Merkels Erben

Dieter Weirich

Halali im Hohen Haus. Der Deutsche Bundestag hat sich in die parlamentarische Sommerpause verabschiedet. Die heiße Phase des Wahlkampfes, also die letzten hundert Tage vor der bundespolitischen Entscheidung am 26.September dieses Jahres, hat begonnen.

Im Pandemiejahr 2021 ist alles anders. Das Sommerloch nachrichtenarmer Zeiten mit Vorstößen von Hinterbänklern, die den Kauf von Mallorca als 17. Bundesland oder Intelligenztests für Zuwanderer fordern, entfällt. Auch wird es wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen keinen Wahlkampf alten Stils mit überfüllten Hallen, dröhnender Marschmusik und Bierkeller-Polemik geben.

 Mit der heißen Phase dürften also eher die von manchen Meteorologen prophezeiten tropischen Temperaturen gemeint sein. Für die Spitzenkandidaten der beiden Volksparteien hat das auch Vorteile. Weder der Christdemokrat Armin Laschet noch sein sozialdemokratisches Gegenüber, Olaf Scholz, verfügen über Charisma. Es gelingt ihnen mühelos, ihre Anhänger bei einer Großkundgebung in den Schlaf zu singen.

Was uns bisher geboten wird, ist eher mit Widersprüchen gespickter Wahlkrampf. Geradezu erbschleicherisch versucht man sich bei der in die Schlussrunde und damit in die Verklärungskurve einbiegenden Bundeskanzlerin Angela Merkel zu bedienen. Ihr Parteifreund Laschet kündigt einerseits ein frohgemutes Weiter so, andererseits aber angesichts großer Versäumnisse ein Modernisierungsjahrzehnt an. Was will der Nachlass-Verwalter nun, fragt man sich.

Vizekanzler Scholz sieht sich als Garanten der Kontinuität mit Regierungserfahrung, gliedert Merkel in die Gemeinschaft der Genossen ein. Schließlich seien die Erfolge der Regierung auf die SPD zurückzuführen.

Die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock, die in den Umfragen in den letzten Wochen kontinuierlich abgestürzt ist, versucht sich als die junge und frische Damenwahl, die aus ihrer Anerkennung für Merkel kein Hehl macht, zu verkaufen.

Die Programme der Parteien sind ein Wunschkonzert, stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Offenkundig ist bei aller Inszenierung von Unterschieden Schonung unter den Akteuren angesagt, müssen sie doch schon bald zu zweit oder zu dritt gemeinsam regieren.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, veröffentlicht von nun an nicht mehr jeden Montag, sondern immer donnerstags mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig. 

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