die digitalen Attacken (nicht zuletzt aus Russland und China) abzuwehren, die bereits beim vorigen US-Wahlkampf mit mehr oder weniger Erfolg versucht hatten, Einfluss  zu nehmen? Die Bonner Ausstellung regt zu tiefer Nachdenklichkeit an.

Volkszählung in Deutschland ©seppspiegl

Ältere Zeitgenossen werden sich vielleicht noch erinnern und dann verständnislos den Kopf schütteln: Ende der 70-er Jahre des vorigen Jahrhunderts zogen hunderttausende schreckenserfüllter Demonstranten zum Bonner Hofgarten und skandierten „Gläserner Mensch“ und „Totaler Überwachungsstaat“. Sie protestierten seinerzeit gegen eine von der Bundesregierung initiierte „Volksbefragung“, mit der man sich einen Überblick verschaffen wollte über die Heizverhältnisse im Land. Verglichen mit den heutigen Datenkraken wie Google, Amazon, Tik Tok und wie sie alle heißen – ein Fliegenschiss. Und trotzdem sehen die heute Lebenden (und zwar gleich welchen Alters) völlig unbewegt zu, wie von den Informationsplattformen ihre persönlichsten Daten ohne Ende abgesaugt und zumindest kommerziell verwendet werden. Irgendwie ein unverständliches, ja eigentlich völlig verrücktes Verhalten…

Die Ur-Mutter des Computers

Handschrift des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz, in der er 1701 seine Rechenmaschine beschreibt ©seppspiegl

Wo sind eigentlich die Wurzel von www, Computer, Digitalisierung usw. zu suchen? Und wo wurde der erste Rechner gebaut? Nein, nicht in Silicon Valley, sondern hier bei uns – in Deutschland. Es war der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibnitz, der den ersten Meilenstein auf dem Weg zur Digitalisierung zurücklegte und mit einem 1701 niedergeschriebenen binaren System die Zahlen 1 und 0 so lange jonglierte, bis eine darauf basierende Rechenmaschine entstand – die Ur-Mutter aller heutigen Computer. Und wiederum auf diesem Fundament baute der Deutsche Konrad Zuse 1941 in Berlin den ersten „richtigen“ Elektronik-Rechner der Welt. Leibnitz´ens Original-Handschrift und der Nachbau des Schaltpults von Zuses Rechner – beides wahre Schätze, zu bewundern im Bonner Haus der Geschichte.

Tempi passati – vergangene Zeiten. Von deutschen Pioniertaten auf dem gegenwärtig mit Abstand wohl wichtigsten Wirtschafts- und Wissenschaftssektor namens „Digitales“ ist nicht mehrt viel zu verspüren. In Gegenteil. Allein schon im EU-Bereich rangiert Deutschland seit längerem bereitssolchen wie der im hinteren Segment. Die Ausstattung der Schulen spricht eine ernüchternde Sprache. Das besagt freilich keineswegs, dass der (oder die) Deutsche beim Gebrauch der Instrumente besonders zurückhaltend wäre. Wer kennte sie schließlich nicht – die Schülerinnen und Schüler, die mit gesenkten Köpfen über die Bürgersteige schleichen? Oder die Ehemänner, die kurz vor der Abgabe ihrer Kinder bei den Kita-Betreuerinnen noch rasch ein paar Einkäufe im Supermarkt täten sollen, aber leider vergessen haben, wo die laktosefreie H-Milch steht und daher mal eben rasch daheim nachfragen müssen? Doch im die geht es in diesem Moment gar nicht. Sondern um eine offensichtlich für Deutsche magische Zahl. Die „25“:

Sexpuppen wie Modell “Harmony” versprechen, die Wunschträume ihrer Kunden zu erfüllen ©seppspiegl

Harmony – die Allzeitbereite

Das ist die Zahl, die in der Digitalisierungs-Ausstellung besonders herausgehoben wird. Warum? Weil sie den (digitalen) Porno-Konsum in unserem Lande markiert und thematisiert. Laut Untersuchungen sorgten Deutsche (oder zumindest in Deutschland Lebende) 2018 für ein Viertel des weltweiten Pornographie-Verkehrs. Offensichtlich ein krisensicherer Wachstumsmarkt, der Erfindungen und Entwicklungen wenig Grenzen setzt. Zum Beispiel solchen wie der Sex-Roboterin „Harmony“ – einer mit offensichtlich allen elektronisch gesteuerten Raffinessen ausgestattete Puppe, deren Reaktionsverhalten angeblich nach persönlichen Vorlieben programmiert werden kann und die mithin angeblich keinen Wunsch unerfüllt lässt.

Schöne neue Welt?

Ausstellung im Haus der Geschichte

53 113 Bonn

Willy-Brandt-Allee 14

Titel: #deutschland digital#

Tel: 0228 9165-0

www.hdg.de  

Eintritt Freitag

Dauer bis 04. 02. 2024

Geöffnet Di – Fr 9 – 19 h

                Sa u. So 10 -18 h  

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