Kitt für Gemeinsinn

Dieter Weirich

Es war eine der kürzesten, aber zugleich der besten Amtsantrittsreden in der amerikanischen Geschichte. Sie dauerte 13 Minuten. Präsident John F. Kennedy rief darin 1961 seinen Mitbürgern zu, nicht zu fragen, was „Dein Land für Dich tun kann, sondern Du für Dein Land tun kannst“ und „was wir gemeinsam für die Freiheit tun können“.

Ein ähnlicher Appell bietet sich auch bei uns in diesen Tagen nach einem Jahr Krieg zwischen Russland und der Ukraine an, der neuen, durch den russischen Diktator Putin durch Europa gezogenen Mauer. Bundeskanzler Scholz hat zu Recht von einer Zeitenwende gesprochen, was allerdings mit einer Überprüfung aller Instrumente und Prozesse deutscher Außen- und Sicherheitspolitik verbunden sein muss.

Nur mit einer geistig-moralischen Zeitenwende, einer Neujustierung des Denkens, werden wir nach Jahrzehnten des Abbaus unserer Wehrfähigkeit den künftigen Anforderungen gerecht. Die Etablierung des „Sondervermögens“ von 100 Milliarden Euro, die neue Akzeptanz des Zwei-Prozent-Anteils am Bruttosozialprodukt für die Sicherheit, die Stärkung des vernachlässigten Zivilschutzes als Bestandteil der Verteidigungsbereitschaft sind Schritte in die richtige Richtung. Einen geistigen Aufbruch in der strukturell pazifistischen Gesellschaft der Republik bewirken sie freilich allein noch nicht.

Eine „politische Vitaminspritze“ für mehr Gemeinsinn wäre dagegen die rasche und von allen Parteien gemeinschaftlich getragene allgemeine Dienstpflicht, die schon von der früheren Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gefordert wurde und die auch der jetzige Amtsinhaber Boris Pistorius sowie der Bundespräsident für gut halten. So könnten der Katastrophenschutz und die Rettungsdienste gestärkt werden, die Wertschätzung für die  Feuerwehr, das Rote Kreuz, die Polizei und die Bundeswehr würde profitieren.

Die von einigen Politikern geforderte Reaktivierung der Wehrpflicht ist eine Illusion und angesichts hochtechnisierter Streitkräfte kaum machbar. Ein sozialer Pflichtdienst würde dagegen vielen Institutionen helfen. Wir reden viel über die zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Ein Gemeinschaftsdienst wäre Kitt für den Zusammenhalt im Kampf um die Erhaltung der Freiheit und der Verteidigung einer kämpferischen und abwehrbereiten Demokratie.

Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert jede Woche mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst als “liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.

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