Weirichs Klare Kante
Gefährlicher Jamaika-Kurs

Taugen die Wahlkampfstrategien der Ära Merkel auch für die Abstimmung über den nächsten Bundestag am 26. September? “Asymmetrische Demobilisierung“ wurden die Konzepte des damaligen CDU-Generalsekretärs Ronald Pofalla genannt. Sie hatten das Ziel, Kontrastpositionen zu retuschieren und den politischen Gegner einzuschläfern. Zuvor hatte die Kanzlerin mit einer entschlossenen Sozialdemokratisierung der Unionspolitik ein Stück Entideologisierung betrieben. Wechselstimmung konnte dabei erst gar nicht aufkommen. Zur Dramaturgie gehörte, möglichst wenig vom Wahltag zu reden, was zur Risiko-Scheu der Wähler passte.
Es fällt schwer, hinter den bisher eher unglücklichen Bemühungen des christdemokratischen Kanzlerkandidaten Armin Laschet eine Strategie zu erkennen. Nach sechzehn Jahren Regierungsverantwortung der Unions-Parteien ein „Modernisierungsjahrzehnt“ anzukündigen, erscheint eher gewagt. Außerdem verbindet sich mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten kein Macher-Image.
Eher werden ihm schon Stärken als team-player nachgesagt, also in der Mannschaftspflege. Dazu passt aber nicht, dass er in diesem Wahlkampf bisher darauf verzichtet hat, eine Führungsriege herauszustellen, obwohl er auf starke Fachleute wie Friedrich Merz oder Carsten Linnemann zurückgreifen könnte. Dies würde sich schon wegen seiner mageren persönlichen Zustimmungswerte anbieten.
Die schon Züge der Arbeitsverweigerung tragende, bisherige matte Vorstellung Laschets, die sich in der nun beginnenden heißen Phase freilich ändern soll, könnte allerdings auch einen strategischen Ansatz haben. Trotz eines dramatischen Absturzes in der Wählergunst würde es noch für ein Jamaika-Bündnis, also eines Verbunds von CDU als stärkster Partei, FDP und den Grünen reichen. Zwar hätte auch eine Ampel von SPD, Grünen und der FDP augenblicklich eine Mehrheit, doch scheint sich Laschet der Unterstützung von FDP-Chef Lindner sicher.
Ob diese Rechnung aufgeht, ist allerdings fraglich. Das Momentum liegt bei der erstarkenden SPD, die Grünen werden Alternativen zur Union mit Sympathie verfolgen, und ob Laschet einen schweren prozentualen Rückschlag innerparteilich verkraften würde, ist auch offen.
Dieter Weirich (Jg. 1944), gelernter Journalist, kommentiert immer donnerstags mit spitzer Feder seine Sicht auf das aktuelle Geschehen in rantlos; mit freundlicher Genehmigung der “Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO)”. Weirich war von 1989 bis 2001 Intendant des deutschen Auslandsrundfunks Deutsche Welle. Zuvor gehörte er eineinhalb Jahrzehnte als CDU-Abgeordneter dem Hessischen Landtag und dem Deutschen Bundestag an, wo er sich als Mediensprecher seiner Partei und als Wegbereiter des Privatfernsehens einen Namen machte. Außerdem nahm er Führungspositionen in der PR-Branche in Hessen wahr. Weirich, der sich selbst “als liberalkonservativen Streiter” sieht, gilt als ebenso unabhängig wie konfliktfreudig.
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